Teresa hört auf. Silvia Pistotnig

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Название Teresa hört auf
Автор произведения Silvia Pistotnig
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783903184831



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so.«

      »Ja, du bist so, aber sie war nie so. Und du hast zumindest etwas gemacht.«

      »Das stimmt, aber ich finde, sie hat sich mittlerweile schon wieder eingefunden. Sie ist ja jetzt auch wieder mit Leuten ausgegangen. Dieses Herumliegen und die komische Stimmung sind jedenfalls vorbei. Sie ist erwachsen. Ich glaube, es tut ihr gut, mal für sich selbst zu sorgen.«

      Edith musste ihm zustimmen. »Gut, dann hast du eben recht.«

      So war das oft: Zuerst wollte sie ihn ohrfeigen, und am Ende musste sie zugeben, dass er eigentlich recht hatte. Dem anderen recht zu geben war noch ärgerlicher, als sich bloß über sein Verhalten zu ärgern. Sie rührte das Müsli in ihrer Schüssel um und sah aus dem Terrassenfenster. Tauben, Häuserwände, ein Stück Himmel.

      Edith liebte die Gegend da draußen, sie hatte sich einen Freundinnenkreis aufgebaut und genoss den Garten. Seit einiger Zeit nahm sie keine neuen Klienten mehr auf, und seit Längerem überlegte sie, sich in der Innenstadt mit einer Kollegin ein Büro zu teilen. Peter hatte seine Arbeit bereits reduziert, die operativen Aufgaben übergeben. Er führte nur noch bei speziellen Privatpatientinnen Eingriffe durch. Es war alles klar, das Haus war winterfest und groß genug. Schon jetzt verbrachten sie die meiste Zeit dort. Doch das echte Umziehen? Sie konnte nicht anders: Teresa machte ihr Sorgen.

      »Ich will nur nichts überstürzen. Es stimmt, sie hat sich stabilisiert. Zumindest scheint es so. Obwohl ich es noch immer nicht verstehe, wie sie plötzlich drauf gekommen ist, Wirtschaft zu studieren.«

      »Das ist doch gut, dass sie sich ändert und Sachen ausprobiert. Sie geht regelmäßig auf die Uni, trifft wieder Leute, ich glaube, der Zeitpunkt ist ideal.«

      Wieder musste sie Peter recht geben. Der Zeitpunkt war ideal. Vielleicht mussten sie es einfach tun. Über ihre Schatten springen, es einfach versuchen. Wie oft motivierte sie ihre Klienten dazu? Wahrscheinlich tat es Teresa gut, einen Schritt in die Selbstständigkeit, ins echte Erwachsensein zu setzen. Sie aß vom Müsli.

      »In Wahrheit ist es gar kein echter Umzug«, sagte sie. »Ich meine, wir sind ja quasi schon nicht mehr da.«

      »Mhm«, antwortete Peter.

      Sie wusste, dass er ihr nicht mehr zuhörte. Es störte sie nicht. Sie sinnierte gerne vor sich hin, während er etwas anderes daneben tat und manchmal ein »Mhm« einwarf. Sie redete weiter, von Umzugsfirmen, Schachteln, möglichen Terminen. »Du bist heute dabei, wenn wir es ihr sagen, hast du gehört?«, sagte sie laut und streng. Diesmal erwartete sie eine Antwort.

      Peter sah sie über die Zeitung hinweg an und nickte.

      Als Teresa von der Uni kam, erwarteten die Eltern sie schon. Beide saßen am Esstisch. »Wir müssen mit dir reden«, sagte Edith. Es klang feierlich, obwohl sie es nicht vorgehabt hatte.

      Teresa setzte sich. »Dauert es lang? Ich muss dann weg.«

      »Nein, ich glaube nicht«, beruhigte sie ihr Vater. »Deine Mutter und ich haben uns entschieden, ganz aufs Land zu ziehen und dir die Wohnung zu überlassen.«

      Seine Stimme klang für seine Verhältnisse fast aufgeregt, fand Edith. Sie musste lächeln und nahm seine Hand. Teresa aber ließ keine Reaktion aufkommen. Sie sah weder überrascht noch erfreut noch enttäuscht aus, nur gelangweilt und uninteressiert. »Okay«, sagte sie und zog ihr Handy aus der Tasche. »War’s das?«

      Verwirrt sah Edith Peter an, dann wieder Teresa. Sie hatten sogar eine Flasche Sekt kalt gestellt, um das Ereignis zu feiern. »Also … nun ja, wir haben überlegt, alles vertraglich zu regeln, und möchten die Nutzungs- und Wohnrechte behalten. Das wollten wir gern besprechen. Und kostenmäßig hätten wir überlegt, dass du ab dann für die Betriebskosten aufkommst«, sagte Edith.

      »Ist okay«, antwortete Teresa, ohne den Blick von ihrem Handy zu heben, und begann zu tippen. Bevor Edith weiterreden konnte, stand sie auf. »Gut, ich muss dann wirklich los.«

      »Teresa!«, rief Edith. Ihre Tochter sah sie an. »Ich habe es noch nicht mit Papa besprochen, aber du könntest ja mit einigen deiner Mitstudierenden eine WG gründen, was meinst du?«

      Teresa verneinte sofort. »Ich will allein wohnen, du weißt ja, wie die Leute sind. Machen was kaputt, helfen nicht, zahlen nicht, das ist viel zu riskant. Da bleib ich lieber allein und hab meine Ruhe. Wenn ich es mir doch anders überlege, kann ich mich ja noch umentscheiden.« Sie stand im Türrahmen und tippte wieder auf ihrem Handy.

