Lebensmittelmanagement. Jochen Hamatschek

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Название Lebensmittelmanagement
Автор произведения Jochen Hamatschek
Жанр Зарубежная деловая литература
Серия
Издательство Зарубежная деловая литература
Год выпуска 0
isbn 9783846340059



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Verfügbarkeit von Lebensmitteln bei ausreichend finanziellen Mitteln und ein gleichzeitig viel zu geringer Leistungszuwachs müssen im Zusammenhang gesehen werden. Das Körpergewicht eines Menschen ist ein Ausdruck seiner gesamten Lebenssituation, insbesondere die Bewegungsarmut verschärft die Sachlage. Paläoanthropologen errechneten aus dem Schweifgebiet heute noch existierender Jäger- und Sammler-Kulturen einen täglichen Fußmarsch des Steinzeitmenschen von 30 bis 40 Kilometern. Die Alpenüberquerung des Eismenschen Ötzi zu Fuß war zu dieser Zeit nichts Außergewöhnliches. Für die Zeit vor 150 Jahren, vor der Erfindung des Automobils, wird die täglich zu Fuß zurückgelegte Strecke noch mit über 20 Kilometer angegeben, vor 70 Jahren war sie bereits auf rund 10 Kilometer gesunken. Heute legen 80 Prozent der Bevölkerung am Tag weniger als einen Kilometer zu Fuß zurück. Mangelnde Bewegung äußert sich nicht nur in einem verringerten Leistungszuwachs, die geringere Durchblutung von meist im Ruhestadium befindlichen Organen schwächt zudem das Immunsystem. Die Ausschüttung von Glückshormonen in den Hirnzellen, hauptsächlich der Endorphine, unterbleibt. Dafür verbleiben Stresshormone, wie Adrenalin oder Cortisol, länger im Blut. Der menschliche Steinzeitkörper belohnt sich auch heutzutage noch für getane Arbeit und reagiert auf Dauer ungehalten bei Trägheit. Ernährung und Bewegung sind letztlich viel mehr als nur die bestimmenden Größen für das Körpergewicht. Sie wirken gleichermaßen auf die Psyche.

      3.3 Sucht, Depression, Narzissmus –drei apokalyptische Reiter des Managements

      Suchtmittel verursachen in Deutschland zunehmend gravierende gesundheitliche, soziale und volkswirtschaftliche Probleme. Etwa 16 Millionen Menschen rauchen, 1,3 Millionen sind vom Alkohol und 1,4 Millionen von Medikamenten abhängig. 600 000 Menschen in Deutschland weisen einen problematischen Cannabiskonsum auf, 200 000 konsumieren sonstige illegale Drogen und bis zu 600 000 gelten als glücksspielsüchtig. Aktuelle internationale Studien gehen von 1,6 bis 8,2 Prozent abhängigen Internetnutzern aus (Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung 2011). Eine Studie der Techniker Krankenkasse (Techniker Krankenkasse 2011) stellte darüber hinaus sowohl bei jungen Erwerbstätigen als auch bei Studierenden in den letzten fünf Jahren eine zunehmende Verordnung von Antidepressiva fest. Bei beiden Gruppen stieg die Zahl um über 40 Prozent (2006–2012) an. Der Drogen- und Suchtbericht 2009 der Drogenbeauftragten der Bundesregierung (Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung 2009) spricht von mindestens 73 000 Toten als Folge übermäßigen Alkoholkonsums in Deutschland (zum Vergleich: Tod durch illegale Drogen: 1 477 Fälle, Tod als Folge des Tabakrauchens: 110 000 Fälle). Man schätzt, dass etwa 250 000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene unter 25 Jahren stark alkoholgefährdet oder -abhängig sind. Das Robert Koch-Institut errechnete 2004 den volkswirtschaftlichen Schaden durch Alkoholmissbrauch auf 20 Milliarden Euro. Dem stehen ca. 2,2 Milliarden Euro staatliche Einnahmen durch Alkoholsteuern sowie ca. 2,5 Milliarden Euro Mehrwertsteuer gegenüber. Die Alkoholindustrie in Deutschland setzt zwischen 15 und 17 Milliarden Euro um und beschäftigt rund 85 000 Menschen. In Europa stirbt einer von zehn Menschen vorzeitig an den Folgen seines Alkoholkonsums (Robert Koch-Institut 2012).

      Alle Abhängigkeiten, das gilt auch für Übergewicht und Adipositas, können sich zu schweren Krankheiten ausweiten, die auch nicht hinter dem Werkstor und vor keiner Hierarchieebene haltmachen. Manager sind als Führungskräfte bei der Erkennung und Hilfestellung gefordert, sie tragen Verantwortung für das Unternehmen, für ihre Mitarbeiter und nicht zuletzt für sich selbst. Im Folgenden werden einige dieser Abweichungen vom menschlichen Normverhalten behandelt, die einem Unternehmen beträchtlichen Schaden zufügen können, wenn sie nicht aufgedeckt und neutralisiert werden: Die Abhängigkeit von Rauschmitteln (Sucht), die psychische Niedergeschlagenheit in Form einer Depression oder des Burn-out sowie die narzisstische Persönlichkeitsstörung als Leitneurose des 21. Jahrhunderts, die sich zu einer pathologischen Form auswachsen kann. In vielen Fällen spielt eine bestimmte Region im Gehirn eine tragende Rolle, die zuerst betrachtet werden soll.

