Название | Einführung Gerontopsychologie |
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Автор произведения | Ben Godde |
Жанр | Документальная литература |
Серия | PsychoMed compact |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783846345672 |
In der Entwicklungspsychologie – aber auch der Entwicklungsbiologie – wurde bei der Analyse von Entwicklungsverläufen lange Zeit der Standpunkt vertreten, dass Entwicklungs- und Alternsprozesse kaum beeinflussbar sind. Seit den frühen 1970er Jahren gewinnt jedoch das Grundkonzept der Variabilität zunehmend an Bedeutung. Beruhend auf der Erkenntnis, dass Entwicklungsverläufe variabel sind und jeder Verlauf einer von vielen möglichen ist, zeigen Befunde, dass
Es können zwei Typen der Variabilität unterschieden werden. Während interindividuelle Variabilität Unterschiede zwischen Personen bezüglich bestimmter Verhaltensvariablen beschreibt, bezieht sich der Begriff der intraindividuellen Variabilität auf Unterschiedlichkeiten bzw. die Veränderbarkeit innerhalb einer Person bezüglich verschiedener Verhaltensvariablen oder hinsichtlich einer bestimmten Variable über die Zeit hinweg (Abbildung 2.5, Kapitel 6: Psychologisches Altern).
Plastizität
Inter- und intraindividuelle Variabilität sind Ausdruck der Plastizität von Entwicklungsverläufen. Sie zeigen, wie unterschiedlich Entwicklungsverläufe, in Abhängigkeit interner und externer Einflussfaktoren auch bei gleichen genetischen Voraussetzungen, sein können. Plastizität wird sowohl durch biologische Voraussetzungen (wie Gene) bestimmt als auch durch Umwelt und Erfahrung (leistungsfördernde Unterstützung u. Ä.). Sie ist die Konsequenz der dynamischen Interaktion oder Verschmelzung von Charaktermerkmalen des Organismus eines Individuums und spezifischer Erfahrungen, die über die Lebensspanne gesammelt werden (Lerner, 1998).
Abb. 2.5: Beziehung zwischen interindividuellen und intraindividuellen Differenzen (Baltes & Kindermann, 1985).
* 1. und 2. Messung können sich im Zeitpunkt, in der Testbedingung oder in der Verhaltensweise unterscheiden.
Plastizität „[…] bezeichnet das Potential, welches Individuen zu verschiedenen Verhaltensformen und Entwicklungsverläufen befähigt“ (Baltes, 1990, S.11).
Der Begriff der Plastizität von Entwicklungsverläufen ist zentral für die Psychologie der Lebensspanne (Baltes, 1990) und auch in den Neurowissenschaften, welche sich mit dem Altern beschäftigen (Kapitel 5 und 6). Plastizität meint Veränderungen auf Neuro- und Verhaltensebene, innerhalb eines begrenzten Bereichs minimaler und maximaler Leistungsfähigkeit.
Potenziale
In der Psychologie der Lebensspanne beschreibt der Begriff Plastizität das Potenzial des normativen Entwicklungsverlaufs im Alter, innerhalb eines Individuums, und kann sich sowohl auf kognitive Funktionen als auch auf Persönlichkeitsmerkmale beziehen. Plastizität zeigt sich dabei sowohl im Bereich der Mechanik als auch der Pragmatik der Intelligenz (s. Kapitel 6). Beispielsweise kann eine ältere Person dem zu erwartenden kognitiven Abbau durch kognitiv anfordernde Tätigkeiten oder kognitives Training entgegenwirken (s. Kapitel 9).
In den Neurowissenschaften wird unter Plastizität die Veränderbarkeit des Gehirns in Folge von Erfahrung und Interaktion mit der Umwelt verstanden. Nach Mora et al. (2007) bestimmen individuelle Lebensstile und Eigenschaften der Umwelt, ob Gehirnplastizität induziert wird und ob das zu einer Verbesserung oder auch Verschlechterung der Hirnfunktionen und kognitiven Leistung führt.
