Название | Das Tagebuch der Jenna Blue |
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Автор произведения | Julia Adrian |
Жанр | Книги для детей: прочее |
Серия | |
Издательство | Книги для детей: прочее |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783959913065 |
Das Tagebuch der Jenna Blue
Julia Adrian
Copyright © 2021 by
Drachenmond Verlag GmbH
Auf der Weide 6
50354 Hürth
http: www.drachenmond.de
E-Mail: [email protected]
Lektorat: Stephan Bellem
Korrektorat: Michaela Retetzki
Layout: Stephan Bellem
Charakterillustrationen, Schmetterling, Pusteblume und Briefe: Julia Adrian
Pflanzenillustrationen: Katharina V. Haderer
Umschlagdesign: Alexander Kopainski
Bildmaterial: Shutterstock
ISBN 978-3-95991-306-5
Alle Rechte vorbehalten
Für meine Herzdrachen
Kintsugi*
Dank euch weiß ich:
Jeder Bruch ist eine Chance auf einen Neubeginn.
Dieses Tagebuch gehört:
Scarlett
Jenna
Vergissmeinnicht
Jenna,
Bevor du dieses Buch beiseitelegst, ohne es eines Blickes zu würdigen – denn ich weiß, das ist dein erster Impuls –, gib mir die Chance, dir zu erklären, inwiefern es dir helfen kann. Ich selbst habe nie Tagebuch geführt; ich lese, und das mit großer Freude, doch meine Gedanken in Worte zu fassen erschien mir stets zu heikel, obendrein fehlt es mir an Talent. Dir jedoch, da bin ich sicher, wird es leichtfallen. Du bist wie deine Mama. Auch sie schwieg bis zu ihrem Verschwinden; allein Briefen vertraute sie sich an. Briefe, die keiner von uns je zu Gesicht bekam. Ich weiß nicht, wem oder worüber sie schrieb. Sie verbrannte einen jeden, nachdem sie ihn sorgsam versiegelt hatte. Sie sagte, der Wind würde die Worte zur rechten Person tragen.
Du bist wie sie.
Du leidest still.
Du trägst deinen Kummer und deine Worte unausgesprochen mit dir. Du musst sie nicht mit der Welt teilen, doch sie niederzuschreiben kann ihre Last verringern. Versuche es. Lass deine Hände für dich sprechen und deine Gedanken in dieses Buch fließen. Es wird sie für dich verwahren, egal wie düster sie auch sein mögen. Vielleicht werden dadurch die Nächte – und ihr Verlust – ein bisschen erträglicher.
In Liebe, deine Schwester Anna
Ich hasse dich!
Ist es das, was du hören willst? Soll ich darüber schreiben, wie sehr ich euch verachte? Euch beneide? Euch anschreien möchte und es doch nicht tue? Du sagst, in mir seien Worte – du hast ja keine Ahnung!
In mir ist vor allem Leere.
Ich bin leer, Anna.
Ich bin so leer, dass es wehtut.
Der Ball hat sein Ziel getroffen. Das Blut rinnt mir aus der Nase in den Mund, ich spucke es aus.
Kopf in den Nacken? Oder nach vorn?
Ich weiß nicht mehr, was richtig ist, stehe bloß da, während das Blut in Spiralen gen Abfluss rinnt. Blut, das genauso gut ihres sein könnte. Es gibt niemanden auf der Welt, der mir so sehr gleicht, wie sie es tut. Von der DNS bis zum Spiegelbild. Ist Blut dicker als Wasser?
»Brauchst du Hilfe?« Maria zwängt sich durch den Türspalt der Mädchentoilette, ein Koloss in zu engen Leggins und zertanzten Schuhen. Wäre das hier ein Märchen, käme ihr die Rolle des Rotkäppchens zu, das dem Wolf freimütig in die dunkelsten Gefilde folgt – selbst ins Schulklo.
»Ist Blut dicker als Wasser?«, frage ich sie.
»Ich versteh kein Wort. Ist die Nase gebrochen?«
Hoffentlich nicht.
»Kopf nach vorn«, sagt sie und reißt einen Batzen Papiertücher aus dem Spender. »Dein Glück, dass die Schule zu geizig für eine Handtuchrolle ist.« Sie dreht den Hahn auf, tränkt das Papier und klatscht den nassen Klumpen in meinen Nacken. »Das sollte helfen.«
Es geht nicht um mich.
Wenn sie so lächelt, könnte ich das fast vergessen. Sie sieht bloß Scarletts ältere Schwester in mir. Selbst ich tue das. Alle tun das. Obwohl der Spiegel gesprungen ist – oder gerade deswegen? –, blickt sie mir überdeutlich entgegen. Das spitze Kinn, die scharf geschnittenen Lippen, zuletzt die Verachtung im Blick. Als hätte Mutter unsere Züge mit dem Meißel geschlagen. Scarlett und ich sind Schwestern, wir entspringen demselben Schoß, doch das heißt nicht, dass wir einander lieben.
Maria kippt das Fenster. Flirrendes Licht fällt hinein, schillert auf den Pfützen und benetzt die stahlgrauen Fliesen, auf denen Generationen von Schülern Hass- und Liebesbotschaften notierten. Scarlett, Scarlett, Scarlett. Sie inspiziert die leeren Kabinen, die Nase gerümpft in Erwartung von Ungeziefer, Ratten oder Monstern. Stattdessen bin da nur ich, das triefende Gesicht übers Waschbecken gebeugt, die Haare klitschnass. Der Hahn tropft. Warum ich sie noch an meiner Seite dulde, weiß ich selbst nicht genau. Sie erwartet keine Zuneigung, keine Antworten. Nur Infos über Scarlett.
»Fertig?«, fragt sie.
Ein letzter Blick gen Spiegel – es ist, als würde Scarlett zwinkern. Doch das bin nur ich, totenbleich und ohnmächtig vor Zorn.
Es heißt, ältere Geschwister würden Schatten werfen, denen die jüngeren nicht entkommen können. Bei uns ist es andersherum. Es ist Scarletts Existenz, die der meinen ihre Farben raubt. Es ist ihr Licht, das alles andere überstrahlt. Seit es sie gibt, verblasse ich neben ihr – wie die Schlieren im Becken.
Ist Blut dicker als Wasser? Ich sage Nein.
Ich habe gefragt, worüber ich schreiben soll, und du hast gesagt, es sei vollkommen egal; ich könne alles schreiben, eine Geschichte, ein Märchen. Irgendetwas.
Aber wo fange ich an?
Bei uns? Bei Mutter?
Oder damit, dass sie ging?
Ich könnte erzählen, dass ich an guten Tagen in die Stadt fahre, das Rad am Bahnhof abstelle und ziellos durch die Straßen streife, in der stillen Hoffnung, auf sie zu treffen. In einem der Läden. Beim Bäcker, im Café oder dem Buchladen. Manchmal stehe ich minutenlang vor einem Schaufenster und warte, dass sich eine bestimmte Person umdreht, wünschend und fürchtend zugleich, dass sie es ist. Ich wüsste nicht, was ich täte, stünde sie plötzlich vor mir. Was sagt man zu jemandem, der einen verlassen hat? Sagt man Hallo? Oder schlägt man zu?
»Was schreibst du?«
Maria linst über meine Schulter. Das Buch schnappt vor ihrer Nase