Einführung in die Publizistikwissenschaft. Группа авторов

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Название Einführung in die Publizistikwissenschaft
Автор произведения Группа авторов
Жанр Социология
Серия
Издательство Социология
Год выпуска 0
isbn 9783846321706



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href="#ulink_c80bee62-362c-5abf-9d8f-c05eb7834dce">Abbildung 1). Kausalität wird also nicht auf Einzelvariablen, sondern auf komplexe Konfigurationen von „notwendigen“ und „hinreichenden“ Bedingungen zurückgeführt. Für die komplexere Datenanalyse stehen speziell entwickelte Computerprogramme zur Verfügung; deren Auswertungslogik basiert auf Mengentheorie, logischer Kombinatorik und sogenannten Wahrheitstafeln. Ein kommunikationswissenschaftliches Anwendungsbeispiel der QCA ist Nguyen Vu (2010).

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      9 Anwendungsfelder des Vergleichs

      Zur Beantwortung der Kernfrage, inwiefern Faktoren des Kommunikationskontextes in charakteristischer Weise mit dem Untersuchungsgegenstand interagieren, sind für verschiedene Bereiche unseres Faches

      Drei Anwendungsfelder, für die Mehrebenenheuristiken entwickelt wurden

      hilfreiche Mehrebenenheuristiken entworfen worden. Hierzu zählt das an Stephen Reese angelehnte Modell der mehrschichtigen Einflussfaktoren im internationalen Journalismus, die Mediensystemtypologie von Daniel Hallin und Paolo Mancini sowie das Konzept des Politischen Kommunikationssystems von Jay Blumler und Michael Gurevitch. Entsprechend wenden wir uns diesen Feldern zu.

      9.1 Journalismus im Vergleich

      Forschungsinteresse: Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Professionskultur und Nachrichtenstilen erklären

      In der komparativen Journalismusforschung geht es u. a. um die Frage, ob es eine einheitliche oder ob es unterschiedliche professionelle Einstellungen und Kulturen gibt und welche Bedeutung dies für die Produktion der Medieninhalte hat. Es spricht viel für die Annahme verschiedener professioneller Kulturen, wobei ihre Grenzen unterschiedlich bestimmt werden. So unterscheidet beispielsweise Donsbach (vgl. Donsbach/Klett 1993; Donsbach/Patterson 2003) auf Basis einer 5-Länder-Befragung von Nachrichtenjournalisten zwischen einer anglo-amerikanischen (USA, GB) und einer kontinental-europäischen (SW, D, IT) Professionskultur, wohingegen Heinderyckx (1993) auf Basis einer 8-Länder-Inhaltsanalyse von Fernsehnachrichtensendungen eine nordisch-germanische (GB, D, NL) von einer romanischmediterranen (F, IT, ES) abgrenzt. Gute Überblicke über die zentralen Einzelstudien und die bisherigen Befunde der vergleichenden Journalismusforschung finden sich bei Esser (2004), Donsbach (2008) sowie Hanitzsch (2009a).

      Erklärungen für Gemeinsamkeiten und Unterschiede im westlichen Journalismus können auf verschiedenen Analyseebenen verortet werden

      Eine Fülle von Einzelfaktoren, die sich auf verschiedenen Analyseebenen anordnen lassen, können für die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Journalismussystemen oder -kulturen verantwortlich gemacht werden (vgl. den Beitrag Journalismusforschung, i. d. B.). Beginnen wir mit den Gemeinsamkeiten: Journalisten westlicher Industrieländer zeigen eine hohe Angleichung hinsichtlich Durchschnittsalter, Schichtenrekrutierung, Frauenanteil, Bildungsgrad, Anstellungsverhältnis, Mediensektorzugehörigkeit und Arbeitszufriedenheit, was |40◄ ►41| auf die Anwendung ähnlicher Kriterien bei der Personalrekrutierung, -positionierung und -ausbildung in westlichen Medienorganisationen zurückgeführt werden kann. Unterschiede haben internationale Journalistenbefragungen v. a. hinsichtlich der beruflichen Einstellung und Aufgabenselbstverständnisse aufgedeckt. Hier zeigen sich in den Journalistenpopulationen westlich-pluralistischer Industrienationen erstens Unterschiede hinsichtlich Investigativgeist und Selbstverständnis der Presse als demokratiekontrollierende Vierte Gewalt (was u. a. auf Divergenzen der politischen Kultur und anderer gesamtgesellschaftlicher Kontextfaktoren zurückgeführt werden kann); zweitens hinsichtlich Recherchebereitschaft und -verhalten (was u. a. auf Divergenzen bei der Herausbildung des Reporter-Berufsbildes und anderer medienorganisationaler Kontextfaktoren zurückgeführt werden kann); drittens hinsichtlich der Trennungsnorm von Nachricht und Meinung (was u. a. ebenfalls auf medienorganisationale Prinzipien–Grad der Arbeitsteilung und redaktionellen Kontrolle–zurückgeführt werden kann); sowie viertens hinsichtlich Berichterstattungsabsichten und Informationsbeschaffungsmethoden (deren Unterschiede sich auf der Ebene des gesamtgesellschaftlichen Kontextes mit allgemeinen Normen und dem Rechtssystem, auf der Ebene der Medienorganisationen mit der Organisation redaktioneller Tätigkeiten erklären lässt). Es wird deutlich, dass die komparative Journalismusforschung zur Erklärung von Unterschieden und Gemeinsamkeiten auf ein mehrschichtiges Modell von Einflussfaktoren zurückgreift, an deren Konzeption Reese (2001), Esser (2004), Donsbach (2008) und Hanitzsch (2009b) mitgewirkt haben.

