Arabidopsis – ein Leben ist nicht genug. Gottfried Zurbrügg

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Название Arabidopsis – ein Leben ist nicht genug
Автор произведения Gottfried Zurbrügg
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783960085577



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Edwin. Deine Forschungsjahre in Tübingen waren doch sehr erfolgreich.“

      „Du hast sie besser genutzt, Nubi. Du hast einen Sohn, der inzwischen erwachsen ist. Der Schoß der Isis, weißt du noch?“

      „Jeder hat seine Träume ein bisschen verwirklichen können. Dafür sollten wir dankbar sein“, sagte Nubi. „Gib mir Bescheid, wann du kommen kannst. Ist noch etwas? Du wirkst so nachdenklich!“

      „Ich sehe gerade, dass meine Assistentin mit mir sprechen möchte. Ich melde mich bei dir, sobald ich mehr weiß.“

      „Warte nicht zu lange mit deiner Antwort“, sagte Nubi. „Die Zeit vergeht. Wir werden älter und sind leider nicht unsterblich.“

      Bei seiner Sekretärin wartete eine aufgeregte Anne Neidhardt darauf, endlich zum Herrn Professor vorgelassen zu werden.

      „Frau Neidhardt“, begrüßte Scherrer Anne. „Haben Sie die Pflanze gesehen, die Dr. Meyer Ihnen so gern zeigen wollte? Der Mann war ganz aufgeregt.“

      „Ja“, antwortete Anne. „Ich habe mich über sein Verhalten doch etwas gewundert. Die Pflanze wuchs am Forschungszentrum Umwelt.“

      „Dr. Meyer sagte so etwas. Was für eine Pflanze ist das nun? Eine Bereicherung für den Botanischen Garten?“ Scherrer sah sie über die goldene Halbbrille amüsiert an. Er wirkte wie vor Jahren in Tübingen. Seine Haare waren grau geworden, aber noch immer hatte er seine Locken sorgfältig gelegt. Anne schüttelte ihren braunen Wuschelkopf. „Bitte setzen Sie sich doch“, schlug Scherrer vor. „Auch Sie wirken angespannt. Gibt es etwas Neues?“

      Anne setzte sich, dann platzte sie heraus: „Eine Arabidopsis, sie wuchs in einem Magerrasen voller Habichtskräuter.“

      „Arabidopsis? Die kennen wir doch hinreichend aus Tübingen. Deshalb machte Dr. Meyer so ein Aufheben?“

      „Er sagte, es sei meine Pflanze“, erzählte Anne. „Ich habe sie mitgenommen, denn sie war bereits abgestorben.“

      „Ja, Arabidopsis hat einen festgelegten Lebensrhythmus“, bestätigte Scherrer. „Das macht sie für die Forschung so interessant. Sie wächst sehr schnell und hat ein kleines Genom. Aber wem erzähle ich das? Sie wissen es selber. Das ganze Institut war doch voll mit diesen Pflanzen.“

      „Deshalb ist uns auch bisher an dem Lebensrhythmus nichts Besonderes aufgefallen“, sagte Anne. „Könnte es sein, dass Arabidopsis ein Todesgen hat, das nach neunzig Tagen wirksam wird und den Zelltod, ich meine die Apoptose, von Zelle zu Zelle befiehlt? Normalerweise sterben bei einer Pflanze nur wenige Teile ab, aber hier endet das Leben der ganzen Pflanze ziemlich abrupt.“

      Erstaunt bemerkte Anne, wie Scherrer blass wurde. „Ein Todesgen?“, fragte er mit belegter Stimme. „Das wäre möglich. Bei dem kleinen Genom dürfte es wohl nur ein Gen sein, das wie eine innere Uhr alles in Gang setzt. Andere Lebewesen, wie auch der Mensch, haben viele Todesgene, die den Tod bewirken.“ Er starrte auf die Wand, als sähe er einen Geist. Anne räusperte sich, um Scherrer wieder auf sich aufmerksam zu machen. „Haben Sie noch mehr herausgefunden?“, fragte Scherrer und sah sie wieder an. „Verzeihen Sie. Gerade eben habe ich mit meinem Freund Nubi aus Ägypten telefoniert, da sind meine Gedanken noch ganz woanders.“ Er lächelte entschuldigend.

      „Ja, mir ist noch mehr aufgefallen“, fuhr Anne fort. „Einige Zellen in den Blättern leben noch. Sie haben den Befehl zur Apoptose entweder nicht bekommen oder ihn ignoriert. Ich möchte diese Zellen isolieren.“

      „Zu welchem Zweck?“

      „Um herauszufinden, warum sie nicht starben“, erklärte Anne. „Pflanzenzellen sind ja potentiell unsterblich. Vielleicht hat die Arabidopsis ein Todesgen.“

      „Unsterblich?“, fragte Scherrer und sah sie nachdenklich an. „Darüber habe ich gerade mit meinem Freund gesprochen. Die Ägypter träumten von Unsterblichkeit. Mein Freund meinte, ich sei diesem Traum in meinem Forscherleben näher gekommen, was ich verneint habe. Nun kommen Sie und erzählen mir etwas von unsterblichen Zellen, die kein Todesgen haben.“

