Stromlos. Veronika R. Meyer

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Название Stromlos
Автор произведения Veronika R. Meyer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783858302021



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sich, ihren Wohnort zu verlassen; sie erklärten sich höchstens bereit, nur in dringenden Fällen nach draussen zu gehen und ansonsten in ihren vier Wänden zu bleiben, im Übrigen hätten sie ja ihre Jodtabletten geschluckt. Besonders alte Menschen wollten bleiben, wo sie waren. Im allgemeinen Chaos wurden manche von ihnen durch die Helfer abgeschleppt, andere überliess man ihrem Schicksal.

      Daniel Rüegsegger wollte nicht abgeschleppt werden. Einen Moment lang erwog er, zu Freunden ins Elsass zu reisen, aber die Vorstellung von hoffnungslos verstopften Strassen und bis zum Bersten gefüllten Zügen schreckte ihn ab. Und eigentlich hatte er sich doch vorgenommen, dieses Desaster, das durch ein Hochwasser ausgelöst worden war, zu dokumentieren. Als ein Trupp Zivilschützer sein Quartier nach vergessenen Personen absuchte, war es ein Einfaches, sich zu verstecken, denn diese Männer waren verängstigt, müde und nicht besonders eifrig. Daniel fotografierte, so viel er konnte. Obwohl es verboten war, sich in die Notfallzone eins zu begeben, radelte er eines Nachts nach Oberruntigen und knipste frühmorgens das verwüstete Gelände des Kernkraftwerks vom anderen Ufer aus. Einige Personen in weissen Ganzkörper-Schutzanzügen stapften dort drüben herum, und für einen Laien war völlig unklar, was sie taten. Dann nahm er von Wickacker aus einen Augenschein der Trümmer von Staumauer und Maschinenhaus, die in der Aare lagen. Sie führte jetzt endlich weniger Wasser, und die umspülten Betonblöcke, riesigen Rohrstücke und Maschinenteile ergaben ein Bild, das grotesk wirkte, tatsächlich aber unvorstellbar schrecklich war. Im steilen Waldgelände oberhalb des ehemaligen Wasserkraftwerks konnte er unbemerkt fotografieren. Auf dem Rückweg, den er so weit möglich durch den Wald nahm, sah er kaum Menschen, und glücklicherweise interessierte sich niemand für ihn. Die Häuser zwischen Talmatt und Kappelenring am ehemaligen See unten waren von der Flutwelle zerstört worden, aber dank der frühzeitigen Evakuation, vor dem Dammbruch, gab es hier keine Opfer zu beklagen. Daniel dokumentierte auch diesen Ort der Verwüstung. Die Kappelenbrücke war unpassierbar, so dass er zur Halenbrücke radelte, auf der er vor wenigen Tagen Zeuge der Katastrophe geworden war. Wieder stand er nachdenklich am Geländer, aber als unerwartet heftiger Regen aufkam, strampelte er durch den Bremgartenwald hinauf ins Länggassquartier und zu seiner Wohnung.

      Dieser Regen bedeutete das endgültige Verdikt für Bern und die Rettung für die Gebiete östlich davon. In der Kraftwerksruine war nochmals viel Strahlung ausgetreten; gleichzeitig strich eine heftige Niederschlagszone vom Jura her über das Seeland, erreichte Mühleberg, zog weiter Richtung Bern und kam dort zum Stillstand. Sie brachte massiven radioaktiven Fallout mit sich. Vorher hatten die Behörden noch gehofft, dass die Stadt nach einer gründlichen Dekontamination wieder bewohnbar würde – wobei eigentlich niemand eine Ahnung hatte, wie man denn so eine Dekontamination praktisch durchführen könnte. Manche Fachleute hofften weiterhin, aber die Pessimisten behielten Recht: Wie sich später herausstellte, war Bern verstrahlt, auf Generationen hinaus. Alle Verkehrswege blieben unpassierbar, Münster und Bundeshaus würden zerfallen, die unersetzlichen, weltbedeutenden Schätze im Historischen Museum und in den Kunstmuseen ebenso. Dagegen blieben praktisch alle Gebiete ausserhalb der Zone zwei vom Fallout verschont.

      Es war bekannt, dass sich in Bern noch zahlreiche Leute aufhielten, so wie Daniel. Vielleicht zehntausend Personen. Man organisierte sich, holte Lebensmittel in Worb oder Schönbühl, die Stromversorgung funktionierte noch, und das Trinkwasser war nicht verseucht. Nun wurde über die Medien dringendst dazu aufgerufen, die Stadt zu verlassen. Daniel dokumentierte, so viel er konnte, sprach mit allen, die er zufällig auf der Strasse traf und fragte sie nach ihren Beweggründen. Er knipste verlassene Wohnungen, herumstreunende Hunde, aufgebrochene Supermärkte, das leere Inselspital. Nach einer Woche reiste er mit seinem Auto zu den Freunden im Elsass. Dort arbeitete er hektisch an der Aufarbeitung des gesammelten Materials. Er schrieb seine Erlebnisse, Beobachtungen und Vermutungen detailliert nieder und plante, sie zusammen mit den Fotos als Buch zu veröffentlichen. Es gelang ihm nicht mehr. Nach einigen Monaten, im Januar des nächsten Jahres, wurde er krank. Er vermutete eine heftige Grippe, aber es war Leukämie. Offenbar eine Folge seines Ausflugs nach Mühleberg und seines viel zu langen Aufenthalts im radioaktiv kontaminierten Bern. Im April, elf Monate nach der Reaktorkatastrophe, starb er in Strassburg. Daniel Rüegsegger, Historiker, Forschungsgebiet Historische Hochwasser, dreiundfünfzig Jahre alt, Opfer eines Jahrtausendhochwassers und eines Schrottreaktors.

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