Eine „klassische“ Studie von Kliegl et al. (1989) verdeutlicht, dass Plastizität auch im Alter erhalten bleibt. Die Aufgabe von vier jüngeren (M = 22.8 Jahre) und 20 älteren Erwachsenen (M = 71.7 Jahre) bestand in dem Erinnern von 40 Wörtern, die den Probanden jeweils im Prä- und Posttest vorgelegt wurden. Zwischen Prä- und Posttest wurden die Probanden in eine Erinnerungstechnik, die „Methode der Orte“ eingewiesen. Hierbei stellt man sich in Gedanken z. B. den Weg zur Arbeit vor und legt unterwegs an markanten Orten die zu merkenden Begriffe ab. Während sich die jüngeren und älteren Erwachsenen im Prätest nicht signifikant in ihrer Behaltensleistung unterschieden, ändert sich dieses Bild nach Beendigung der Trainingssitzungen. Durch das Training wurden bei beiden Altersgruppen beträchtliche Leistungssteigerungen erreicht, die jüngeren Erwachsenen erzielten jedoch signifikant höhere Zugewinne als die älteren Erwachsenen. Für das Konzept der Plastizität bedeutet dies, dass zwar in beiden Altersgruppen eine hohe Plastizität besteht, dass diese bei den Jüngeren aber größer sein kann als bei den Älteren.
Lange Zeit glaubte man, dass sich die Persönlichkeit ab einem Alter von ca. 30 Jahren nicht mehr verändert (Costa & McCrae, 1998). Neuere Befunde zeigen Plastizität jedoch auch für Persönlichkeitsmerkmale wie Offenheit, emotionale Reife oder Neurotizismus (Kessler & Staudinger, 2007; Staudinger et al., 1993).
Kontextualismus
Wechselwirkung dreier Systeme
Entwicklung wird sowohl durch biologische Voraussetzungen (z. B. Gene) bestimmt als auch durch Umwelt und Erfahrung (z. B. leistungsfördernde Unterstützung). Darüber hinaus muss Entwicklung auch im Kontext betrachtet werden. Im Sinne des Kontextualismus resultiert jeder individuelle Entwicklungsverlauf aus der Wechselwirkung dreier Systeme von Entwicklungseinflüssen: normativ altersbedingte, normativ historisch bedingte und nicht normative/idiosynkratische Einflüsse. Jede dieser Ursachen beeinflusst die individuelle Entwicklung und bewirkt die kontinuierliche Veränderung.
Normative altersbedingte Einflüsse
Normative altersbedingte Einflüsse umfassen organismische und umweltbezogene Merkmale, die zu vorhersagbaren Verhaltensänderungen führen und eine variable Altersbindung zeigen. Hierzu zählen das Lebensalter, die Genetik, das Wachstum, die Reifung, das Geschlecht, die psychischen und kognitiven Faktoren, die Bewegungsbiografie, die sozialkulturelle und materiale Umwelt.
Normative historisch bedingte Einflüsse
Normative historisch bedingte Einflüsse charakterisieren eine feste Bindung an geschichtliche Zeitdimensionen und kulturwandelbezogene Einflüsse, wie langfristige, dem epochalen historischen Wandel unterliegende Wertorientierungen oder periodenspezifische historische Wertewandel (politische, technologische Veränderungen, Zeittrends usw.). Von zentraler Bedeutung sind der Kulturkreis, die Volks- und Gruppenzugehörigkeit, die Familie, die Schule und der Freundeskreis.
Nichtnormative Einflüsse
Nichtnormative Einflüsse zeigen keine auffälligen Beziehungen zu altersgebundenen und geschichtlichen Faktoren. Sie treten im Lebenslauf unerwartet auf (z. B. Unfälle, Verletzungen, Krankheiten, aber auch Naturkatastrophen, Wirtschaftskrisen oder Kriege).
Selektion, Optimierung und Kompensation
Baltes und Baltes (1990) entwickelten das Modell der Selektion, Optimierung und Kompensation (SOK), um gewinn- und verlustbezogene Entwicklungsverläufe im Erwachsenenalter umfassend zu beschreiben. Ausgangspunkt ist eine sich mit zunehmendem Alter verschlechternde Gewinn-Verlust-Bilanz. Diese ergibt sich aus einer Verringerung der biologischen