Название | Das Tagebuch der Jenna Blue |
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Автор произведения | Julia Adrian |
Жанр | Книги для детей: прочее |
Серия | |
Издательство | Книги для детей: прочее |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783959913065 |
Scarlett bleibt mit ihrer Tasche am Gestrüpp hängen. Sie flucht und zerrt. »Steh nicht bloß rum! Hilf mir lieber.«
Der Lichtstrahl des Smartphones zuckt unkontrolliert, sie trägt es an einem Band um den Hals, mit den Händen reißt sie an den Trägern der Tasche.
»Nicht mit Gewalt«, warne ich, da erklingt bereits ein vertrautes Ratschen, gefolgt von einer Stille, die der vor einem Wolkenbruch gefährlich gleicht. Ich taste mich durch die Dunkelheit und befreie die Tasche aus den Brombeerranken. Der blutrote Stoff ist gefurcht, als hätte ein Wolf sie gerissen.
»So ein Jammer«, sagt Scarlett und streckt die Hand aus, »nun brauche ich deine Tasche.«
»Wie bitte?«
»Es ist offensichtlich, dass ich mehr dabeihabe als du, daher ist es nur vernünftig.«
Ich stehe da wie angewurzelt. »Es ist meine Tasche.«
»Gewiss«, sagt sie und klingt dabei schrecklich unbeteiligt, »ich trage sie ja nur heute.«
»Nein.« Ich trete einen Schritt zurück.
Mittlerweile ist die Sonne bloß noch eine violette Ahnung am Horizont, die Luft merklich kühler und die Mauer neben uns nachtschwarz. Ich kann Scarletts Gesichtsausdruck weder erkennen noch deuten. Ich weiß nicht, wie nah ich dem Abgrund bin.
»Nein?«, fragt sie leise. »Du hast da was missverstanden, Jenna. Das war keine Frage, ja, nicht einmal eine Bitte. Ich brauche deine Tasche, denn meine ist kaputt. Du wirst sie mir also geben, betrachte es als Gegenleistung dafür, dass du mein Kleid tragen darfst.«
»Ich habe nicht darum gebeten«, weise ich sie zurück.
»Du trägst es aber, daher ist es nur recht und billig, wenn ich auch etwas von dir habe.«
»Nicht die Tasche.« Was ich eigentlich meine: nicht diese Tasche. Jede andere, alles andere, nur nicht das.
Scarlett nähert sich mir, die Andeutung eines Lächelns im Gesicht. »Wenn es um das Buch geht, so versichere ich, gut darauf zu achten; du kannst es beruhigt in der Tasche belassen. Ich hüte es für dich.«
Damit sagt sie genau das Falsche. Mir entschlüpft ein erstickter Laut, ich will zurückweichen, verheddere mich aber in den Brombeerranken. Sie verhaken sich im Stoff des Kleides. Ich halte die Luft an, versuche mich aus ihrer Umarmung zu winden, da greift Scarlett nach mir. Erst zucke ich zurück, was die Dornen lechzend begrüßen, dann glaube ich, dass sie meine Not erkannt hat, ehe ich begreife, dass sie die Tasche will. Sie packt zu.
»Nein«, zische ich und klammere mich an den Riemen.
»Sei nicht albern. Es ist bloß ein Abend.«
Es ist viel mehr als das, war es von Anfang an.
»Das ist kindisch«, schimpft Scarlett, lässt jedoch ebenso wenig locker wie ich. Wir zerren an der Tasche, sie am Beutel, ich am Träger. »Lass los, Jenna.«
»Niemals!«
Nicht heute. Nicht dabei.
Abgesehen von unserem Keuchen und dem Flüstern des Grases, das unter unseren Tritten ächzt, durchdringt der dumpfe Bass eines Radios die Nacht, als wäre sie ein lebendiges Wesen und das Wummern ihr Herzschlag. Dabei ist es gewiss Derek, der die Lautstärke voll aufgedreht hat, um die Wartezeit zu überbrücken – oder um besonders lässig zu wirken. Ob er ahnt, dass Scarlett seiner bereits überdrüssig ist? Sie wird ihn ersetzen. Wie die Tasche.
»Das hat keinen Zweck«, sagt Scarlett und gibt scheinbar nach. Ich schwanke, dann ist die Tasche mein. Erleichtert presse ich sie an die Brust, nur um entsetzt festzustellen, dass sie leer ist.
