Название | Das letzte Echo des Krieges. Der Versailler Vertrag |
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Автор произведения | Susanne Brandt |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783159614168 |
»Dieser Vertrag ist nicht der Frieden, er ist einfach das letzte Echo des Krieges. Er beendet die Phase des Krieges und des Waffenstillstandes. Der richtige Frieden muss erst noch kommen, und er muss von den Völkern gemacht werden.«4
Der totale Krieg und sein Ende
Von Beginn an entwickelte der Erste Weltkrieg, der bereits von Zeitgenossen als Weltenbrand bezeichnet wurde und bis heute in GroßbritannienGroßbritannien »Great War« und FrankreichFrankreich »Grande Guerre« heißt, einen alles verschlingenden Sog. War er zunächst noch lokal begrenzt, zog er immer mehr Staaten ins Schlachtgetümmel. Deren Motive für den Kriegseintritt waren ebenso vielfältig wie die von den Konfliktparteien verfolgten Ziele. Der Waffengang war kostspielig, brutal, weitreichend und offenbar für jede Seite gerechtfertigt. Ein kurzer Blick auf wesentliche Merkmale und Ereignisse des Konfliktes soll vor Augen führen, wie groß die Hypothek war, die auf den Menschen lastete, die 1919 in ParisParis den Krieg beenden wollten.
Der Krieg hatte schätzungsweise aufseiten der Alliierten 5 647 600 und aufseiten der Mittelmächte 4 410 000 Menschleben gefordert; verwundet wurden bei den Alliierten nahezu 12 000 000 Soldaten, bei den Mittelmächten 8 288 000. Annähernd jeweils 600 000 zivile Opfer hatten FrankreichFrankreich und GroßbritannienGroßbritannien zu beklagen, ItalienItalien und das Deutsche Reich jeweils 700 000, SerbienSerbien, BulgarienBulgarien und RumänienRumänien jeweils 300 000, BelgienBelgien 50 000, Österreich-UngarnÖsterreich-Ungarn 400 000 und das Osmanische ReichOsmanisches Reich ganze 2 000 000 (ohne die Opfer des Völkermords an den Armeniern gerechnet).5 Nicht nur der Verlust an Menschen, sowohl Soldaten als auch zivilen Arbeitskräften, belastete die Volkswirtschaften, auch für die Unterstützung von Versehrten und Hinterbliebenen musste gesorgt werden. Von den drei Millionen französischen Kriegsverletzten blieben ein Drittel Invaliden.
Schäden richteten die Gefechte zum Beispiel in den zehn französischen Departements an, die unmittelbar in die Kampfhandlung hineingezogen wurden: 4,2 Millionen Hektar Land waren dauerhaft oder zeitweilig besetzt, Ernten wurden vernichtet, der Boden zum Teil durch Giftgas und Munition auf Jahrzehnte verseucht, Wälder vernichtet, Vieh getötet. 480 000 Häuser wurden ganz oder teilweise zerstört, aber auch 2000 Brücken, die Kohlegruben in NordfrankreichFrankreich, 70 Hochofenbetriebe, 300 Eisen- und Stahlgießereien, 3600 Kleinbetriebe fielen dem Krieg zum Opfer. In BelgienBelgien traf es 70 000 Häuser, 2600 Kilometer Eisenbahnschienen, 7000 Kilometer Straßen, 2500 Lokomotiven und über 120 000 Eisenbahnwagons wurden zerstört.6
Ebenfalls kostspielig war die Waffenproduktion, denn täglich wurden Flugzeuge, Schiffe, Artillerie, Gewehre vernichtet und mussten ersetzt werden. Die gesamte Wirtschaft wurde umgestellt auf die Anforderungen des Krieges, statt Konsumgütern wurden Waffen hergestellt. Es ist eine Herausforderung, einigermaßen verlässliche Zahlen für den Verlust an Waffen und Kriegsgeräten zu nennen, ein paar Angaben sollen einen Eindruck vermitteln: In Deutschland wurden in den Kriegsjahren über 10 Millionen Gewehre und Pistolen produziert. Nach eigenen Berechnungen ›verbrauchten‹ die Deutschen 26 000 Flugzeuge. Die Entente verlor über 380 Kriegsschiffe, die Mittelmächte 500.7
Die deutschen Kriegskosten betrugen 1918 täglich 180 Millionen, die britischen sieben Millionen Pfund Sterling.8 Schon bald waren FrankreichFrankreich, BelgienBelgien, GroßbritannienGroßbritannien bis an die Grenzen des finanziell Machbaren gegangen, oder darüber hinaus: Sie hatten sich bei den USAUSA verschuldet, schon bevor diese offiziell im April 1917 aufseiten der Entente in den Krieg eintraten. Die enormen Kosten der Kriegführung wurden auch durch Anleihen im eigenen Land aufgebracht. Die Bürger leisteten jedoch noch weitere Beiträge: Sie spendeten Gold und erhielten im Tausch Schmuck oder Münzen aus Eisen. Bei als »Nagelungen« bezeichneten Propagandaveranstaltungen, die der Wehrhaftmachung der Nation dienen sollten, erwarben die Bürger (unter ihnen auch zahlreiche Schüler) Nägel aus Gold, Silber oder Eisen, die sie in eine hölzerne Figur schlugen und so einen metallenen Schutzpanzer schufen. Die Einnahmen flossen in die Kriegskasse, und einige der vor mehr als 100 Jahren genagelten Ritter, U-Boote, Löwen oder Schilde sind bis heute erhalten. Frauenhaar wurde ebenso gesammelt wie Eicheln oder sogar Kartoffelschalen. Als der Mangel immer weiter um sich griff, gab es kaum ein Gut, das nicht als Ersatz für einen wertvollen Rohstoff eingesetzt werden konnte. Gleichwohl schossen die Schulden in die Höhe, und nur ein Sieg versprach die Möglichkeit, die Kredite zu tilgen und die Anleihen verzinst zurückzuzahlen. Wenn die Besiegten zur Kasse gebeten würden, hofften alle Kriegführenden, könnten die Bürger im eigenen Land für die vielfältig erbrachten Opfer entlohnt werden. An Steuererhöhungen, um die Bürger nach dem Friedensschluss an den Kosten für die Bewältigung der Kriegsfolgen zu beteiligen, dachte kein Politiker, der an der Macht bleiben wollte.