      Es gibt Angleichungen im westlichen Journalismus, aber keine Einebnung nationaler Distinktionen

      Insgesamt kommt die Forschung zum Ergebnis, dass es unterschiedliche professionelle Kulturen gibt, die sich durch Prozesse der Europäisierung, Amerikanisierung oder Globalisierung bislang nicht eingeebnet haben. Unterschiede können vor allem durch Einflussfaktoren der nationalgesellschaftlichen Mediensystemebene (mit ihren divergierenden kulturellen, politischen, rechtlichen Bedingungen) erklärt werden; Gemeinsamkeiten durch die darüber liegende, supranationale Ebene (mit ihrer grenzüberschreitenden Diffusion von Ausbildungsstandards, Nachrichtenwerten, Informationsströmen) sowie die darunterliegende Medienorganisations- und Mediensektorebene (mit ihren konvergierenden technologischen und ökonomischen Bedingungen). Hebt man die Beschränkung auf die westliche Hemi-sphäre

      Herausforderung: global gültige Erklärungen und Modelle

      auf und blickt auf den Journalismus verschiedener Kontinente, zeigen sich weltweit fundamentale Unterschiede, an deren Erklärung die Forschung noch arbeitet (vgl. Weaver 1998; Hanitzsch/Seethaler 2009).

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      9.2 Mediensysteme im Vergleich

      Einen anderen Blick auf Journalismussysteme bietet Mancini (2005). Er ist weniger an aktuellen Befunden interessiert, sondern macht

      Erklärungen für Mediensystemunterschiede setzen historischinstitutionell an

      historische Ursprünge für die Ausprägung von Mediensystemen verantwortlich. Ihm zufolge haben sich europäische Medien in grösserer Nähe zur Politik entwickelt–und sich häufig auch stärker mit politischen Interessen identifiziert. Dies habe eine grössere Parteilichkeit der Berichterstattung begünstigt. Dagegen hätten amerikanische Medien seit ihren Anfängen weniger starke Verbindungen zur Politik unterhalten und sich eher kommerziell auf ein Massenpublikum ausgerichtet. In den früh entwickelten angloamerikanischen Massenzeitungen sei Politik–wenn sie überhaupt vorkam–eher neutral dargestellt worden, um potenzielle Leser nicht vor den Kopf zu stossen. Neben Politiknähe und Parteilichkeit zeichneten sich die Ursprünge des europäischen Journalismus ausserdem durch eine Nähe zur Literatur aus, was einen anspruchsvolleren Schreibstil mit einem Hang zu Interpretation, Analyse, Belehrung, Aufklärung und Kommentierung begünstigt habe–Publizisten hätten sich als Teil der intellektuellen Elite gesehen. Dagegen habe das angelsächsische Journalismusideal andere Wurzeln: unelitärer, vermittelnder, faktenzentrierter, newsorientierter. Für den eher politiknahen, parteilichen, interpretierenden Journalismus in Europa gebe es schliesslich noch einen letzten Grund, nämlich die grössere Involviertheit des Staates. Der sich in die Presse- und Rundfunkordnung einmischende Staat, der entweder wohlfahrtsstaatlich reguliert oder die Medien für eigene Zwecke instrumentalisiert, hat in Europa lange Tradition. Dies sei in den USA ganz anders verlaufen, wo der Markt anstatt des Staates herrsche. Daher hätten sich dort ein staatlich geschützter öffentlicher Rundfunk, staatliche Pressesubventionen oder eine ausdifferenzierte Mediengesetzgebung nicht recht entwickeln können. Mancini anerkennt, dass es sowohl im Kreise der angelsächsischen wie der kontinentaleuropäischen Systeme gravierende Unterschiede zwischen den Einzelländern|42◄ ►43| gibt. Daher ist von der Existenz mehrerer Mediensystemtypen im Westen auszugehen.

      Forschungsinteresse: Zentrale Vergleichsdimensionen bestimmen, die die Unterscheidung verschiedener Mediensystemmodelle erlauben

      Eine solche theoriegeleitete Unterscheidung westlicher Mediensysteme entwickelte Mancini mit seinem amerikanischen Kollegen Hallin (Hallin/Mancini 2004). Ihre Typologie unterscheidet Mediensysteme nach vier Einflussfaktoren: (1) Kommerzialisierung: Gab es eine starke Entwicklung zur massenorientierten, auflagenstarken Presse, oder blieb die Presse eher elitenorientiert und damit auflagenschwächer? (2) Politisierung: Gibt eine starke