Название | Einführung Gerontopsychologie |
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Автор произведения | Ben Godde |
Жанр | Документальная литература |
Серия | PsychoMed compact |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783846345672 |
Bedeutung biologischer Alternstheorien für Gehirn und Geist
Nervenzellen teilen sich nicht
Das Gehirn ist, wie andere Organe des menschlichen Körpers, vom Altern betroffen. Deshalb lassen sich Theorien des biologischen Alterns auch auf das Gehirn anwenden. Nervenzellen werden im Gegensatz zu anderen Körperzellen nicht ständig erneuert, sondern können ein Leben lang erhalten bleiben. Das Hayflick-Limit spielt für diese Zellen also keine Rolle. Nervenzellen sind damit allerdings zeitlebens und kumulativ allen negativen Einflüssen ausgesetzt, die die Funktion zunehmend stärker einschränken und schließlich zum Tod der Nervenzelle führen können.
Eine Ausnahme bildet der Hippocampus. In dieser Gehirnregion, die besonders für Lernen und Gedächtnis von Bedeutung ist, werden ständig neue Nervenzellen gebildet (Neurogenese) und unter Bildung neuer Synapsen (Synaptogenese) in die bestehenden Netzwerke eingebaut. Allerdings hat im Hippocampus auch der Abbau von Nervenzellen eine funktionelle Bedeutung, da dadurch die Knüpfung neuer Netzwerke ermöglicht wird. Auch Neurogenese und Synaptogenese (die Ausbildung von Synapsen) im Hippocampus sind dem generellen Alterungsprozess unterworfen und nehmen im Alter ab.
Insbesondere die Quervernetzungstheorie spielt für das Altern des Gehirns eine wichtige Rolle. Sogenannte Plaques, akkumulierende große Eiweißmoleküle, werden mit pathologischen Altersveränderungen bei der Alzheimerkrankheit in Verbindung gebracht. Die Plaques alleine können die Alzheimer-Demenz aber nicht erklären (Kapitel 8).
Neben den Nervenzellen bestehen das Gehirn sowie das gesamte Zentralnervensystem aber auch aus weiteren Zellen und Geweben, wie zum Beispiel den Gliazellen und den Blutgefäßen, die vor allem für die Versorgung und den Erhalt der Nervenzellen zuständig sind. Das Altern dieser Strukturen im Sinne der genannten Alternstheorien hat natürlich auch Auswirkungen auf die Funktionstüchtigkeit des Gehirns.
Seit den 1990er Jahren gewinnt der neue Ansatz einer Neurowissenschaft der lebenslangen Entwicklung (Lifespan developmental neuroscience) eine zunehmende Bedeutung in Forschung und Lehre, ohne allerdings schon in bedeutendem Ausmaß Einzug in die Lehrbücher gehalten zu haben.
Im Sinne dieses neuen Ansatzes wird – wie in der Psychologie – auch die neurobiologische Entwicklung nicht mehr als bereits mit der Maturation abgeschlossen bezeichnet und das Altern als reiner Abbau- oder Degenerationsprozess gesehen. Vielmehr werden Prinzipien der Kindheits- und Jugendentwicklung auf Veränderungen im Erwachsenenalter bis ins hohe Alter übertragen, wobei Einflüsse durch Umweltfaktoren oder Lebensstile und -erfahrungen zunehmend an Bedeutung für eine positive oder negative Entwicklung erlangen.
Wichtig bleibt dabei, solche eher „natürlichen“ Entwicklungsprozesse, die bis ins hohe Alter auftreten können, von solchen abzugrenzen, die auf pathologischen Faktoren beruhen, denen wiederum biologische Faktoren (s. o.) zugrunde liegen (Kapitel 5: Altern des Gehirns).
2.2 Altern aus Sicht der Psychologie: ein lebenslanger Entwicklungsprozess
Während somit bei biologischen Alternstheorien die Frage nach den Mechanismen, die letztendlich zum Tod führen, im Mittelpunkt steht, will die Psychologie der Lebensspanne eine andere Frage beantworten: Wie verändert sich die Qualität des Lebens über die Lebensspanne in der Interaktion der verschiedenen Funktionsbereiche und mit der Umwelt und wie lässt sie sich beeinflussen?
