Название | Chef, wir müssen reden. Der Traum vom Ausstieg auf Zeit |
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Автор произведения | Alexander Reeh |
Жанр | Личностный рост |
Серия | |
Издательство | Личностный рост |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783954887729 |
Dann bläst der Passatwind alle Gedanken ans Umkehren davon. Die Wellen türmen sich für uns Ostseesegler zu beeindruckender Größe auf, und bald rauschen wir durch eine gewaltige, schäumende Wasserwelt. Das Land ist längst hinter dem Horizont verschwunden, und unser Boot zieht stetig vom Wind getrieben nach Westen. Die Tage verschwimmen, und wir verlieren das Gefühl für die Zeit. Manchmal hängt eine schimmernde Goldmakrele an der Angel, dann unterbricht ein Festessen den geruhsamen Bordalltag.
Nachts funkeln die Sterne unwirklich klar über uns, und unter uns glüht das Meer grünlich in unserem Kielwasser. Delfine kommen regelmäßig zu Besuch, und selbst an den Schlafmangel, bedingt durch das notwendige Wachegehen auch in der Nacht, gewöhnen wir uns nach einiger Zeit. Tagsüber ist wegen der Kinder an Schlaf nicht zu denken. Nachts ist alle zwei Stunden Wachwechsel. Ich kann in meiner ersten Wache kaum die Augen aufhalten, aber sobald ich in der Koje liege, bin ich hellwach. Fühle mich ausgeliefert. Es fällt mir schwer, Vertrauen in meine Frau zu haben. Ständig habe ich Angst, dass sie vergisst, den Sicherheitsgurt zu benutzen. Wir leben ganz existenziell: Nur wer Vertrauen hat, kann wirklich schlafen, wenn der andere Wache geht! Als nach 22 Tagen auf See die Karibikinsel Martinique am Horizont auftaucht, ist für alle an Bord klar: Wir fahren weiter in den Pazifik!
Wie auf einer Perlenschnur reihen sich paradiesische Inseln aneinander: Galapagos, Marquesas, Tahiti, Huahine, Tonga, Neuseeland. Doch selbst mitten in der größten Schönheit bin ich unzufrieden. Die große Freiheit nagt an mir. Ich vermisse meinen Job, leide unter der scheinbaren Sinnlosigkeit meines Daseins, dem selbstgemachten Druck, glücklich sein zu müssen, jetzt, wo ich im Paradies angekommen bin. Nun bin ich nur noch Kapitän, Ehemann, Vater. Im Buch »Die Gabe der Seenomaden« von Milda Drüke heißt es: »Nicht das Schiff ist eng, es ist die innere Enge der Menschen, die sie nicht an Land zurücklassen, ihre Weigerung im Verhalten des Partners den Spiegel zu sehen, ihre Neigung, Schuld grundsätzlich bei den äußeren Verhältnissen zu suchen, wo es doch gar nicht um Schuld, sondern um eigene Verantwortung geht.«
Konflikte häufen sich, ich bin zu ungeduldig, verspannt, kann meine Vorstellungen nicht loslassen. Dabei ist das Meer ein guter Lehrer: ständig in Veränderung, zwingt es uns immer neu, uns seinem Rhythmus anzupassen und unsere kleinen menschlichen Pläne seinem großen Atem unterzuordnen.
Die Kinder dagegen sind zufrieden: Sie schwimmen begeistert im warmen Wasser, tauchen nach Muscheln, sammeln Kokosnüsse am Strand, rudern mit dem Beiboot zu einer neben uns ankernden amerikanischen Yacht, und können nach nur drei Wochen Englisch. Beneidenswert. Jedes Mal, wenn wir eine Inselgruppe hinter uns lassen, weinen sie bittere Tränen zum Abschied, denn fast überall haben sie rasch Freunde unter den einheimischen Kindern gefunden. Aber schon nach wenigen Tagen weicht die Trauer der Vorfreude auf ein neues Land, einen neuen Kontinent.
In Neuseeland haben wir zum ersten Mal auf der Reise Heimweh. Alles ist so europäisch, und wir realisieren: von hier aus geht es in jede Richtung zurück. Sollen wir bleiben`? Wir fühlen deutlich unsere eigenen Wurzeln, und, obwohl wir uns hier endlich einmal gut verständigen können, haben wir Sehnsucht nach unserer alten Heimat. Wir machen Kassensturz und beschließen, noch im selben Jahr zurück nach Deutschland zu segeln.
