Revolutionäre Aufbrüche und intellektuelle Sehnsüchte. Alexander Gallus

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Название Revolutionäre Aufbrüche und intellektuelle Sehnsüchte
Автор произведения Alexander Gallus
Жанр Социология
Серия
Издательство Социология
Год выпуска 0
isbn 9783863935788



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wirklich bändigen zu können.53

      Dies ist deutlich kritikwürdiger als der sagenumwobene Ebert-Groener-Pakt. Ebert hatte am 10. November 1918 mit Generalquartiermeister Groener telefonisch eine Absprache über die Loyalität des Militärs gegenüber der neuen Regierung getroffen. Dieses Agreement war nachvollziehbar und folgte einem rationalen Kalkül, nämlich die neu gewonnene politische Machtbastion in einer völlig ungewissen Anfangsphase notfalls militärisch sichern zu können. Ähnliches gilt für Eberts Agieren am 10. Dezember 1918, als er die heimkehrenden Truppen mit den Worten „Kein Feind hat Euch überwunden“ begrüßte, was – einer kritischen Auslegung zufolge – dazu beitrug, die Dolchstoßthese „in den Köpfen zu verankern“.54 In weniger düsterem Licht sieht Ebert dagegen, wer in dessen Worten ein Angebot an das Feldheer sieht, sich in das neue politische System zu integrieren. Das Bild hellt sich noch weiter auf, sobald man nicht nur den berühmten Halbsatz zitiert, sondern auch die weiteren Ausführungen berücksichtigt. Keinen Zweifel lässt der Volksbeauftragte nämlich an der „Übermacht der Gegner an Menschen und Material“ als Ursache für die Kriegsniederlage aufkommen. Und in seiner Eröffnungsrede zur Nationalversammlung am 6. Februar 1919 hob er nochmal unzweideutig heraus: „Wir haben den Krieg verloren. Diese Tatsache ist keine Folge der Revolution.“55

      Die Interpretation der Militärpolitik der Revolutionsregierung gehört weiterhin zu den herausgehobenen Streitfragen rund um die Umbrüche von 1918/19. Selbst wer das militärische Vorgehen Anfang 1919 als „Politik der Stärke“ rubriziert und für „unausweichlich“ hält, muss die falsche Wahl der „Bundesgenossen“ konzedieren.56 Mark Jones beschreibt die Gründungsgewalt und ihre öffentliche Legitimierung seitens der Regierung als einen fatalen, stilbildenden Prozess und als eine wesentliche Belastung für die Weimarer Republik, die den Weg ins „Dritte Reich“ und den „von ihm angerichteten Horror“ begünstigt habe.57 Auch wer eine solche historische Linienziehung ablehnt, kann nicht übersehen, in welch hohem Maße sich das Militär Eigenständigkeit bewahrte und als Staat im Staate fühlen konnte. Dies sollte sich während des Kapp-Putsches zeigen und gipfelte gegen Ende der Republik in den Querfront-Ambitionen eines Generals Kurt von Schleicher.58 Die ausgebliebene Schaffung einer schlagkräftigen republikanisch-loyalen „Volkswehr“ präsentiert sich vor diesem Hintergrund als ein entscheidendes Versäumnis, ja als „katastrophaler Fehler“ und das „große Übel“ der Revolution, wie sie von den führenden Mehrheitssozialdemokraten betrieben worden sei. Hier wurde für Joachim Käppner die Chance verpasst, dem Militarismus in Deutschland einen mächtigen Dämpfer zu verpassen.59

      Aus diesem Blickwinkel besaß die gewaltsame Phase der Revolution in den ersten Monaten des Jahres 1919 samt einer fehlgeleiteten Militärpolitik, die es verpasste, „der Freiheit Waffen zu geben“60, eine anhaltende Prägekraft. Aus der politischen Systemwechsel-Perspektive, die Veränderungen des Regierungssystems in den Mittelpunkt stellt, erscheint dagegen die erste Phase der Revolution mit strukturbildenden Entscheidungen im November und Dezember 1918 gleichwohl von erheblicher formgebender Kraft.61 Ungeachtet der Versäumnisse der ersten Revolutionsperiode sind über diese politischen Transformationsleistungen hinaus wenigstens segmentäre soziale Reformen zu erwähnen wie das Stinnes-Legien-Abkommen vom 15. November samt Einführung des Acht-Stunden-Tags.62 Die getroffenen Regelungen waren zugleich ein zentraler Schritt auf dem Weg zur Sozialpartnerschaft in Deutschland.63 Dies sind Indizien dafür, wie wenig sich die Sozialdemokratie bei aller Ablehnung einer weit ausgreifenden sozialen Revolution (denn nur diese hasste Ebert wie die Sünde64) mit dem Erreichen einer liberalen Demokratie zufriedengeben wollte. Sie dachte darüber hinaus über die Ausgestaltung einer sozialen Demokratie konkret nach.

