Название | Philosophien der Praxis |
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Автор произведения | Группа авторов |
Жанр | Философия |
Серия | |
Издательство | Философия |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783846351345 |
Der Einsatz der hegelschen Philosophie zu praktischen Zwecken ging bei den Linkshegelianern einher mit einer Kritik der Religion, auf die hier kurz ein Blick geworfen werden soll, da die dort entwickelten theoretischen Ressourcen für die Praxiskonzeption insbesondere des frühen Marx nicht ohne Folgen blieben und sich hier exemplarisch vorführen lässt, inwiefern die Linkshegelianer Philosophie als Kritik einer Praxis betrieben.
|76|2.2.2. Kritik der politischen Verhältnisse
Neben den religionskritischen Denkfiguren, die vor allem von David Friedrich Strauß (1808–1874) durch sein Buch Das Leben Jesu (1835), in die Debatte eingeführt und im Gefolge in radikalisierter Form von Ludwig Feuerbach und Bruno Bauer (1809–1882) vorangetrieben wurden, finden sich zudem geschichtsphilosophische Denkfiguren, die explizit fordern, das hegelsche Primat der theoretischen Philosophie durch eine Form der Praxis zu ersetzen.
Während Gans sich diese Praxis noch als sukzessive Realisierung des von Hegel normativ Geforderten vorstellte, halten Arnold Ruge (1802–1880) – der als Herausgeber zahlreicher kritischer Publikationsorgane der Linkshegelianer eine wichtige Figur für die publizistische Wirksamkeit der Gruppe darstellte – und Moses Hess (1812–1875) gerade auch das eigene primär publizistische Handeln bereits für eine Realisierung der geforderten Praxis. Die Philosophie müsse als Mittel der Kritik der politischen Verhältnisse das Katheder verlassen und gesellschaftlich wirksam werden. Hier zeigt sich, dass die eingeforderte Praxis auch eine Lebensform zum Ausdruck bringen sollte, in welcher der Philosoph sich durch seine publizistische Tätigkeit selbst als Moment der Veränderung begreift. Diese mit großer Emphase eingeforderte Praxis bleibt bei den Linkshegelianern aber begrifflich unterbestimmt. Ihre Funktion ist eher rhetorisch zu erfassen und in der wechselseitigen Bestärkung und Sehnsucht nach Überwindung der politischen Verhältnisse zu sehen. Ihre negative Funktion zeigt die Praxisemphase durch die Abkehr bzw. Überwindung der hegelschen Philosophie, wobei insbesondere deren Abgeschlossenheit kritisiert wird, die die Möglichkeit weiterer sinnvoller politischer Veränderungen auszuschließen scheint. Daher versuchen die Linkshegelianer eine Depotenzierung des absoluten Geistes auf die Geschichtsphilosophie vorzunehmen (vgl. Quante 2009b), die zugleich um die Dimension der Zukunft erweitert wird. Arnold Ruge behauptet in seinen geschichtsphilosophischen Aufsätzen etwa, dass eine Veränderung der politischen Verhältnisse letztlich unvermeidlich sei, um so die Politiker dazu zu bewegen, diese Veränderungen herbeizuführen, da diese ansonsten nicht durch eine Reform, sondern durch eine Revolution einträten (vgl. Rojek 2015) und daher die Gefahr des Fanatismus bestehe (vgl. Ruge 1841, 289ff).
Die Praxis-Emphase wird von Ruge dabei nicht als bloß voluntaristisches Handeln aufgefasst, sondern unter Rückgriff auf Hegels Geschichtsphilosophie konzipiert, dessen System aber um die Dimension des absoluten Geistes gekürzt wird (Ruge 1840, 403). Die philosophische Theoriebildung behält auch im Rahmen der geforderten Praxis eine zentrale Leitfunktion für die zu realisierende politische Tätigkeit und Reform, wie Ruge in seinem Aufsatz zu Theorie und Praxis hervorhebt, der als Vorwort der Hallischen Jahrbüchern diente (vgl. Ruge 1841).
Ruges theoretische Einbindung der Praxis, sowie sein Zögern gegenüber den Forderungen nach einer gewalttätigen revolutionären Praxis, ist exemplarisch für die Junghegelianer, deren faktische Praxis sich im Wesentlichen auf publizistische |77|Provokationen und polemische Debatten beschränkte, zum Teil aber auch erste Formen politischer Performance als Provokationsmittel hervorbrachte, so etwa bei der als Parodie auf kirchliche Weihen inszenierten Hochzeit zwischen Max Stirner und Marie Dänhardt (vgl. Eßbach 1988, 290–295).
Moses Hess brachte die Praxis-Emphase der Linkshegelianer auf das Schlagwort einer „Philosophie der That“, wobei er, eine Denkfigur Feuerbachs aufgreifend, den anderen Linkshegelianern vorwarf, diese Praxis noch gar nicht erreicht, sondern letztlich – wie Hegel – noch in der Theologie und mithin abstrakten Forderungen steckengeblieben zu sein (vgl. Hess 1843, 219). Er fordert dagegen emphatisch: „Es ist jetzt die Aufgabe der Philosophie des Geistes, Philosophie der That zu werden.“ (ebd.) Die Rede von der ‚Tat‘ dient hier ähnlich wie ‚Praxis‘ als emphatischer Ausdruck einer publizistischen Arbeit, die die gesellschaftlichen Verhältnisse verändern können soll (vgl. Stuke 1963).
