Das letzte Echo des Krieges. Der Versailler Vertrag. Susanne Brandt

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Название Das letzte Echo des Krieges. Der Versailler Vertrag
Автор произведения Susanne Brandt
Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783159614168



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den Gegnern sehr viel mehr Zeit in Anspruch genommen. Das wollten die alliierten Politiker, die unter dem Druck ihrer Bürger und Wähler standen, nicht auf sich nehmen.

      Selbst die Siegermächte waren nicht vollzählig anwesend. Nachdem in RusslandRussland die Revolutionäre 1917 den Zaren gestürzt und in Brest-LitowskBrest-Litowsk mit den Deutschen einen Separatfrieden geschlossen hatten, entbrannte ein heftiger und verlustreicher Bürgerkrieg, der erst 1921 beendet wurde. Alliierte Verbände waren weit ins russische Gebiet vorgedrungen, ursprünglich, um russischen Truppen im Kampf gegen deutsche Einheiten zur Hilfe zu kommen. Sie blieben zum Teil bis 1921 dort und unterstützten den Kampf gegen die Bolschewiki. Politiker, Diplomaten und Journalisten konnten schwer einschätzen, was in RusslandRussland geschah; es kursierten Gerüchte über die Grausamkeit der Revolutionäre, doch keiner konnte sagen, was davon den Tatsachen entsprach. Das Ausland hatte seine Diplomaten schon im Sommer 1918 abgezogen und auch die meisten ausländischen Zeitungskorrespondenten waren bis Anfang 1919 abgereist. Die Kommunikation war überaus schwierig, Telegramme konnten Tage oder Wochen unterwegs sein, falls sie überhaupt ihren Adressaten erreichten.3 Da der Vertrag von Brest-LitowskBrest-Litowsk, mit dem das Deutsche Reich RusslandRussland seine Friedensbedingungen diktiert hatte, inzwischen annulliert war, befand sich RusslandRussland unversehens weiterhin mit den Alliierten gegen Deutschland im Krieg. Doch bis zum Ende der PariserParis Friedenskonferenz konnten sich die Politiker in ParisParis nicht darauf verständigen, wen sie anerkennen und einladen wollten. So wurde im Vertragstext lediglich vermerkt, dass RusslandRussland das Recht habe, Reparationen zu fordern.

      Obwohl die Friedensmacher ein enormes Arbeitspensum bewältigten, lösten sie nicht alle Aufgaben. Schon während der Verhandlungen zeigte sich, dass es den Delegierten nicht gelingen würde, sich auf eine feste Summe der von Deutschland zu leistenden Reparationen zu einigen. Erst 1921 wurde bekannt gegeben, dass Deutschland als Wiedergutmachung 132 Milliarden Goldmark zu zahlen habe. Zahlungsverzögerungen führten 1923 zur Besetzung des RuhrgebietesRuhrgebiet. Viele Deutschen, die in den Jahren 1914–1918 weitgehend von Kampfhandlungen auf deutschem Boden verschont geblieben waren, nahmen das als Fortsetzung des Krieges wahr.

      Bis heute wird der Versailler Vertrag unter vielen Gesichtspunkten heftig beanstandet. Nur vereinzelte Stimmen können ihm Gutes abgewinnen, die Kritikpunkte hingegen sind überaus zahlreich. Doch bevor wir uns der Bewertung des Vertrages zuwenden können, muss seine Vorgeschichte dargestellt werden. Die ersten Kapitel des Buches folgen im Wesentlichen der Chronologie des Geschehens, vom sich abzeichnenden Kriegsende im Herbst 1918 bis zur Ratifizierung des Vertrages. In den Kapiteln 2 bis 5 wird erläutert, wie die PariserParis Friedenskonferenz funktionierte, wer die wichtigsten Personen waren und wie Krisen abgewendet und Kompromisse erzielt werden konnten. Erörtert werden die Bedingungen, unter denen die Staatsmänner versucht haben, den Krieg zu liquidieren. Für die Sieger war der Vertrag mit Deutschland der bedeutendste, weshalb er im Zentrum des vorliegenden Bandes steht. Als er am 28. Juni 1919 unterzeichnet worden war, reisten WilsonWilson, Woodrow und Lloyd GeorgeLloyd George, David bald ab.

      Bis zum Januar 1920 tagten die Delegierten weiter, dann schloss die Konferenz. Viele der beteiligten Politiker und Sachverständigen haben ihre Erinnerungen an die Verhandlungen niedergeschrieben, zahlreiche Quelleneditionen stehen zur Verfügung, um die Ereignisse und die Akteure verstehen zu können. Die Dokumente spiegeln vor allem wider, dass in ParisParis eine emotional aufgeheizte Stimmung herrschte. Unterschiedliche Erfahrungen, Ziele und Ideale trafen aufeinander, hartnäckige Vorurteile und Feindbilder beeinflussten die Diskussionen. Nicht alle Probleme und Themen, die die Sieger beschäftigten, können in diesem Band behandelt werden. Die Debatte um die Beteiligung RusslandsRussland und die Angst vor dem Bolschewismus etwa wird nur am Rande angesprochen, ebenso wie Ereignisse um die Gründungen der neuen Staaten. Im Mittelpunkt stehen der Vertrag mit Deutschland, die Ziele der Hauptsiegermächte, die Dynamik auf der Friedenskonferenz und die Diskussion im Deutschen Reich.

