Название | Tod am Silsersee |
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Автор произведения | Duri Rungger |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783858302267 |
Sie liess ihr Buch sinken. «Der Ärmste, hoffentlich erholt er sich bald wieder.» Dann schüttelte sie den Kopf und sah ihren Mann missbilligend an. «Und wie hast du das in Erfahrung gebracht? Hast du wieder einmal den halben Tag an der Réception deinem Opfer aufgelauert, statt wie vorgesehen draussen zu arbeiten?»
Er ging nicht auf ihre Frage ein und brütete finster vor sich hin. Sein Plan war gescheitert, den grossen Schriftsteller als Sprungbrett zur Anerkennung zu benützen. Dabei war die Idee gar nicht so abwegig gewesen, wie Anita meinte. Während des Aufenthalts des berühmten Mannes wären bestimmt einige Journalisten im Hotel aufgetaucht, nur schon um zu erfahren, wie es um seine Gesundheit stand. Dabei hätte sich bestimmt eine Gelegenheit ergeben, sich mit auf ein Bild zu bringen und es dem Fotografen abzukaufen. Er hatte auch mit der Idee gespielt, seine Anita solle mit ihrem Charme Hesse dazu bewegen, sich mit ihm ablichten zu lassen – am liebsten an einem der kleinen Tischchen in der Bibliothek über eines seiner Gedichte gebeugt. Ein kurzer Artikel mit diesem Bild und einem schmeichelhaften Kommentar hätte sicher einen Verleger dazu gebracht, eine Auswahl seiner Werke herauszugeben. Nun wurde nichts daraus – und zu allem Unheil hatte er hinter dem Rücken seiner Frau bei seiner Schwester Geld geborgt, um diese Ferien, von denen er sich so viel erhofft hatte, selbst bezahlen zu können. Er hatte es satt, sich als erfolgloser Schreiberling von Anita aushalten zu lassen – egal wie viele grosse und kleine Künstler sich anscheinend nicht scheuten, eine reiche Frau aufzugabeln und sie sitzen zu lassen, sobald sie ihr Vermögen verpulvert hatten.
Erwin kam nicht dazu, sich länger seinen düsteren Gedanken hinzugeben, denn Martin Brunner betrat den Salon in Begleitung seiner Frau Selina. Brunner hatte sich nach dem Ausflug anscheinend noch nicht umgezogen und trug eines dieser bunten Hawaii-Hemden, die gerade in Mode waren. Aber auch sonst gab ihm dieser steinreiche Zürcher Spekulant gewaltig auf die Nerven. Der konnte es sich spielend leisten, ausgedehnte Ferien in einer Suite der Bel Etage zu verbringen und einen silbernen Cadillac convertible zu fahren. Was ihn besonders störte, war Martins joviales Auftreten, das er als hochnäsig empfand. Bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit bestellte der Angeber eine Flasche vom teuersten Champagner des Hauses. Dass er jeweils Anita und ihn dazu einlud, machte die Sache fast noch unerträglicher. Seine Frau behauptete zwar, er sei bloss eifersüchtig, weil der Grundstückmakler nebenbei auch einen Krimi geschrieben hatte, der zum Bestseller geworden war. Das war eine lächerliche Unterstellung! Wie konnte sie bloss annehmen, er beneide den Verfasser eines billigen Kriminalromans?
Selina Brunner war bestimmt zehn Jahre jünger als ihr Mann. Es war ja nicht aussergewöhnlich, dass gutsituierte Herren eine viel jüngere Frau heirateten, sie mit sündhaft teuren Kleidern und kostbarem Schmuck dekorierten und als Aushängeschild ihres Erfolges missbrauchten. Er empfand sonst eine tiefe Abneigung gegenüber derartigen Luxusweibchen, doch Selina bewunderte er. Sie war eine selbstbewusste, eigenständige Person, hatte Musik studiert und war daran, eine Karriere als Pianistin aufzubauen. Und sie war schön! Ihr ausdrucksstarkes und doch liebliches Gesicht war umrahmt von tiefschwarzem, lockigem Haar. Heute war sie besonders reizend. Mit ihren von der Sonne geröteten Wangen, der weissen Bluse und dem bauschigen, kurzen Rock sah sie aus wie ein fröhliches Schulmädchen.
«Dürfen wir Ihnen Gesellschaft leisten?» Brunner richtete die Frage an Frau Iseli, doch bevor diese dazu kam zu antworten, war ihr Mann schon aufgesprungen und rückte Selina, die ihm dankbar zulächelte, einen Sessel zurecht.
Anita versuchte, dem übertriebenen Getue Erwins keine Aufmerksamkeit zu schenken, und musterte die Gesichter der beiden. «Sie sind braun geworden. Haben Sie eine Spritztour in Ihrem Cabriolet gemacht? Warm genug dafür wäre es heute.»
«Nein, wir sind mit dem Kutschenbus ins Fextal gefahren und haben dort im Hotel etwas gegessen. Danach sind wir zum kleinen See hinten im Tal aufgestiegen und auf der linken Talseite über Wiesen- und Waldwege bis Sils Maria zurückgewandert. Es war herrlich …» Martin warf seiner Frau einen neckischen Seitenblick zu, «… wenn du mir nur nicht dauernd Blumen- und Vogelnamen an den Kopf geschmissen hättest.»
