Название | Teresa hört auf |
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Автор произведения | Silvia Pistotnig |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783903184831 |
»Was ist denn da noch?«, fragte Mama. Teresa hatte sie gar nicht bemerkt. Sofort verschwanden die Buben samt ihrer wundersamen Stärke. »Schlafen, nicht turnen!« Mama lachte. Teresa war enttäuscht. Warum sah denn keiner, was sie sehen konnte, warum bemerkte denn niemand, dass sie, sie … »Ab ins Bett!«, sagte Mama jetzt. Teresa legte sich hin. Sie hatte keine Schneewittchenhaare. Und keine unendlichen Kräfte. Aber sie hatte Fantasie. Das sagte die Mama immer. Wobei Teresa nicht genau wusste, was das war, Fantasie. Mama hatte ja keine Ahnung, in welchem wilden Wettkampf sie sich gerade befunden hatte!
Als die Mama aus ihrem Zimmer draußen war, träumte Teresa liegend weiter, wie sie ihre Rivalin herausforderte. Spring doch höher, noch höher, mach doch, na, tu es, traust du dich nicht, dann hüpf doch! Teresa drückte ohne Angst mit Pippi Arm, rang mit ihr, da, sie hatte sie schon auf den Boden geworfen, lag über ihr und, ja, sie blieb liegen, Pippi blieb liegen, sie, Teresa, war die Gewinnerin! Ihr Arm wurde hochgehoben, die Leute jubelten, alle Kinder, die sie kannte, waren da, und natürlich Tommy und Annika und Nils Holgersson und Heidi und wie sie alle hießen.
Teresa zeigte es allen, sie bewies allen, dass sie die Stärkste war, dass sie die Schönste war; sie konnte Räder schlagen und einen Salto nach dem anderen machen, sie konnte auf Bäume klettern, schneller als ein Affe und ohne sich festzuhalten, und sie sprang über Dächer und jagte einem Gepard hinterher, denn natürlich hatte sie keine Angst vor wilden Tieren und streichelte sie, ohne dass sie sich voreinander fürchteten.
Nur Pippi saß wütend und gedemütigt in der Ecke und schmollte. Als Teresa das bemerkte, ging sie zu ihr hin und streckte die Hand aus, bot ihr die Freundschaft an. Denn Teresa war eine richtige Heilige, nicht so wie die anderen Kinder. Sie war gut und brav. In allem und immer und überall die Beste. In der Fantasie ist alles möglich. Das sagte Mama immer. Und das verstand Teresa nicht.
XX
»Ja, habe ich erledigt.« Eine Kollegin holt mich aus meinen Träumen. Langsam kehre ich an den Meetingstisch zurück; rundherum sitzen Frauen, ehemalige Uni-Abgängerinnen, College-Besucherinnen, Maturantinnen, Mütter in Teilzeit, dazwischen der Einzige, der es geschafft hat – sofern man Erfolg mit Geld misst. Er ist hier der einzige Mann und der Einzige ohne Matura: der Geschäftsführer. Ohne ihn wüssten die Maturantinnen und Maturanten nicht wohin, ist das nicht skurril?
»Hast du das gestern mit Cola noch gecheckt, Betty?«
Betty: Der Name, den ich im Büro und auch sonst oft trage. Einfach, nichtssagend, langweilig. Wie ich in Wirklichkeit heiße, interessiert mich nicht mehr.
Ich nicke. Christian setzt seine Reihe fort, inne anne u – und dran bist du; keine lässt er aus, egal ob hier am Tisch oder im Bett, das hat etwas Tröstliches. »Gut, dann läuft alles nach Plan, weiter so, an die Arbeit.«
Sein Jungburschengrinsen, sein Versprechen, dass alles gut wird, damit macht man Karriere. Vergessen Sie Ihr Studium, eine Hochschule macht nichts aus Ihnen, nur mit diesem Charme kommen Sie an die Spitze. Aber wer will da schon wirklich hin.
Christian erfüllt keine Wünsche, er ist ein Gott mit unwiderstehlichem Grinsen. Er waltet in seinem Kosmos, stellt ein und kündigt, bringt Frauen zum Weinen, zum Lachen und zu orgiastischem Schreien, und Männer zum Schulterklopfen.
Schulterklopfen ist so intim und gleichzeitig respektvoll, eine Geste, zu der Frauen nie kommen werden, die sie nicht ausüben können, ohne Verständnislosigkeit zu ernten.
Wie fleißige Bienen surren wir im Großraumbüro wieder zu unseren Plätzen zurück, abgetrennt durch innenarchitektonisch durchdachte Lichtbalken, um bis in die letzte Ecke alles zu durchleuchten.
In meiner Ecke gibt es keine Pflanzen, keine Bilder von Hunden, Katzen oder Kindern, mein Schreibtisch ist anonym, leer und aufgeräumt, ein Synonym für mich selbst, zeig mir, wo du sitzt, und ich sehe, wer du bist.