      Kapitel 6 durchbricht die chronologische Darstellung, indem es sich dem Vertrag und der Endfassung ausgewählter Paragraphen widmet. Zwar kann nur ein kleiner Teil der insgesamt 440 Artikel behandelt werden, aber der Leser soll die Gelegenheit haben, nicht nur etwas über den Vertrag und seine Entstehungsgeschichte zu erfahren, sondern auch über die wichtigsten Artikel in der Endfassung, wie etwa die Strafverfolgung von Kriegsverbrechern oder die Internationalisierung deutscher Flüsse. Punktuell werden in diesem Kapitel auch die Umsetzung der Artikel und die Folgen behandelt. Kapitel 7 widmet sich im Anschluss den wichtigsten Etappen der Vertragserfüllung und Revision.

      Wenn man sich mit der PariserParis Friedenskonferenz und dem Versailler Vertrag beschäftigt, verlangt es einiges an Disziplin, die Akteure nicht für ihr Verhalten oder für vermeintliche Fehlentscheidungen zu kritisieren. Das liegt sicher auch daran, dass die folgenden Ereignisse, das Scheitern der ersten deutschen Demokratie und der verheerende Zweite Weltkrieg auch mit zeitlichem Abstand so schmerzhaft sind, dass es schwerfällt, nicht nur nach Erklärungen, sondern auch nach Schuldigen zu suchen. Kritik kann und soll geübt werden, allerdings nicht mit der Haltung einer überlegenen Kommentatorin. In diesem Sinne werden in Kapitel 8 dem Leser noch einmal die wichtigsten Merkmale des Friedensprozesses zur kritischen Beurteilung dargelegt. Die ersten Kapitel sind soweit wie möglich frei von Urteilen, um dem Leser erst einmal die Gelegenheit zu bieten, den Verlauf der Konferenz mit der Vielzahl an konkurrierenden Interessen, Zielen und Einflüssen zu erfassen. Im 8. Kapitel soll es um Alternativen gehen, und zwar auf der Basis der damaligen Rahmenbedingungen. Ein solches Gedankenspiel ermöglicht es, die Faktoren und Motive, die für das Zustandekommen des Vertrages genannt wurden, noch einmal auf ihre Wirkmächtigkeit hin zu befragen. Das Nachdenken über Alternativen dient nicht der Kritik an den Zeitgenossen, sondern führt vor Augen, dass ein totaler Krieg nicht binnen einiger Monate in ein friedliches und respektvolles Miteinander der Staaten überführt werden kann. Vielmehr ist der Weg zu einem zwischenstaatlichen Zusammenleben in Ruhe und Sicherheit lang, mühsam und muss von vielen Akteuren beschritten werden.

      Umfangreiche und aussagekräftige Quellen zur Geschichte der PariserParis Friedenskonferenz liegen als Veröffentlichungen vor oder können in Archiven bzw. online genutzt werden. Dennoch werden in dem Kapitel »Quellentexte« drei Quellen abgedruckt, die insofern von besonderer Bedeutung sind, als dass sich die Protagonisten und die Historiker immer wieder auf sie beziehen. Zum einen betrifft das die Rede von Präsident WilsonWilson, Woodrow, in der er am 8. Januar 1918 die amerikanischen Kriegsziele formulierte. Seine 14 Punkte wurden zur Grundlage des Waffenstillstandes, flossen aber auch in den Versailler Vertrag mit ein und bildeten ein wichtiges Argument für die von WilsonWilson, Woodrow enttäuschten Deutschen.

      Ähnliches gilt für die nach dem amerikanischen Außenminister benannte Lansing-NoteLansing, Robert. Mit ihr erklärten die Alliierten am 5. November 1918 ihre Bereitschaft zum Friedensschluss auf der Grundlage von WilsonsWilson, Woodrow 14 Punkten, mit zwei Einschränkungen. Der Wortlaut der Note, ihre Übersetzung sowie die Einschätzung, wie bindend die Vereinbarung gewesen sei, wurden in Zusammenhang mit den Reparationen und der Kriegsschuld intensiv diskutiert.

      Eine dritte bedeutende Quelle ist die Rede, die der deutsche Außenminister Ulrich von Brockdorff-RantzauBrockdorff-Rantzau, Ulrich von am 7. Mai 1919 nach der Übergabe des Vertragsentwurfes hielt. Von vielen Zeitgenossen wurde die Rede als überheblich bezeichnet, zahlreiche Historiker machen den Außenminister und seine Ansprache verantwortlich für eine weitere Verschlechterung der Beziehung zwischen den Siegermächten und den Deutschen. Erst im Anschluss an die Rede und einen intensiven Notenwechsel mit den Deutschen formulierten die Sieger eine brutale Mantelnote, in der sie den Schuldspruch gegen das ganze deutsche Volk in aller Schärfe vorbrachten. Darüber hinaus veranschaulicht die Rede auf bemerkenswerte Weise die Strategie, mit der nicht nur der Außenminister auf den Vertrag reagierte.

      Eine ausführliche Zeittafel bietet daran anschließend die Möglichkeit, jederzeit Daten nachzuschlagen, ohne im Text suchen zu müssen. Sie spiegelt außerdem, wie arbeitsintensiv einzelne Phasen gewesen sind, zeigt Zusammenhänge auf, wenn etwa in einer akuten Krise Zugeständnisse gemacht worden sind, und verschafft einen Überblick, zum Beispiel über die Etappen der Reparationszahlungen.

      Meine Absicht ist es, in diesem Buch darzulegen, mit welch schwerem Gepäck die ehemaligen Gegner von den Schlachtfeldern zu den Friedensverhandlungen kamen. In ParisParis traten