Als sich die Sieger im Januar 1919 in ParisParis trafen, erwies sich rasch, wie schwer es war, die Schäden zu beziffern. Die Delegierten diskutierten zunächst, was überhaupt als Schaden anzuerkennen sei: Galten auch die Pensionen für Versehrte und Hinterbliebene als Kriegsverlust? Zählten dazu auch die Gewinne, die ohne Krieg hätten erzielt werden können? Dass es sich um eine exorbitante Summe handeln müsse, war den meisten Delegierten in ParisParis bewusst. Daher wurde im Friedensvertrag, der am 28. Juni 1919 unterzeichnet wurde, auch kein exakter Betrag genannt. Die Aufgabe, ihn zu ermitteln, übernahm die Interalliierte Reparationskommission, deren Schadensbericht die Reparationssumme bestimmte, die Deutschland im April 1921 genannt wurde.
Der Krieg war brutal, denn im Verlauf von 52 Monaten wurden die Waffen fortwährend weiterentwickelt: Flugzeuge, Panzer, Maschinengewehre, Gas, U-Boote und weitreichende Artillerie brachten Verluste bislang ungekannten Ausmaßes. Die Soldaten mussten ertragen, jeden Augenblick in Todesgefahr zu sein, oft sahen sie ihren Gegner dabei nicht einmal. Die Artillerie feuerte aus weit entfernten Kanonen, aus Flugzeugen fielen Bomben oder Fliegerpfeile, und es wurden Fotos gemacht, die dem Gegner wertvolle Informationen für den kommenden Angriff lieferten. Die Entwicklung von Giftgas spiegelt wider, wie sehr die Kriegführenden darauf aus waren, den Stellungskrieg aufzubrechen und die Gegner zu überwinden. Ohne nennenswerte Bedenken verätzte man mit Gas Soldaten wie Tieren die Atemwege und schädigte die Haut. Diejenigen, die einen Giftgasangriff überlebten, starben möglicherweise nach dem Krieg an den Spätfolgen, aber wie konnte nach Jahren eine Todesursache eindeutig ermittelt werden?
Besonders der U-Boot-Krieg macht deutlich, in welchem Maße neue Waffen entwickelt und nicht nur gegen Kombattanten eingesetzt wurden. Im Februar 1917 begann der uneingeschränkte U-Boot-Krieg. Der deutsche Admiralstab ließ nun auch zivile Passagier- und Handelsschiffe angreifen und argumentierte, dass mit jedem Schiff Soldaten und kriegswichtige Güter transportiert werden könnten. Davon versprach sich der Admiralstab Ende 1916, nach den katastrophalen Schlachten vor VerdunVerdun und an der SommeSomme, die Wende: Innerhalb von fünf Monaten könne GroßbritannienGroßbritannien vor den deutschen U-Booten kapitulieren. Auch in dieser Hinsicht gingen die Militärs ein hohes Risiko ein, denn es bestand die Möglichkeit, dass die Vereinigten StaatenUSA aufgrund dieser Völkerrechtsverletzung in den Krieg gegen Deutschland eintreten würden.
Die Deutschen pokerten hoch und verloren: Die USAUSA traten tatsächlich im April 1917 in den Krieg ein, und die Briten ergaben sich nicht. Vielmehr führten neue Ortungsgeräte, dichte Minensperren unter Wasser, ein Geleitsystem zum Schutz von Passagier- und Frachtschiffen sowie die Fähigkeit, die deutschen Funksignale zu entziffern, dazu, dass sich die durch die U-Boote verursachte Zerstörung nach anfänglichen Erfolgen verringerte. Nicht zuletzt, weil Briten und Amerikaner durch die Massenproduktion von Handelsschiffen den Tonnageverlust ausgleichen konnten, wandte sich der Unterseekrieg letztendlich gegen die Deutschen. Am Ende hatten deutsche U-Boote zwar 5554 alliierte und neutrale Handelsschiffe versenkt, der Sieg über GroßbritannienGroßbritannien blieb aber aus.9 Vereinbarungen über Gesetze und Gebräuche der Landkriegführung, wie sie 1899 und 1907 in Den HaagDen Haag unterzeichnet worden waren, dämmten die Entwicklung der Waffen nicht ein. Im Gegenteil, das Völkerrecht hinkte hinter den Entwicklungen hinterher. Zugleich wurde in der Berichterstattung