Название | Buchstäblichkeit und symbolische Deutung |
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Автор произведения | Matthias Luserke-Jaqui |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783772002151 |
Schließlich kommt Tolon, der diese Bekenntnisse und Berichte belauscht hat, aus seinem Versteck heraus. Sein Diener kehrt aus der Stadt zurück und bringt Tolon die Nachricht, dass Amalie gestorben ist. Dieser Szenenabschnitt mit Tolons Schmerz arbeitet vollständig mit den sprachlichen Mitteln des Sturm und DrangSturm und Drang, Gedankenstrich reiht sich an Gedankenstrich, Aposiopesen wechseln einander ab.22 Tolon beschließt „mit einer Miene die eine gräßliche Munterkeit ausdrückt“ (S. 61) zur Beisetzung Amaliens zu gehen. Und obwohl Tolons Diener ihm treu bis in den Tod folgen will, bleibt er im Stück doch namenlos, er ist und bleibt „Bedienter“. In der siebten und achten Schlussszene wird das Finale dieser Tragödie vorbereitet. Es erfolgt mitten in der Szene ein Kulissenwechsel – und dieser plötzliche Ortswechsel ist ein Sturm-und-DrangSturm und Drang-typischer Verstoß gegen das aristotelAristotelesisch-lessingLessing, Gotthold Ephraimsche Reglement einer Einheit des OrtsEinheit des Orts –, der einen Friedhof zeigt. Da es Nacht ist, kann sich Tolon später ungesehen an einem Grabstein in einen Mantel gehüllt verbergen. Man sieht „hie und da grosse Grabsteine als Merkmale verfallener Hoheiten“ (S. 64), heißt es in der Regieanweisung, was man als eine ironische Brechung absolutistischer Macht durch den Text verstehen kann. Tolon spricht über seine Liebe, die SexualitätSexualität nicht ausschloss („hier Amalie vereinigen wir uns – mit einem heiligern Triebe als sonst – “, S. 65). Das ist nur wenig sprachlich codiert, um den Schicklichkeitsstandards der Zeit zu entsprechen. Als der Sarg in die Erde gelassen wird, drängt sich Tolon zwischen Jennemer und Barwill, entledigt sich seines Mantels und sticht mit dem Ausruf „Rache für Amalien und Tolon!“ (S. 67) die beiden Männer zeitgleich mit zwei Messern nieder. Ein drittes dient seinem Selbstmord, den er mit den letzten Worten drapiert „Amalie, wir vereinigen uns auf ewig“ (S. 67), er sticht sich mitten ins Herz und fällt in die Grube. Dieser Selbsthelfer (so lautet das goetheGoethe, Johann Wolfgangsche Wort) als dem männlichen Handlungsmuster des Sturm und Drang wird zum Selbsträcher und endet im Scheitern. Eine Lösung im Sinne einer Utopie wie in LenzLenz, Jakob Michael Reinholdens HofmeisterDer Hofmeister (1774) oder in den SoldatenDie Soldaten (1776) bietet das Stück nicht, auch kein harmonisches Schlusstableau, wie ihn das Bürgerliche Trauerspiel kennt. Der TolonTolon ist eine TragödieTragödie des Sturm und Drang, die von Beginn an den Zugriff auf eine Architektur des Selbsthelfertums verweigert und stattdessen das Scheitern in dessen Erweiterung als Selbsträchertum demonstriert. Der Tolon von Joseph Martin KrausKraus, Joseph Martin hat als ein Stück des Sturm und Drang zweifelsohne eine ausführliche wissenschaftliche Würdigung verdient.
Karl Philipp Moritz Blunt oder der Gast (1780)
Karl Philipp MoritzMoritz, Karl Philipp (1756–1793) veröffentlichte als 24-Jähriger das Drama Blunt oder der GastBlunt oder der Gast. Das Stück hat nicht Eingang gefunden in den Kreis jener Literatur, die durch bildungsgeschichtliche, institutionengeschichtliche, sozialgeschichtliche oder lebensgeschichtliche Bedingungen oder einfach durch Gewohnheit kanonisiert worden ist. Die Nennung dieses Dramas fehlt in fast allen literaturgeschichtlichen Lexika; auch in den spezielleren Handbüchern zur Literatur des Sturm und DrangSturm und Drang findet es erst seit kurzem Erwähnung.1 Ich möchte im Folgenden zeigen, dass dieser Ausschluss nicht gerechtfertigt ist. Im Gegenteil, dies vorweg als These formuliert: Moritz’ Blunt ist ein großartiger Abgesang auf die Literatur des Sturm und Drang, gleichermaßen seine Vollendung wie sein Ende.
Blunt oder der Gast. Fragment – unter diesem Titel erscheint der erste Teil des Textes in der Litteratur- und Theater-Zeitung Nr. 25 vom 17. Juni 1780, S. 385–399. Der zweite Teil folgt in der Ausgabe Nr. 29 vom 15. Juli 1780, S. 449–456, der dritte und letzte Teil erscheint in der Nr. 33 vom 12. August 1780, S. 513–527. Ein Jahr später veröffentlicht Moritz eine Buchausgabe (Berlin: Arnold Wever 1781) mit dem veränderten Untertitel Blunt oder der Gast. Ein Schauspiel in einem Aufzuge. Es bleibt Moritz’ einziger abgeschlossener dramatischer Versuch, berühmt geworden ist er damit nicht. Die Buchfassung – und in diesem Sinne muss sie als ein Lesedrama verstanden werden, uraufgeführt wurde das Drama erst 1986 in Heidelberg – unterscheidet sich vor allem in zwei Punkten vom Erstdruck. Einmal wird dem Text selbst eine kleine „Vorrede“ vorangestellt, zum anderen endet das Drama in der Buchfassung versöhnlich. Der Sohn wird nicht vom Vater umgebracht. Der Erstdruck bietet hingegen zwei Schlussfassungen, eine Mordvariante und eine Harmonievariante. Dass die Interpreten sich damit schwergetan haben, liegt auf der Hand. Schon bei der Gattungsbezeichnung wird die Unsicherheit der wenigen Autoren, die sich mit dem Text beschäftigt haben, offenkundig. Es wurde versucht, diesen doppelten Schluss in eine typologische Ordnung und eine literaturhistorische Bewertung zu bringen.2 Das Modell eines doppelten Schlusses ist nicht zu verwechseln mit dem Konzept der TragikomödieTragikomödie, die Trauerspiel und Lustspiel, TragödieTragödie und KomödieKomödie gleichermaßen zu sein beabsichtigt (mit den entsprechenden poetologischen Implikationen). Der doppelte Schluss hingegen unterläuft dieses Konzept, er ist nicht beides zugleich, sondern wechselt innerhalb des Stücks von einer Gattung in die andere. Dass darin weit mehr zum Ausdruck kommt als die bloße Entscheidungsunfähigkeit des Autors, wie vermutet wurde, und es sich um weit mehr als nur um ein „dramengeschichtliches Kuriosum“3 oder ein „merkwürdige[s] Jugendwerk“4 handelt, soll im Folgenden belegt werden. Denn im Fall von MoritzMoritz, Karl Philipp’ BluntBlunt oder der Gast handelt es sich darum, dass innerhalb eines Stücks zwei scheinbar sich ausschließende Schlussvarianten geboten werden. Die dagegen angeführten anderen Beispiele zielen vor allem