Der Andere - Auto-Bio-Grafie eines bisher noch Unbekannten. Dietmar Halbhuber

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Название Der Andere - Auto-Bio-Grafie eines bisher noch Unbekannten
Автор произведения Dietmar Halbhuber
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783969405512



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Marx-Stadt noch Chemnitz hieß, war da doch auch diese Fabrik von den Bomben des Klassenfeinds zerhauen worden und sollte die nun endlich wieder aufgemöbelt werden.

      Zotteln sie also den Gang lang und kommen eben auch an einem Vertreter der Arbeiterklasse vorbei, der, ihnen den Rücken zugewandt, die Wand vor sich aus dem Maul eines Schlauches heraus mit Mörtel besprudelt.

       Wutsch!

       Plutzsch!

      Was ab er tut der Arbeiterklässler, wie er die Jungs hinter sich lang trotten hört.

      Er dreht sich um, sie im Namen seiner Klasse auf das Herzlichste zu begrüßen. Das, was an der Stelle wohl der Ulbricht, Walter ausgerufen hätte, spricht er natürlich nicht. Von wegen:

      - Die junge, meiner Klasse nahe stehende Intelligenz, sie lebe hoch!

      Nein! Der Arbeiter strahlt die Jungs fröhlich an und ruft ihnen dabei das zu:

      - Guud’n Morsch’n! 31

      Nicht aber nur sein Gesicht strahlt in dem Moment – nein: Auch sein Schlauch! Den nämlich hatte der Proletarier eben mit sich umgedreht und so machte es da auch gleich das:

       Plutsch!

       Wutsch!!

       Klutsch!!!

      Und ist da dann ja nicht nur die Wand, sondern sind auch sie, die eben noch weiß gekleideten jungen Intelligenzlers, frisch mit Mörtel besudelt. (Plan-Über-Erfüllung, wie das im verblichenen Land wohl geheißen hätte …).

      Der Hans reißt, wie die anderen Jungs auch, den ollen Hut vom Kopf, hält ihn schützend vor’s Gesicht, versucht, in Deckung zu gehen – was ja doch aber in einem so langen, schmalen Gang gar nicht so einfach ist. Und:

       Oh Gott!

      Wie sie da nun Alle aussehen! Von wegen: Ganz in Weiß! Grau in Grau stehen sie da, die Jungs, ganz so, wie das Land, in dem sie leben.

      Der Arbeiterklässler derweil hat sich wieder seiner Wand zugewandt, zwitschert fröhlich ein Liedlein vor sich hin und tut so, als wäre nichts, aber auch gar nichts gewesen.

      Und da tun natürlich auch die Jungs so. Denn: Sich wehren, den Schlag also, den man eben von der Arbeiterklasse versetzt bekam, zurück versetzen, das gehört sich doch nicht für einen, wie er da noch hieß, Oberschüler, dem aufgetragen ist, dieser Klasse nahe zu stehen!

      Frisch besudelt schlottern die Jungs also weiter den Gang lang, kommen irgendwann dann auch bei der riesigen, hallig-leeren Fabrik-Halle an, in der sie heute das Putzen zu erlernen haben werden und marschieren da hinein ein. Wo ihr Meister dann gleich das anordnet:

      - Da rauf!

      Sein Finger zeigt auf ein Riesen-Gerüst, das da unter der hohen Decke aufgestellt ist. Auf dem Gerüst oben angekommen, haben die Jungs, der Anordnung ihres Meisters folgend, die Maurer-Kellen zu ergreifen, die da auf dem Gerüst-Boden liegen und haben sich neben den Mörtel-Kästen, die da auch mit stehen, aufzustellen.

      - Ich zeig‘ Euch, wie das geht!

      Der Meister macht vor, was da nun zu tun ist und dann sind sie dran: Rein mit der Kelle in den Mörtel-Kasten, rauf das Zeug auf die Kelle und ran an die Decke! Möglichst schwungvoll und richtig gewinkelt, ganz so, wie es der Meister eben vorgemacht hat.

      Was aber tut, wie die Jungs das tun, der matschige Mörtel???