»Was haben wir denn da.« Scarlett dreht es in den Händen. Mein Buch. Ich fluche, Scarlett schlägt es auf und liest: »Das Tagebuch der Jenna Blue – wer soll das sein, du etwa? Was ist das? Der Versuch, dir eine Farbe anzueignen?«
Ich will ihr das Buch entreißen, strauchele jedoch über die Ranken und falle. Die Dornen sind überall: in meinen Handflächen, den Waden, den Knien, den Oberschenkeln – und in mir drin.
»Scarlett«, flehe ich, als sie die nächste Seite aufschlägt.
»Ja, so heiße ich, und im Gegensatz zu dir trage ich Rot tatsächlich im Namen. Beschwer dich bei Mutter, wenn’s dir nicht passt.«
»Gib es zurück!«
»Es war einmal eine Zauberin«, liest Scarlett außerhalb meiner Reichweite, »die nicht nur über beträchtliche Schönheit, sondern auch über immenses Heilwissen verfügte, sodass Menschen von nah und fern anreisten, um ihre Leiden zu lindern. Für jede Verletzung kannte sie das richtige Kraut, für jeden Fluch eine Erlösung. Was ist das, Jenna, ein Märchen?«
Ich beiße mir auf die Zunge, schmecke Blut, meine Schultern beben, dennoch schaffe ich es nicht, mich zu erheben, geschweige denn überhaupt zu bewegen. Ich bin wie erstarrt, gefangen von den Dornen und Scarletts Worten.
»Diese Dienste ließ sie sich teuer vergüten, sodass sie schon bald die prächtigste Villa und einen Garten so üppig besaß, wie es nie zuvor einen gab. Eines Tages klopfte ein schwer verwundeter Mann an und bat um Hilfe, er sei vergiftet worden und dem Tode nahe. (Nicht doch, kommentiert Scarlett spöttisch, wie theatralisch!) Da er nicht zahlen konnte, wies sie ihn ab. Er behauptete daraufhin, in Wahrheit vermögend zu sein und ihren Dienst dreifach zu entlohnen, wenn sie ihm nur helfen wolle; doch da er so schmutzig und ärmlich aussah, glaubte sie ihm kein Wort und schloss die Tür. Dort, wo sie ihn zurückließ, wuchs tags darauf eine Rose, die Ranken lang und spinnengleich.« Scarlett lässt das Buch sinken. »Spinnengleich? Spinnwebenartig ginge oder Ranken wie Spinnenbeine – dann wären es aber nur acht.«
»Hör auf«, flehe ich, doch Scarlett ist nicht zu bremsen.
»So hart sich die Diener der Zauberin auch abmühten, die verfluchte Rose ließ sich weder bändigen noch vernichten. Selbst als sie einen Teil des Erdreichs aushoben, verblieb sie an ihrem Platz. Trotzig befahl die Zauberin, ein Gewächshaus zu errichten, später folgte eine Mauer, die den Garten samt Villa umschloss. Woran erinnert mich das bloß?«
Ich weiß nicht, was mehr wehtut: Dass sie in mein Innerstes blickt oder dass sie darüber lacht.
»Jetzt wird es interessant.« Scarlett geht in die Hocke. »Als Jahre später ein Kind in der Zauberin heranwuchs, träumte sie von dem einst abgewiesenen Mann; er prophezeite die Geburt zweier Töchter: die eine ihr wunderschönes Ebenbild, die andere ein Abbild ihrer von Gier zerfressenen Seele.«
»Ich flehe dich an, lies nicht weiter!«
»Oder was?«
Ich kriege die Worte kaum raus: »Oder du bist tot.«
Scarlett lächelt. »Du vergisst, dass ich nie im Garten der Spukvilla war. Oder sollte ich sagen: in dem der Zauberin?«
»Hör auf!« Diesmal schreie ich, krächzend zwar und nach wie vor am Boden kauernd, doch es ist ein Aufbegehren, ein Aufflackern des Zorns, der mich zu versengen droht.
Scarlett bleibt unbeeindruckt.
»Die Zauberin ersann einen Plan, um dem Fluch zu entkommen. Eine verstorbene Gutsherrin hatte Mann und Kind hinterlassen. (Wie praktisch!) Diesen nahm sie zum Gemahl und sein Kind als das ihre an. So wähnte sie sich in Sicherheit. Das falsche Kind sollte das Pech erben, das rechte hingegen alles Glück der Welt.«
»Ich erzähle Anna, dass du rauchst!« Die Worte brechen aus mir hervor, ehe ich mich bremsen kann. Scarlett zu drohen war noch nie eine gute Idee. Ich weiß