Название | Teresa hört auf |
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Автор произведения | Silvia Pistotnig |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783903184831 |
Als ich zurückkomme, sitzt Nicole noch immer auf ihrem Polster, die Beine vor sich ausgestreckt. Wie bei einer Puppe stehen sie gerade nach vorn ab, während ihr Körper durch die Position noch fetter wirkt. Alles hat sich zu ihrer Körpermitte hin vereinigt, die Brust, der Bauch, der Hintern, eine Frau wie ein Gebirge. Sie sieht dem Regen zu. Ich habe die Terrassentür geöffnet, einzelne Haare ihres Pagenkopfs bewegen sich im Wind.
Abrupt sieht sie mich an. »Sie sind ein großes Talent, Soo-Yun«, sagt sie. »Kein Ton ist von Ihrem Erbrechen zu hören, dabei habe ich mich darauf konzentriert. Sie sollten bei einer Talentshow mitmachen.« Nicole lacht nicht, es war kein Witz.
»Ich habe es perfektioniert«, sage ich, und tatsächlich könnte ich mich auch während der Arbeit geräuschlos und unauffällig übergeben. Ich warte, dass sie weitererzählt, doch sie schweigt; den Rest des Abends sehen wir den Regentropfen zu, bis sie sich um 22 Uhr verabschiedet.
XX
Teresa sah sich die unbekannten Häuser an, hörte die Sprache, die sie nicht verstand, Menschen zogen an ihr vorüber, lachende Gesichter, sie hatte das Gefühl, bereits zu träumen.
Sie waren am Strand gewesen, sie hatte im Sand gespielt, dahinter hatten Hochhäuser wie Türme in die Luft geragt. Die Stadt, hatte ihr Vater gemeint, sei eine der größten der Welt, dabei klang sie so kurz. Rio. Wie konnte so eine riesige Stadt so einen kurzen Namen tragen?
Morgen, hatte die Mama gesagt, würden sie auf einen Berg fahren. Von dort, meinte ihr Vater, könne man sehen, wie weit sich dieses Rio erstreckte. Sogar eine Statue von Jesus stehe da oben, gigantisch groß. Teresa waren Jesus und die Stadt egal. Sie wollte lieber im Meer mit den Wellen hüpfen.
»Komm, Schatz, nicht stehen bleiben.« Ihre Mutter zog sie an der Hand, aber Teresa konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Sie sackte bei jedem Schritt zusammen, so müde war sie. »Na gut«, sagte ihr Vater und hob sie auf seine Schultern.
Teresa fühlte sich wie eine Königin, die in einer Sänfte getragen wurde. Von hier oben konnte sie die Lichter und Reklamen der Geschäfte sehen. Sie legte das Kinn auf den Kopf ihres Vaters und fast wären ihr die Augen zugefallen. »Wir brauchen noch Wasser«, sagte Mama, und Teresa wachte wieder auf.
Das Wasser aus der Leitung konnte man nicht trinken, das hatten ihr die Eltern gesagt. Überhaupt war hier alles anders. Es war heiß und trotzdem schon früh dunkel, und die Geschäfte, das war das Verrückteste, hatten immer offen.
Sie blieben vor einem kleinen Laden stehen, nur ihre Mutter lief hinein. Teresa sah sich um. Es war viel los, überall Menschen, die herumgingen, und Lichter und Gemurmel. Sie sah in einen dunklen Hauseingang. Da war etwas, das dort nicht hingehörte. Sie konnte es nicht gleich erkennen, doch es sah aus wie Decken, die sich bewegten. Als sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte sie unter den Decken einen Mann. Er lag seitlich und hielt eine Frau in seinen Armen.
Teresa wusste, dass das Sandler waren, die gab es auch zuhause. Die haben nichts zu wohnen, das hatte ihre Mama schon einmal erklärt. Aber die Mama hatte ihr auch gesagt, dass es Räume gab, wo sie übernachten durften. Warum lagen die beiden dann hier in einer dunklen Decke bei einem Hauseingang? Gerade als Teresa ihren Vater fragen wollte, bewegte sich noch etwas, und dieses Etwas streckte plötzlich ein Köpfchen heraus und weinte.
Teresa erschrak. Das Kind weinte, die Mutter beruhigte es, und es verschwand wieder unter der dunklen Decke.