Entwicklung als lebenslanger Prozess
In der Entwicklungspsychologie hat die Betrachtung des Alterns etwa seit den 1960er Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Vor allem in der Lebensspannenpsychologie (z. B. Baltes, 1990) wird seitdem der Begriff der Entwicklung auf die gesamte Lebensspanne bezogen, denn auch Altern ist Entwicklung. Biologische Veränderungen stellen hierbei nur einen Teilbereich dar. Altern umfasst demnach nicht nur Abbauprozesse und damit Einschränkungen von Kompetenzen, sondern Zuwächse im Sinne von Kompetenzerweiterungen im physischen, psychischen und sozialen Bereich.
Gewinne und Verluste
Jede Entwicklungsphase ist dabei durch Gewinne und Verluste („Gains and losses“) gekennzeichnet, wobei in jungen Jahren die Zugewinne und in späteren Jahren die Verluste überwiegen. Auf biologischer Ebene sind die Verluste im höheren Alter stärker ausgeprägt als bei jüngeren Menschen. In anderen Bereichen, wie zum Beispiel in persönlichkeitsbezogenen und anderen psychologischen Parametern, gibt es aber auch vermehrt Zugewinne oder Stabilität im höheren Alter.
Weisheit ist ein Beispiel für einen Entwicklungsprozess, der nicht mit der Geburt, sondern erst in späteren Phasen der Lebensspanne beginnt und durch steten Zugewinn gekennzeichnet ist. Dabei bezieht sich Weisheit auf den Bereich der wissensreichen Pragmatik der Intelligenz (Dittmann-Kohli & Baltes, 1983). Hauptkriterium für Weisheit ist Wissen, d. h. Fakten und Fertigkeiten bezogen auf Lebensfragen. Weise Menschen zeichnen sich dadurch aus, dass sie ihre im Laufe des Lebens erworbene Expertise bzgl. schwieriger und unsicherer Lebenssituationen nutzen, um zu reifen Urteilen zu kommen und gute Ratschläge zu geben (Staudinger, 1990). Weisheit stellt den Prototyp der pragmatischen Altersintelligenz dar. Weisheit beinhaltet z. B. Wissen über die Veränderungen, Bedingungen und geschichtliche Abhängigkeit von Leben. Staudinger (1990) führt fünf Kriterien an, um das Wissen in diesen Bereichen näher zu beschreiben:
Altern verläuft als Entwicklungsprozess im Verständnis der Entwicklungspsychologie der Lebensspanne multidimensional und multidirektional. Das heißt, die Richtung der ontogenetischen Veränderungen variiert nicht nur beträchtlich zwischen verschiedenen Verhaltensbereichen (z. B. Intelligenz versus Emotion), sondern auch innerhalb einer Verhaltenskategorie (z. B. fluide versus kristalline Intelligenz). So können in ein- und demselben Entwicklungsabschnitt und Verhaltensbereich manche Verhaltensweisen Wachstum und andere Abbau zeigen (Kapitel 6: Psychologisches Altern).
Multidirektionalität
Die unterschiedlichen Entwicklungsverläufe der fluiden und kristallinen Intelligenz (vgl. Abbildung 6.1) illustrieren das Konzept der Multidirektionalität. Die Veränderungen in verschiedenen Bereichen der menschlichen Entwicklung sind intraindividuell unterschiedlich. Eine multidirektionale Entwicklung behält sich demnach vor, die Richtung der Entwicklung offen zu lassen.
Multidimensionalität
Der Begriff Multidimensionalität beschreibt unterschiedliche Dimensionen innerhalb der menschlichen Entwicklung. Entwicklungsprozesse einer Person finden demnach in mehreren Dimensionen bzw. Verhaltenskategorien statt, die, wie beschrieben, unterschiedliche Entwicklungsverläufe aufzeigen können. So lassen sich u. a. physische, kognitive, emotionale und soziale Dimensionen der Entwicklung über die Lebensspanne unterscheiden. Die einzelnen Dimensionen lassen sich wiederum in weitere Komponenten oder Konstrukte (z. B. fluide und kristalline Intelligenz) differenzieren. Die multidimensionale Betrachtung bietet die Möglichkeit,