«Ich wollte doch nur meine Begeisterung mit dir teilen», protestierte sie mit gespielter Entrüstung. «Ich bin oft draussen in der Natur, und du kommst nie mit. Wenn du ausnahmsweise zu Hause bist, so hockst du an deinem Schreibtisch und bewegst dich kaum.» Dann räumte sie ein: «Trotzdem bist du erstaunlich gut zu Fuss.»
«Bitte sehr, Golf und Tennis halten auch fit.» Dann winkte er den Kellner zu sich und bestellte eine Flasche Champagner, wie erwartet den teuersten auf der Getränkekarte.
Iseli verzog angewidert das Gesicht.
Nachdem der Champagner eingeschenkt war, hob Brunner sein Glas. «Zum Wohl, Liebste!» Er stiess mit seiner Gattin an und wandte sich dann den Iselis zu. «Prosit, Anita, Erwin – ah, Herr Morf, möchten Sie auch ein Glas mit uns trinken?»
Der alte Herr, der unbemerkt an ihren Tisch getreten war und sich hinter Iselis Sessel aufgepflanzt hatte, schien die Einladung nicht verstanden zu haben und staunte Brunner mit grossen Augen an.
Brunner zuckte die Schultern und hob sein Glas. «Trotzdem, alles Gute auch Ihnen, Herr Morf.» Der Angesprochene reagierte nicht und blieb teilnahmslos stehen.
Trotz seiner Abneigung gegen Brunner kostete Iseli den Champagner andächtig und nickte anerkennend. Dann fischte er die Flasche aus dem Sektkübel und las mit zusammengekniffenen Augen: «Bedel Françoise et fils … Champagne brut comme autrefois.» Er liess die Flasche wieder ins Eis gleiten. «Trinken Sie immer Champagner gegen den Durst?»
«Nicht immer», lachte Brunner. «Nach dem heutigen Gewaltmarsch sind wir nicht direkt ins Hotel gekommen, sondern durch die Schlucht ins Dorf hinuntergestiegen. Dort habe ich im ‹Edelweiss› ein grosses Bier getrunken, wenn Sie das beruhigt. Jetzt ist Champagner angebracht, denn ich habe etwas zu feiern.»
Iseli fragte nicht nach dem Grund und seine Frau sprang ein: «Haben Sie Geburtstag?»
«Nein, ich habe gestern im Manuskript meines neuen Kriminalromans die letzten Korrekturen angebracht.»
«Gratuliere!» Anita zögerte ein wenig, Brunners schriftstellerische Tätigkeit zum Gesprächsthema zu machen. Ihr Mann war krankhaft eifersüchtig auf jeden, der etwas publizieren konnte. Doch im Moment schien Erwin derart in den Anblick der bezaubernden Selina vertieft, das sie es wagen durfte: «Ich habe Ihr erstes Werk mit viel Vergnügen gelesen. Trotz der grausigen Handlung ist es humorvoll geschrieben. Das ergibt einen packenden Kontrast. Etwas wundert mich: Wie finden Sie neben Ihrer Tätigkeit noch Zeit, Romane zu schreiben?»
«Den Ersten, und bislang Einzigen, habe ich geschrieben, kurz nachdem ich mein Maklerbüro eröffnet und noch beträchtliche Anlaufschwierigkeiten hatte. Ohne die nötigen Beziehungen war es schwierig, Liegenschaften zu finden, und wenn ich endlich eine ausfindig gemacht hatte, sass ich tagelang an meinem Schreibtisch und hoffte, es würde sich ein Interessent finden. Um mir die Zeit zu vertreiben, habe ich angefangen zu schreiben. Meine ganze Frustration und die schlechten Erfahrungen mit unfairen Konkurrenten sind in meine mörderische Geschichte eingeflossen. Meine Widersacher sind jetzt alle tot – wenigstens auf dem Papier.»
«Doch jetzt läuft Ihr Geschäft offensichtlich auf Hochtouren. Sind Sie nicht überlastet?»
«Wenn Sie mit ‹offensichtlich› auf unser Cabriolet und die Suite hier anspielen, so muss ich doch darauf hinweisen, dass ein teurer Wagen öfter mit Schulden als mit Vermögen einhergeht. Aber unsern Cadillac habe ich tatsächlich bar bezahlt. Was das Schreiben betrifft, meine Agentur läuft ausgezeichnet. Ich habe tüchtige Angestellte, welche die Kleinarbeit für mich erledigen, und lasse nur noch meine Beziehungen spielen, spüre unbebaute Wiesen auf, stecke meine Nase in jedes baufällige Haus und entscheide, welche Objekte uns interessieren könnten. Dann nehme ich Kontakt mit widerstrebenden Grundbesitzern auf, und meistens kriege ich sie herum.» Brunner lächelte zufrieden. «Meine schriftstellerische Tätigkeit wird dadurch erleichtert, dass Ingrid Koch, meine rechte Hand im Büro, so liebenswürdig