      Ihr Vater pflichtete ihr bei. »Ich glaube auch, dass das besser ist, wer weiß, was da kommt. Es ist halt keine Studentenbude«, sagte er. Teresa nickte und verschwand. Ihre Eltern blieben sitzen. »Dann stoßen wir eben allein an«, sagte Edith.

      Einige Wochen später zogen sie um, nahmen einige Möbel mit und ließen ihre Tochter zurück. Teresa hatte einen Bürojob angenommen, in dem sie kuvertierte, kopierte und Kaffee kochte.

      Die Eltern kamen meist abwechselnd auf Besuch, wenn sie in der Stadt zu tun hatten. Teresa war immer gut gelaunt. Sie erzählte harmlose Geschichten über Unikolleginnen und die ungeschickten Annäherungsversuche eines Bürokollegen. Edith fiel auf, dass sie sich anders kleidete. Sie trug Blusen und Stoffhosen, Perlenohrringe und Ballerinas. Die Dr. Martens waren in einem Kasten gelandet. Edith sagte nichts dazu, auch mit ihrem Mann sprach sie nicht darüber. Sie brachte immer Kuchen und Küchenutensilien mit.

      »Es ist so karg hier, du hast dich ja überhaupt nicht eingerichtet«, sagte sie. »Ach«, antwortete Teresa, »ich hab so viel zu tun, ich komm gar nicht dazu. Und mittlerweile finde ich es gar nicht so schlecht, ich muss viel weniger putzen und bin schneller fertig mit dem Staubsaugen.« Sie lachte, und Edith stimmte mit ein. »Du weißt ja, wenn du Geldsorgen hast, werden wir dich auf alle Fälle unterstützen.«

      Teresa hatte keine Geldsorgen. Frühmorgens kramte sie ihre Sportsachen zusammen und lief los. Sie hatte sich in einem Fitnessstudio in der Nähe eingeschrieben und war seit einem Monat Stammgast. Alle begrüßten sie freundlich. Die Trainer hatten schon versucht, mit ihr in Kontakt zu kommen, doch sie blieb wortkarg, ließ sich Übungen zeigen und führte sie dann aus. Stundenlang war sie da und arbeitete alle Geräte durch.

      »Wieder so eine Bulimiesüchtige«, flüsterten sich die Trainer zu. Es gab noch zwei weitere dürre Besucherinnen, die sich Stunde für Stunde quälten. Aber Teresa interessierte sich nicht dafür, Kalorien ab- und Muskeln aufzubauen. Sie wollte wissen, wie weit sie gehen konnte, wie viel ihr Körper in drei Monaten schaffen, durch- und aushalten würde. Sie lief zur Uni, saß dort kniewippend und mit dem Stift spielend die Vorlesungen ab und trainierte in den Pausen im Park.

      Sie hatte gelogen, sie hatte überhaupt keine Freunde. Teresa war nur mit Leuten, die sich angeboten hatten, ausgegangen, um ihre Mutter zu beruhigen. Und es hatte geklappt, die Eltern waren ausgezogen und hatten sie endlich allein gelassen.

      Auszugehen interessierte sie nicht. Nach dem Skilehrer hatte sie die Treffen mit den Leuten aus dem Büro und der Uni wieder beendet. Sie ging nicht mehr ans Telefon, wenn jemand sie anrief, beantwortete keine SMS, bis sie endlich aufhörten, nachzufragen.

      Für die Prüfungen lernte sie so viel wie nötig. Sie verlegte das Lernen ins Fitnessstudio, wo sie die dicken Bücher auf den Crosstrainer legte und draufstarrte. Ihr Körper hatte einen permanenten Muskelkater, teilweise konnte sie kaum sitzen, aber sie hörte nicht auf. Einmal verstauchte sie sich den Fuß, es tat höllisch weh, sie schrie laut auf. Die Trainer rannten zu ihr, wollten ihr helfen. »Übertrainiert«, sagte einer. Sie wollten schon die Rettung rufen, aber das konnte sie ihnen noch ausreden. Am nächsten Tag stand sie wieder da, alles gut, log sie, sie habe ein Röntgen machen lassen, es sei nichts passiert.

      Und jeden Abend stellte sie sich vor den Spiegel, begutachtete sich, und merkte, dass es nichts geholfen hatte. Trotz der Anstrengung konnte sie ihren Körper nicht als Ganzes betrachten. Zuerst dachte sie, es läge an dem zu kleinen Spiegel im Badezimmer, woraufhin sie sich einen riesigen Spiegel liefern ließ. Doch auch vor diesem Spiegel war sie nur in Teilen vorhanden. Kurz überfiel sie Panik – litt sie an einer Augenkrankheit, war etwas kaputt? Doch ansonst sahen ihre Augen alles wie immer, nichts deutete auf eine Erkrankung hin.