      In der linken Arbeiterschaft wuchs dagegen ein Gefühl der Frustration. Vielerorts und insbesondere in den industriellen Zentren kam es zu General- und Massenstreiks, in Bremen und in München gründeten sich Räterepubliken. Nicht vor Mai 1919 beruhigte sich mit der Niederschlagung der zweiten Münchner Räterepublik vorerst die politische Lage, wobei die unheilvolle Dynamik aus „rotem“ und vor allem „weißem Terror“, der an Härte und Erbarmungslosigkeit kaum zu überbieten war, nicht nur hohe Opferzahlen hervorbrachte, sondern auch tiefe Furchen in die politische Kultur der jungen Republik zog. Attentate und Putschversuche belasteten sie bis ins Jahr 1923 weiterhin akut. Mit der ausgeprägten paramilitärischen Gewalt des Nachkriegs gegen nunmehr sogenannte „innere Feinde“ gingen zwischen 1919 und 1922 mehrere hundert politische, von Rechtsterroristen verübte Morde einher.65

      Aber nochmals zurück in der Chronologie: Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919 – erstmals in der deutschen Geschichte unter Beteiligung von Frauen – hatten die Parteien der „Weimarer Koalition“ (MSPD, Zentrum und DDP) immerhin mehr als drei Viertel der Stimmen auf sich vereinigt. Auch wenn diese Koalition bekanntlich 1920 wieder zerbrach, gab sie doch einer breiten Mehrheit im gemäßigt linken und bürgerlich-liberalen Spektrum Ausdruck. Schließlich konnte die USPD bei den Wahlen nur 7,6 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen, während die MSPD 37,9 Prozent, die Deutsche Demokratische Partei 18,5 und das Zentrum 19,7 Prozent erzielten. Diese Kräfteverhältnisse gilt es in Rechnung zu stellen, wenn man im Bruch der MSPD-USPD-Allianz einen besonders verhängnisvollen Vorgang sieht. Eine gewisse Fixierung der Revolutionsforschung auf Gruppierungen der Arbeiterbewegung im weitesten Sinne geht mit einer vergleichsweise randständigen Berücksichtigung anderer politischer Lager und Milieus in jener Zeit einher, ohne die sich jedoch kein adäquates Stimmungsbild dieser Wendezeit einfangen lässt.66

      Mit der Unterzeichnung des Versailler Vertrags am 28. Juni sowie mit der Verabschiedung der Weimarer Reichsverfassung am 31. Juli 1919 im Parlament sind schließlich die äußeren und inneren Rahmenbedingungen – es ließe sich auch von den zwei Grundgesetzen der Republik sprechen – für die weitere Entwicklung der ersten deutschen Demokratie fixiert worden. Die wesentlich vom liberalen Staatsrechtslehrer Hugo Preuß entworfene Weimarer Verfassung konstituierte das Reich als parlamentarische Republik. Auch das Verfassungswerk war von Anfang an umstritten: „In manchen juristischen Kollegien wird gescharrt, wenn das Wort ‚Reichsverfassung‘ fällt“, hielt Ernst Troeltsch bereits im Januar 1920 fest.67 Vor allem aber sollte es sich mit der Zeit herausstellen, wie sehr Verfassungstheorie und Verfassungswirklichkeit auseinanderklaffen konnten. Die Parteien der Weimarer Republik taten sich schwer damit, die zentrale Konfliktlinie eines parlamentarischen Systems, die zwischen Regierungsmehrheit und oppositioneller Minderheit verläuft, zu verinnerlichen. Vielmehr klammerten sie sich an die alte Trennlinie der konstitutionellen Monarchie – zwischen der Regierung auf der einen Seite und dem Reichstag auf der anderen.

      Der Systemwechsel war mithin vollzogen, ohne dass damit die Funktionslogik des neuen parlamentarisch-demokratischen Modus sogleich verinnerlicht worden wäre. Dies bedurfte der Zeit und eines Lernprozesses, der zwischenzeitlich durchaus erkennbare Fortschritte verzeichnete.68 Dies mag auch erklären helfen, weshalb in Deutschland – anders als in Italien – die Demokratie ungeachtet der schwerwiegenden Krisen bis in den Herbst 1923 hinein eine ganze Weile bestehen blieb. Und sicherlich ist es gerechtfertigt, ihrer weiteren Erprobung in Deutschland frei von einem pessimistischen Narrativ einige Aufmerksamkeit zu schenken. Gegen die These vom unwiderstehlichen Sog des Autoritär-Totalitären während der Zwischenkriegszeit, worin der Demokratieentwicklung wenig Eigenständigkeit, sondern vielmehr ein eher reaktiver Überlebenskampf als Grundmotiv zugewiesen wird,69 stehen solche Initiativen, die die Demokratie als Idee wie Handlungskategorie in den Mittelpunkt rücken. Sie sei die „fragile Normalität“ gewesen, die in eine „Hegemoniekrise“ geraten konnte und, vor allem ab der Weltwirtschaftskrise in den Jahren ab 1929, auch geriet.70 Es gilt mithin, die Weimarer Demokratie wie die Demokratien der Zwischenkriegszeit allgemein erst noch zu historisieren: jenseits von statischen Typologien und deterministischen Verfallstheorien. Ein solches Bestreben, das sei an dieser Stelle betont, lässt sich gut mit der Systemwechsel-Perspektive wie mit dem erfahrungsgeschichtlichen Ansatz einer Subjektivierung der Wahrnehmungswelten kombinieren.

       III. Bilanz eines erfolgreichen, aber vielgestaltigen und widersprüchlichen Systemwechsels

      Von