Название | Besonderes Verwaltungsrecht |
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Автор произведения | Mathias Schubert |
Жанр | Языкознание |
Серия | Schwerpunkte Pflichtfach |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783811453593 |
Die vom BVerfG[32] gezogenen Grenzen für die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung in der Vorwahlzeit haben Geltung auch für die Gestaltung der Öffentlichkeitsarbeit der Gemeinden vor einer Kommunalwahl (s. auch Rn 78). Das Recht auf chancengleiche Teilnahme an der Wahl wird durch Maßnahmen gemeindlicher Öffentlichkeitsarbeit allerdings nur dann verletzt, wenn die Grenzen zu unzulässiger Wahlwerbung in einem ins Gewicht fallenden, spürbare Auswirkungen auf das Wahlergebnis nahelegenden Umfang überschritten worden sind[33].
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Soweit die Funktionsfähigkeit einer kommunalen Vertretung gefährdet ist, darf der Gesetzgeber sie, wie dies für Bundestags- und Landtagswahlen vorgesehen ist (vgl § 6 III BWahlG: 5% – dazu BVerfGE 82, 322), auch hier durch eine sog. Sperrklausel absichern, doch unterliegt eine Sperrklausel in Höhe von 5% im Kommunalwahlrecht weitaus stärkeren Verfassungsbedenken[34].
Die Annahme einer drohenden Funktionsunfähigkeit beinhaltet eine Prognose, für die der zuständige Gesetzgeber alle Gesichtspunkte heranziehen und in eine Abwägung einstellen muss, die in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht für die Einschätzung der Erforderlichkeit einer solchen Sperrklausel erheblich sind. Zwar kommt auch im Kommunalwahlrecht als Rechtfertigungskriterium für Differenzierungen hinsichtlich der Grundsätze der Wahlgleichheit und der Chancengleichheit auch die Wahrung der Funktionsfähigkeit des zu wählenden Organs in Betracht. Welche Anforderungen insoweit zu stellen und ob diese tatsächlich erfüllt sind, muss für das Kommunalwahlrecht jedoch abweichend vom Parlamentsrecht gesondert beurteilt werden. Die Beurteilung hat anhand der konkreten Funktionen des zu wählenden Organs zu erfolgen, wobei insbesondere zu berücksichtigen ist, dass die kommunalen Vertretungskörperschaften keine Parlamente im staatsrechtlichen Sinne sind (siehe hierzu auch Rn 80), insbesondere keine Kreationsfunktion für eine Regierung haben[35].
Eine politische Partei kann im Wege des Organstreits geltend machen, die vom Wahlgesetzgeber vorausgesetzte tatsächliche oder normative Grundlage habe sich geändert oder die bei Erlass der Bestimmung getroffene Prognose habe sich als irrig erwiesen[36].
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Die Gesamtzahl der zu wählenden Vertreter richtet sich nach der Gemeindegröße und schwankt etwa in Niedersachsen (vgl § 46 NKomVG) zwischen sechs (für Gemeinden bis zu 500 Einwohnern) und 66 (für Gemeinden mit mehr als 600 000 Einwohnern).
b) Rechte und Pflichten
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aa) Die gewählten Ratsmitglieder haben umfassende Mitwirkungsrechte bei der Beratung und der Entscheidung in allen Gemeindeangelegenheiten[37]. Dabei besteht ein Recht auf gleichberechtigte Mitwirkung, das sich nicht nur auf das Abstimmungsverfahren – gleicher Zählwert der Stimmen –, sondern auch auf die der Abstimmung vorausgehende Beratung bezieht[38]. Dieses umfasst auch ein umfassendes Informationsrecht und einen Anspruch auf angemessene Unterrichtung, wobei der Umfang der Angemessenheit vom Einzelfall abhängt[39].
Beispiel:
Personalunterlagen vor der Wahl eines Beigeordneten[40] oder der Bestellung eines Amtsleiters[41].
Einschränkungen dieser Mitwirkungsrechte bestehen nur nach Maßgabe gesetzlicher Ausschließungsgründe, so bei konkreten Einwänden[42] in Gestalt von möglichen unmittelbaren Vor- und Nachteilen einer Entscheidung für den Betreffenden oder einen seiner Angehörigen (vgl Art. 49 bay.GO; § 24 m.v.KVerf.; § 41 NKomVG; §§ 43 II, 31 GO NRW).