Hess verband seine Kritik an den religionsphilosophischen Debatten der Linkshegelianer mit konkreteren Vorstellungen darüber, wie eine bessere Gesellschaft und politische Organisation auszusehen habe, da er sozialistische und anarchistische Literatur rezipierte. So waren es auch Hess und der junge Friedrich Engels, die durch zwei ihrer Aufsätze Marx deutlich machten, dass eine Kritik der herrschenden Praxis an den ökonomischen Verhältnissen anzusetzen habe (vgl. Hess 1845; Engels 1844).
2.2.3. Max Stirner
Im Jahre 1844 erschien das Buch Der Einzige und sein Eigentum von Johann Kaspar Schmidt (1806–1856) alias Max Stirner. Er hatte sich seit seinem Studium (u.a. bei Hegel) in Berlin in den linkshegelianischen Kreisen aufgehalten und sich mit einigen Beiträgen in den einschlägigen Publikationsorganen an den polemischen Debatten beteiligt (vgl. Stirner 1986). In seinem Buch radikalisierte er die bei den Linkshegelianern übliche Strategie, die verfochtenen theoretischen Weiterentwicklungen als religiös oder theologisch zu entlarven.
Stirners Kritik richtet sich darauf, dass man durch die Subjekt-Prädikat-Vertauschung im Sinne Feuerbachs sich zwar nicht mehr direkt auf Gott beziehe, jedoch seien diejenigen Ausdrücke, die an die Subjekt-Stelle treten, immer noch Allgemeinbegriffe, wie etwa das feuerbachsche ‚Gattungswesen‘ des Menschen (vgl. Stirner 1845, 58). Stirner hält jede Festlegung von Wesensaussagen mittels allgemeiner Begriffe für eine Unterdrückung seiner eigenen Freiheit, die durch die mit diesen Begriffen verbundenen normativen Ansprüche eingeschränkt werde. Gerade darin zeige sich die Nicht-Überwindung der Religion. Strukturell wiesen sämtliche Theorien der Linkshegelianer nach wie vor die Bezugnahme auf eine höhere, das einzelne Individuum übersteigende Instanz auf, was als paternalistisch abgewiesen wird.
Was soll nicht alles Meine Sache sein! Vor allem die gute Sache, dann die Sache Gottes, die Sache der Menschheit, der Wahrheit, der Freiheit, der Humanität, der Gerechtigkeit; ferner die Sache Meines Volkes, Meines Fürsten, Meines Vaterlandes; endlich gar die Sache des Geistes und tausend andere Sachen. Nur Meine Sache soll niemals Meine Sache sein. ‚Pfui über den Egoisten, der nur an sich denkt!‘ (Stirner 1845, 13)
|78|In diesem Zitat führt Stirner sukzessive diejenigen Begriffe auf, die bei restaurativen politischen Positionen oder linkshegelianischen Theorien zentral waren, und weist sie im Namen seiner individuellen Entscheidung zurück. Als Eigentum des Einzelnen zähle nur dasjenige, was jemand sich selbst zuzuschreiben bereit sei, und auch nur, solange er dazu bereit sei. Mit dieser radikal-aufklärerischen Position zählt Stirner – der auch Überlegungen zu nicht-staatlicher Kooperation entwickelte (vgl. Stirner 1845, 310–312) – zu den frühen Vordenkern eines Individualanarchismus (vgl. Loick 2017, 55–61). Gegen die linkshegelianische Kritik, durch die zum einen eine politische Änderung provozierende Praxis ausgeübt und zum andern eine die Veränderung herbeiführende politische Praxis erzwungen werden sollte, schreibt er konsequent an (Stirner 1845, 368).
Mit seiner radikalen Einstellung entzieht er den linkshegelianischen Debatten den Boden, da die Möglichkeit einer materialen, normativen Geschichtsphilosophie unter Einbezug der Zukunft ja gerade wesentliches Merkmal der Philosophie der Tat als Überwindung der restaurativen politischen Verhältnisse ist. Stirner kritisiert an diesen Debatten, neben ihrem paternalistischen Einschlag, insbesondere deren Instrumentalisierung der Individuen für abstrakte politische Ziele, deren Realisierung in der Zukunft anstehe und die vom Einzelnen Opferbereitschaft fordern. Stirner stellt dem eine individualisierte und dezisionistische Praxis entgegen (vgl. etwa Stirner 1845, 157).
Seine Vorstellung der Praxis verabschiedet sich damit von Geschichtsphilosophie und komplexen Zukunftsvorstellungen und kann die linkshegelianischen Vorstellungen polemisch als ‚bloß theoretisch‘ abtun. Tatsächlich gelang es den Linkshegelianern kaum, eine adäquate Antwort auf Stirner zu finden, dessen Kritik so radikal ausfiel, dass die bisher geteilten Überzeugungen nun insgesamt in Frage standen (vgl. Quante