      „Kann ich diese besonderen Zellen zur Kalluszüchtung vorbereiten?“, fragte Anne. „Ich würde gerne wieder forschen.“

      „Natürlich“, antwortete Scherrer. „Forschen Sie! Ich bin froh, dass Sie nach Karlsruhe mitgekommen sind. Ich möchte selber wieder forschen. Meine Aufgabe mit dem Botanischen Garten lässt mir die Zeit dazu. Darf ich ganz spontan einen Vorschlag machen? Da Sie die Unsterblichkeit ansprechen, möchte ich Ihnen die Schwerpunkte in meinem Forscherleben erklären. Außerdem hätten wir dann auch Zeit, Ihre Arbeit zu besprechen. Ich habe das Gefühl, dass Sie auf etwas ganz Besonderes gestoßen sind. Darf ich Sie zu einem Gespräch in mein Haus einladen?“ Scherrer öffnete seinen Terminkalender. „Am Donnerstagabend hätte ich Zeit. Könnten Sie den Termin wahrnehmen?“ Dabei sah er sie fast bittend an.

      Anne überlegte kurz. Doch, das wäre möglich. Der Professor schien ihre Pläne sehr ernst zu nehmen. „Ja“, antwortete sie mit fester Stimme, „ich komme gern.“

      „19.00 Uhr?“, fragte Scherrer. „Ich würde mich sehr freuen.“

      „Kann ich ab jetzt meine Zeit für die Forschung am Todesgen verwenden?“

      „Forschen Sie, so viel Sie wollen“, sagte Scherrer. „Dr. Meyer und ich kommen mit der Arbeit am Botanischen Garten gut genug voran. Forschen Sie! Ihre Forschungen sind mir sehr wichtig. Ja, sie erfüllen sogar einen Traum von mir. Aber das erkläre ich Ihnen am Donnerstag.“

      Sehr nachdenklich ging Anne in ihr Labor zurück und begann damit, die Zellen zu isolieren und für die Kalluszüchtung vorzubereiten.

      Als Professor Scherrer und Dr. Meyer abends das Gebäude verließen, brannte in Annes Labor noch Licht. „Gute Nacht, Herr Professor“, sagte Meyer. „Unsere Frau Neidhardt arbeitet noch.“

      „Ich danke Ihnen“, antwortete Scherrer und reichte ihm die Hand. „Sie haben uns sehr geholfen.“

      Meyer ergriff die Hand des Professors. Scherrer spürte die Kälte der Hand und zuckte zusammen. Schnell ließ er Meyers Hand los und ging rasch hinüber zur Haltestelle der Straßenbahn.

      Minuten später fuhr er mit der Bahn nach Durlach. Ich habe gar nicht gesehen, wo Meyer geblieben ist, dachte Scherrer. Er war plötzlich verschwunden.

      Als Scherrer durch seinen Garten ging, war er froh, dass das Haus hell erleuchtet war. Diesmal zögerte er, die Katzenfigur anzufassen, denn es war ihm, als schaue ihn ein sehr lebendiges Tier an. Aber das beruhte nur auf seiner Einbildung und der ausgezeichneten Arbeit des ägyptischen Bildhauers.

      In den nächsten Tagen sah Scherrer Anne nur kurz, wenn er in ihr Labor schaute. Sie war morgens schon an der Arbeit, wenn er kam, und abends noch an der Arbeit, wenn er das Institut verließ. Scherrer nutzte die Zeit in seinem Büro, um sich über den neuesten Stand der Forschung mit Arabidopsis zu informieren.

      Auch Sybille Walter informierte sich über Arabidopsis. Ich muss Bescheid wissen, wenn ich mit dem Herrn Professor ins Gespräch kommen will, dachte sie. Wenn er weiterforscht, dann ganz sicher nur mit dieser Pflanze. Ein Kribbeln auf der Haut verriet ihr, dass sie auf der richtigen Spur war.

      Scherrer wohnte in einer der Villen in der Turmstraße in Karlsruhe-Durlach. Von der Straße aus sah man das Haus nicht, sondern nur den großen Garten, besonders im Sommer, wenn die Ligusterhecke hochgewachsen war. Aber von seinem Arbeitsraum hatte man einen wunderbaren Blick über Durlach bis in die Rheinebene. Als Scherrer an diesem Tag nach Hause kam, sah er, dass seine Frau zu Hause war. Er war ganz erleichtert. Auf Dagmar konnte er sich verlassen. Als junger Mann hatte er um sie geworben. Selber noch Doktorand am Botanischen Institut warb er um die reiche Tochter des bekannten Fabrikanten. Sie hatten sich im Botanischen Garten kennengelernt. Als er seinen Doktor mit summa cum laude erworben hatte, war er der willkommene Schwiegersohn. Dagmar hatte dann später die Firma ihres Vaters übernommen, nachdem der alte Herr nach kurzer Krankheit gestorben war. So hatte jeder seinen Bereich. Man