      3.3.1 Das Belohnungssystem

      Das Belohnungssystem des Menschen ist das Eingangsportal für jede Art von Zufriedenheit, aber auch für jede Art von Sucht. Es besteht aus mehreren miteinander verketteten Zentren an der Unterseite des Großhirns. Kommen dort sensorische oder optische Reize aus den verschiedenen Bereichen des Körpers an, die sich im Zuge der Evolution für den Menschen als nützlich herausgestellt haben, wird der Botenstoff Dopamin freigesetzt und in der vorderen Großhirnrinde verteilt. Dabei entsteht ein Gefühl von Lust und Genuss. Was für das Überleben des Steinzeitmenschen hilfreich war, wurde durch „gute Gefühle“ belohnt, so war er stets motiviert, sich immer wieder um Essen, Trinken oder die Befriedigung seiner Sexualität zu bemühen.

      Merksatz

      Die Aktivierung des Belohnungssystems ist eine Komponente normalen menschlichen Verhaltens, die auch das Leben in einer Gemeinschaft erleichtert und mit Glücksgefühlen verbindet. Individuelles Glück und Nützlichkeit für die Gemeinschaft stehen im Zusammenhang.

      Zur psychischen Stabilität eines Menschen sind „gute Gefühle“ zwingende Voraussetzung. Das Streben nach derartigen Glücksgefühlen ist deshalb etwas zutiefst Menschliches. Praktisch alles, was auf das Belohnungssystem wirkt, hat aber Suchtpotenzial und kann zu zwanghafter Jagd danach führen.

      Die Psychologie kennt eine Unmenge von Aktivitäten, auf die das Belohnungssystem anspricht. Das Spektrum seiner Begierde reicht von einer Befriedigung durch intensive Arbeit, ein anregendes Gespräch, ausdauerndes Laufen, gutes Essen und natürlich durch Sexualerlebnisse. Es reagiert auf die Erregung bei Extremsportarten, beim Genuss von Nikotin, beim Lesen faszinierender Texte, bei Computerspielen und selbstverständlich spricht es auf all jene Mittel an, die unter dem Begriff Droge konsumiert werden. Wer sich auf diese harten Suchtmittel einlässt, hat kaum eine Chance, ihnen zu entgehen. Ob es bei den zuvor genannten Mitteln zur Sucht kommt, hängt von vielen Faktoren ab. Intensiv diskutiert wird eine genetische Komponente, die mit der Umwelt in noch nicht richtig verstandener Wechselwirkung steht. Sicher spielt auch das soziale Umfeld eine entscheidende Rolle (Gassen 2008).

      Wird das Belohnungssystem in einem ausgeglichenen, zufriedenen Leben vielfältig angesprochen, verliert ein einzelner Suchtfaktor seine Bedeutung. Verkümmern die sozialen Momente, egal aus welchem Grund, reduziert sich menschliches Handeln irgendwann nur noch auf ein einziges Thema, das den Betroffenen zu beherrschen beginnt. Dann dreht sich der Tagesablauf allein um die Beschaffung von Drogen wie Heroin oder Alkohol, um die Arbeit bis zum Anschlag oder das tägliche Training bis zur Erschöpfung. Eine Überraschung war in den letzten Jahren die traurige Erkenntnis, dass sogar Essen das Stadium einer Sucht erreichen kann.

      Merksatz

      Sucht bedeutet letztendlich die Reduktion des sozialen Wesens Mensch auf ein einziges Bedürfnis, dem alles andere untergeordnet wird.

      Selbst Motivation ist letztendlich eine Reaktion auf „Glücksgefühle“, die durch ein spezifisches Handeln erzeugt werden können: „Ich mache etwas gerne, weil dadurch die Nervenzellen meines Belohnungszentrums Dopamin freisetzen und mir ein gutes Gefühl vermitteln“. Erfährt ein Kind nur Gewalt und Aggressivität, ist die Gefahr groß, dass das Belohnungssystem des Erwachsenen darauf anspricht und er „mit Lust töten kann“. Auch stressinduzierte Hormone bewirken eine Ausschüttung von Dopamin und sind in der Lage, ein positives Gefühl zu erzeugen. So bekommt sogar Stress Suchtpotenzial.

      Neuere Erkenntnisse der Neurowissenschaften belegen, dass das Belohnungssystem auch beim Einkauf aktiviert werden kann. Der Blick auf ein Schnäppchen oder ein besonders attraktiver Preisnachlass zeigt in bildgebenden Scan-Verfahren an derselben Stelle Hirnaktivitäten, die bei sexueller Betätigung oder beim Rauchen aktiv sind. Ein Rabattschild scheint einen Reiz auszuüben, der uns nützlich ist und die Ratio beeinträchtigt. Der vielleicht immer noch überhöhte Endpreis wird in den Hintergrund gedrängt. Marketing und Verkauf machen sich diese Erkenntnis intensiv zunutze.

      Im Management besteht aufgrund der permanenten hohen Belastung eine große Suchtgefahr durch alles, was das Belohnungssystem anspricht. Soziale Abfederung und breit gefächerte Interessen sind ein wirksames Mittel gegen die Reduktion des Lebens auf die Arbeit allein.

      3.3.2