      Er denkt gar nicht daran, an der Decke kleben zu bleiben!

      Nein: Hurtig flutscht er wieder runter. Und wo da hin? Na klar: Nicht nur auf den Gerüst-Fußboden, sondern auch auf die Köpfe der da stehenden Oberschülers rauf!

      Unser Hans freilich hat zunächst Glück. War der wieder abgefallene Batzen bei ihm doch nicht auf den Kopf, sondern auf den Gerüst-Fuß-Boden geklatscht. Bückt er sich also hurtig, kratzt den Batzen mit der Kelle vom Holzboden des Gerüsts auf und klatscht ihn erneut an die Decke über sich.

       Aber!

      Auch diesmal bleibt der Batzen nicht da, wo er bleiben soll. Der Hans guckt verzweifelt um sich und sieht, wie es den anderen Jungs genau so geht, wie ihm. Wieder und wieder bücken sie sich, kratzen das Abgefallene vom Boden auf und klatschen es erneut an die Decke …

       Da plötzlich!

      Brandet von unter dem Gerüst her Beifall auf!

      Erstaunt schauen die Jungs dahin und sehen das: Heftigst erheiterte Angehörige der Arbeiterklasse, die sich fast kaputt lachen. Was die Jungs nicht wissen können: Dass ihr Meister seine Kollegen im Vorfeld darüber informiert hatte, was heute hier abgehen würde. Jetzt aber erst mal schmunzelt er seine Jungs an und spricht das:

      - So nicht!

      Weiß er doch, was die Jungs erst einen Tag später im Theorie-Unterricht zu erlernen haben werden: Eine trockene Wand, an die Mörtel fliegt, entzieht diesem, durstig, wie sie ist, gleich erst mal das Wasser ganz. Soll sie ja auch! Trocknet der Mörtel doch blitzschnell bissel an – und klebt sich auf diese Weise selbst an der Wand fest – sich da nun aufs Verrieben-Werden mit dem Reibe-Brettchen zu freuen.

      Oder aber: Fällt, wenn nicht richtig angeworfen, erst mal wieder ab.

       Und???

       Wo da dann hin???

      Der Meister lächelt verschmitzt.

      Na klar! Physik, 6. oder 7. Klasse: Was auf der Erde fällt, fällt auf die Erde – nach unten – Anziehungs-Kraft! Wer aber steht da heute? Wenn nicht sie, seine Jungs?

      Der Meister lacht laut.

      Seine Kollegen lachen mit.

      Hast du das Erlernen des Putzens nämlich nicht, wie allerorts üblich, erst mal an einer Wand vor dir zu üben gehabt, wo das Abfallende dann auf den Boden abfällt, sondern, wie sie heute, an einer Decke …

      Und hast du diesen Vorgang dann zwei, drei oder vier Mal wiederholt, dann ist der Durst der Decke sehr bald schon so weit gestillt, dass sie das überhaupt nicht mehr kann und will: Dem Mörtel das Wasser entsaugen und ihn so zum Anhaften zwingen.

      Und so werfen die Jungs und so fallen die Mörtel-Batzen.

       Ab!

       Ab!!

       Ab!!!

      Viele, viele Stunden lang, Minute für Minute. Den Tag lang ganz.

      Und so wissen der Hans und die anderen Jungs nun endlich auch, warum ihnen ihr Meister für heute angeraten hatte, einen möglichst großen Hut mitzubringen.

      Der Meister aber, wie er des Abends zu Hause neben seiner Ollen im Bette liegt und ihr belustigt vom heutigen Tagwerk berichtet, spricht da dann auch das mit aus, was er den ganzen Tag lang schon bei sich gedacht hatte:

      - Sollen die doch mal sehen, die kleinen Klugscheißers, wie das geht, der Arbeiterklasse nahe stehen zu wollen!

       Ziegel schmeißen

      - Du holst Schwung, zielst auf die Nase von Deinem Nachbarn und dann schmeißt Du den Ziegel im hohen Bogen da hin!

      Das spricht der Meister, wie seine Jungs an einem der anderen Ausbildungs-Tage