Über Australien, Indonesien, Thailand und das Rote Meer geht es in weniger als einem Jahr zurück nach Europa. Aber dann macht uns der Wind wieder einen Strich durch die Rechnung: von Ägypten kommend, wollen wir rasch nach Gibraltar segeln, als es immer mehr aufbrist. Der Wind kommt von vorne, nimmt Sturmstärke an. Wir geben auf und laufen die türkische Küste an. Dort finden wir eine winzige griechische Insel, noch 120 Kilometer östlich von Rhodos gelegen, Kastellorizo. 200 Menschen, kaum Autos, viele Fischer, Handwerker, Künstler. Und eine Schule. Nach nur drei Tagen habe ich einen Job als Tischler. Die Kinder gehen in die griechische Dorfschule. Carola lernt von den alten Fischern die Kräuter der Insel kennen. Fast werden wir heimisch. Aber die Zukunft wird in Deutschland gemacht, und nachdem wir gesehen haben, wie verheerend die Auswirkungen des westlichen Lebensstils im Pazifik und in Asien sind, wo ganze Inselreiche im Müll der sogenannten »Zivilisation« ersticken, fühlen wir uns verantwortlich und wollen uns nicht in unserem griechischen Paradies verstecken.
Carola fliegt allein nach Deutschland auf Erkundungstour. Dann ist mein Schwiegervater am Telefon: Carola liegt auf der Intensivstation. Die Ärzte wissen nicht, ob sie die Nacht überleben wird. Was als kleiner ambulanter Eingriff in einem vermeintlich sicheren Bremer Krankenhaus geplant war, wird (durch den Fehler eines Arztes?) zu einer lebensgefährlichen Verletzung der Aorta mit zweimaliger Notoperation. Nach Stunden gelingt es endlich, die Blutung zu stoppen. Sie überlebt, aber an eine Rückkehr auf unsere Insel ohne Arzt und Krankenhaus ist nicht zu denken. Worauf wir so traumwandlerisch sicher die letzten fünf Jahre verzichten konnten, das brauchen wir jetzt ausgerechnet in Deutschland: Gute medizinische Versorgung vor Ort.
Nach einem Jahr ist Carola soweit wieder hergestellt, dass ich unser Boot aus Griechenland zurücksegeln kann. Es wird die schwerste Etappe der Reise. Kurz vor Bremen kreuze ich allein unseren alten Kurs. Dankbarkeit mischt sich in meine wehmütigen Erinnerungen. Dankbarkeit für die Schönheit der Welt. Und Dankbarkeit für meine mutige Frau. Ohne sie würde ich immer noch in unserer Bremer Wohnung sitzen und von der großen Freiheit träumen.
Ben Hadamovsky
Das Buch zur Reise: »Mit allen Wassern gewaschen”
unter www.hadamovsky.de
Ruf des Ozeans
Interview mit dem Wiener Lehrerpaar Evi Strahser und Wolfgang Wirtl, die mit ihrem Katamaran »Sleipnir2« in drei Jahren die Welt umsegelten
© Alexander Reeh
Frau Strahser, Herr Wirtl, Sie haben das gewagt, wovon viele nur träumen: eine Weltumsegelung. Was hat Sie gemeinsam zu diesem Abenteuer bewogen? Gab es ein ausschlaggebendes Erlebnis?
Wir sind beide immer schon sehr reiselustig gewesen und haben bereits, bevor wir einander kennengelernt haben, weite Reisen in exotische Gebiete unternommen. Gemeinsam haben wir dann mit dem Rucksack einige exotische Länder bereist. Was uns außerdem verbindet, ist die Liebe zum Meer und zum Leben auf dem Wasser.
Eigentlich gab es kein ausschlaggebendes Erlebnis, an dem der Entschluss zu unserer Weltumsegelung gefasst wurde, es war eher ein langsamer Prozess.
Als Lehrer hat man die Möglichkeit eines Sabbatical-Jahres und diese Auszeit wollten wir uns beide einmal gönnen, um zu reisen – in welcher Form wussten wir anfangs allerdings noch nicht. Wir haben mit Freunden immer wieder Segelboote für ein bis zwei Wochen gechartert, was uns schlussendlich auf die Idee brachte, dass man mit dem eigenen Schiff eine längere Reise unternehmen könnte.
2001 haben wir unseren Katamaran »Sleipnir 2« in England gekauft und sind 2002 zu einer einjährigen Segelreise in die Karibik und wieder zurück, einer sogenannten Atlantikrunde, gestartet. Bereits vor Abschluss dieser Reise stand der Entschluss fest, wieder aufbrechen zu wollen, beim nächsten Mal allerdings für eine längere Zeit.
Wie lange hat die Zeitspanne von Ihrem definitiven Entschluss bis zum Antritt der Reise gedauert?
Im Sommer 2003 sind wir von unserer ersten Segelreise zurückgekommen. Es stand sofort fest, dass wir einen Zeitraum von vier Jahren benötigen, um entsprechend Geld zu verdienen und den Kat nach den erworbenen Erfahrungen ein wenig umzurüsten.
Sie waren ziemlich genau drei Jahre unterwegs. Wie lässt sich eine solche doch lange Auszeit mit dem Beruf vereinbaren?
Da wir beide Lehrer an einer allgemeinbildenden höheren Schule sind, war es möglich, ein Sabbatical-Jahr und danach zwei unbezahlte Freijahre – in denen wir weder krankenversichert waren, noch ein Gehalt bezogen haben – zu nehmen.
Wir