Meine Nachbarinnen tippen, tratschen, telefonieren – TTT –, während ich mich auf die Arbeit beschränke. Ich höre nicht zu, ihre Männergeschichten interessieren mich genauso wenig wie ihre Freizeitbeschäftigungen, ein stimmliches Dahinplätschern, unterbrochen von schrillem Lachen.
Ich habe einen Sonderstatus, keine ist so effizient wie ich, ich bin eine Maschine, vom Anfang bis zum Ende beschränkt sich mein Dasein auf die Arbeit. Nur die Klopausen halten mich auf. Immer wenn Kolleginnen durch neue getauscht werden, versuchen die mich zu integrieren. Sie fragen mich nach Hobbys, Familie, Liebschaften, was es alles so gibt, meine knappen Antworten und mein Desinteresse lassen sie schnell verstummen.
Keine Sekunde Freizeit zu viel gönne ich mir, das Geld wandert auf mein Konto, und trotzdem bleibt es nicht dort, es liegt in den Kassen von Hofer, Billa, Merkur, Spar und Penny. Nichts bleibt übrig.
Das Telefon läutet. »Hast du die Zahlen noch mal kontrolliert?«, fragt Christian. »Natürlich«, antworte ich. »Gut, dann sind jetzt nur noch Restplätze zu haben, yes!!«
Die Euphorie in seiner Stimme. Die Aufregung. Ein Monat vor dem Start, und nur noch Restplätze. Das ist Triumph, das ist Erfolg. Das ist mir so egal.
Ich rufe Serge an, einen von drei Männern der Firma, natürlich IT-Experte und Projektleiter, die beiden anderen sind die Geschäftsführer. Während wir Bienchen für die Bereiche Marketing, Akquise, PR und Buchung zuständig sind, halten drei Männer den Betrieb aufrecht. Und ich, ja, ich, bin das Mädchen für alles, Kontrollorgan, Lektorin, Social-Media-Expertin, Aufpasserin und Akquisiteurin für die Härtefälle, wie Christian sagt. Wenn sein Jungbubencharme nicht wirkt, muss meine eisige Coolness her, meine weibliche Ader, mein toughes Aussehen – »Was auch immer dein Geheimnis ist, es wirkt«, sagt Christian. Ich bin so geheimnisvoll wie eine weiße Wand.
Aus dem einzigen abgetrennten Büro tönt Minuten später Christians Fluchen, er darf das, er darf alles, herausstürmen und weiterschimpfen, durch die Gänge rennen und ins Handy hineinbrüllen – selbst dabei verliert er seinen Bubencharme nicht.
Er läuft auf meinen Tisch zu, donnert mit der Faust darauf, »DU musst da ran, ich pack den Idioten nicht mehr!« – »Kein Problem«, sage ich ruhig, während die Bienen rundherum ihre Flügel eingezogen haben, ach Bienchen, ihr wisst doch, Hunde, die kläffen …
Zwei Stunden später treffe ich den Marketingleiter einer Firma. Typ Hipster, top Work-Life-Balance, bebrillt, bärtig und langweilig, es kostet mich dreißig Minuten, ihn dank meiner Strenge, Autorität und Unnachgiebigkeit zu überzeugen. Vom U-Bahnsteig aus rufe ich Christian an. »Ist erledigt«, sage ich, und er lacht schallend ins Telefon: »Du bist eine Geheimwaffe«, sagt er, ich steige ein, die Tür geht zu, Zug fährt ab.
XX
»Meinst du nicht, dass es schön wäre?«, fragte er noch einmal. Edith seufzte. Peter hatte recht. »Ja, natürlich.«
Sie und Peter hatten das Haus in Stadtnähe schon vor längerer Zeit gekauft und waren regelmäßig an den Wochenenden hinausgefahren. Als ihre Tochter Teresa älter wurde, blieb sie oft allein in der Wohnung, um mit ihren Freunden auszugehen. Die Eltern genossen die Zweisamkeit auf dem Land. Aber seit Teresa von ihrer Afrika-Entwicklungshilfe zurückgekommen war, ging sie weder aus noch fuhr sie mit.
»Ich weiß nicht, ob wir Teresa wirklich allein lassen sollten«, gab Edith zu bedenken. »Nach diesem Afrika-Aufenthalt war sie komplett daneben, findest du nicht? Sie hat ja gar nichts Vernünftiges mehr getan, nur Computer gespielt und ferngeschaut.«
Peter zuckte mit den Schultern. Das machte sie wahnsinnig. Konnte er nicht ein Mal Stellung beziehen? Eine Meinung vertreten? Alles war ihm egal. »Ist ja nicht so schlimm«, meinte er. Seine Standard-Antwort. Sie hätte ihn ohrfeigen können.
»Nicht so schlimm? Entschuldige, aber das ist nicht normal! In diesem Alter nichts zu tun, kein Ausgehen, nichts. Und mit uns