Die Möglichkeiten der Geltendmachung resp. die Rechtsfolgen einer Verletzung des Mitwirkungsverbots sind unterschiedlich geregelt. Gemäß Art. 49 IV bay.GO, § 41 VI NKomVG und § 31 VI GO NRW hat die Mitwirkung eines wegen persönlicher Beteiligung ausgeschlossenen Ratsmitgliedes die Ungültigkeit eines Beschlusses nur dann zur Folge, wenn sie für das Abstimmungsergebnis entscheidend war. Dagegen ist gemäß § 22 VI rh.pf.GO und § 24 IV, V m.v.KVerf. eine entsprechende Entscheidung unwirksam. Sie gilt jedoch als von Anfang an wirksam, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten vom Bürgermeister oder von der Aufsichtsbehörde aufgehoben wird. Die Wirksamkeit tritt nicht gegenüber demjenigen ein, der vor Ablauf der Dreimonatsfrist einen förmlichen Rechtsbehelf eingelegt hat, wenn im Verlauf dieses Verfahrens der Mangel festgestellt wird[43].
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Der in diesen Bestimmungen niedergelegte Grundsatz der Unbefangenheit bei Beratung und Entscheidung von kommunalen Angelegenheiten hat zum Ziel, die auf einem Ausgleich der Individual- und Gemeinwohlinteressen beruhenden Rats- und Ausschussentscheidungen von individuellen Sonderinteressen der Gremienmitglieder freizuhalten, um so das Vertrauen der Bürger in eine unvoreingenommene Kommunalverwaltung zu stärken. Es soll bereits der Anschein von Korruption und Vetternwirtschaft vermieden werden. Diese Zielsetzung ist auch maßgeblich für die Interpretation der relevanten Tatbestandsmerkmale (wie „unmittelbarer Vorteil“)[44]. Zu Recht betont wird die Notwendigkeit einer wertenden Betrachtung der Verhältnisse des Einzelfalles und die Irrelevanz des tatsächlichen Bestehens einer Interessenkollision, sondern das Genügen einer entsprechenden Befürchtung und hierbei das Ausreichen einer konkreten Möglichkeit im Sinne einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Sondervorteils oder -nachteils[45].
Zu verbreiteter Unsicherheit in der kommunalen Praxis in NRW geführt hat eine OVG-Entscheidung, in der ein Mitwirkungsverbot für Schulhausmeister bei der Ratsentscheidung über die Abberufung des für den Schulbereich zuständigen städtischen Beigeordneten konstatiert wurde. Es ist jedoch nicht angängig, Aussagen, die mit Blick auf den dort festgestellten konkreten Interessenwiderstreit getroffen wurden, zu verallgemeinern[46].
Verlässt ein Ratsmitglied eine Sitzung in der irrigen Meinung, befangen zu sein, kann dies allein nicht zur Rechtswidrigkeit eines in seiner Abwesenheit gefassten Beschlusses führen. Rechtswidrig wäre ein solcher nur, wenn der Rat zu Unrecht eine Ausschlussentscheidung getroffen hätte[47].
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bb) Für ihre Tätigkeit stehen den Ratsmitgliedern Ansprüche auf Ersatz des Verdienstausfalls und auf angemessene Aufwandsentschädigung zu (vgl Art. 20a bay.GO; § 27 m.v.KVerf.; § 44 NKomVG; § 45 GO NRW).
cc) Obschon die Ratsmitglieder dem Status nach nicht einem Parlamentsabgeordneten gleichgestellt werden können – es fehlen konsequenterweise etwa Immunitäts- und Indemnitätsbestimmungen –, sind sie ebenfalls verpflichtet, in ihrer Tätigkeit ausschließlich nach dem Gesetz und ihrer freien, nur durch Rücksicht auf das öffentliche Wohl bestimmten Überzeugung zu handeln; sie sind an Aufträge nicht gebunden[48] (vgl § 23 III m.v.KVerf.; § 54 I NKomVG; § 43 I GO NRW). Ein sog. imperatives Mandat und ein förmlicher Fraktionszwang sind damit unzulässig. Spezielle Aussagen enthalten die Gemeindeordnungen über Verschwiegenheitspflichten[49] inkl. der Genehmigungspflicht für Zeugenaussagen usw (vgl § 23 VI m.v.KVerf.; § 40 NKomVG; §§ 30, 43 II GO NRW). Gegenüber ihrer Gemeinde stehen die Ratsmitglieder in einem besonderen Treueverhältnis (vgl § 42 NKomVG; §§ 32 I 1, 43 II GO NRW).
Daraus erwächst etwa gemäß Art. 50 bay.GO, § 26 m.v.KVerf., § 42 I NKomVG bzw § 32 I 2 GO NRW das Verbot, Ansprüche Dritter gegen die Gemeinde geltend zu machen, was namentlich für Rechtsanwälte Einschränkungen ihres Tätigkeitsfeldes mit sich bringt. Diese Bestimmungen gehören zum traditionellen Gemeindeverfassungsrecht und stellen typische kommunalrechtliche Kollisionsnormen dar. Streit besteht hinsichtlich einer Berührung des Schutzbereiches von Art.