»Gut, gehen wir«, sagte Mama, die gerade aus dem Laden kam. Doch bevor Papa losgehen konnte, zerrte Teresa an seinem Kopf, zeigte mit dem Finger zu dem schlafenden Paar mit dem Baby vor dem Hauseingang und sagte: »Ihr müsst sagen, dass sie wohin können, dass es Räume gibt!« – »Nein, Schatz, wir müssen zurück«, sagte der Vater.
Teresa fing auf seinem Rücken zu zetern an. »Ihr müsst es ihnen sagen!«, rief sie.
»Wir können ihre Sprache doch gar nicht«, erinnerte ihre Mutter, und der Vater zog fest an ihren Beinen.
»Ihr könnt Englisch, das können alle!«, brüllte Teresa. Sie hielt nicht still, verwendete alle Kraft darauf, sich zu befreien, schließlich zog sie an seinen Haaren. Er schimpfte, holte sie herunter, ohne sie loszulassen. Die Mutter versuchte sie zu beruhigen, doch Teresa hörte sie nicht. Sie schrie. Die Leute schauten die Familie betreten an und gingen weiter. Der Vater hielt ihre Hände fest und mithilfe der Mutter zerrten sie das Mädchen weg.
Teresa schrie und heulte. Vor dem Hotel redete die Mama auf sie ein. »Beruhige dich doch, es ist doch alles gut.«
»Warum?«, fragte das verheulte und verrotzte Kind, als Papa endlich losließ. Er setzte sich auf die Hotelstufen neben Teresa, Mama hockte sich dazu. »Schatz, wir wissen ja gar nicht, wo es hier Räume für Menschen ohne ein Dach über dem Kopf gibt«, erklärte sie.
»Warum habt ihr ihnen kein Geld gegeben, dann können sie ins Hotel ziehen, so wie wir«, beharrte Teresa.
»Das geht nicht, mein Liebling, wir können nicht allen helfen, das ist unmöglich«, sagte ihr Vater mit sanfter Stimme.
»Warum?«, fragte Teresa, durch den Rotz und die Tränen hindurch. Die Eltern seufzten.
»Es sind zu viele Menschen, denen es nicht gut geht. Wir können uns nicht um alle kümmern.«
»Scheiße!«, schrie Teresa. Es war das schlimmste Wort, das sie kannte. Die Eltern streichelten ihr über den Rücken und redeten ihr gut zu.
In der Nacht begann sie zu fiebern. Der Hotelarzt verschrieb fiebersenkende Mittel. Die Eltern blieben bei ihr sitzen, redeten davon, dass das Kind so sensibel sei. Teresa wusste nicht, was das bedeutete. Bis zu ihrer Rückreise erholte sie sich nicht mehr. Die Eltern nahmen sie mit an den Strand, wo sie den ganzen Tag auf das Meer sah und vor sich hin murmelte. Sie wollte nicht mehr Sandspielen.
XX
Ich zeige Nicole meine Zeichnungen, die sie wortlos und Blatt für Blatt durchgeht, bis sie an meinem linken kleinen Finger angekommen ist.
»Das sind immer Sie, nicht?« Ich nicke. »Obwohl ich Sie nicht nackt gesehen habe, kann ich Sie in jedem Körperausschnitt erkennen. Sie haben großes Talent.«
Nicole legt die Blätter sanft zu Boden, sieht mich an, ihr Blick wandert von meinem Hals zu meinen Füßen, dann nimmt sie meine Hand und inspiziert meinen linken kleinen Finger. »Was für wunderschöne Bilder«, sagt sie. »Sie haben Ihren kleinen Finger wirklich perfekt getroffen!« Meine Erinnerung ruft die Stimme meiner Mutter hervor, auch sie hat ständig »perfekt getroffen« gesagt, was wollte sie von mir?
Nicole will nichts. Mit kleinen Schritten kehrt sie auf die Terrasse zurück. »Ich sehe so gern von hier oben hinunter«, meint sie und stemmt sich auf ihren Stuhl.
»Der Fernseher, das war der eigentliche Grund«, erklärt sie. »Das kleinen Baby und das große Haus und das Essen, das war alles toll, aber der Fernseher, der war unglaublich. Später hatte Vater sogar einen Satelliten, was glauben Sie, was das für meinen Bruder und mich bedeutet hat! Endlich habe ich in der Schule mitreden können über diese Filme und Serien, die schon alle gekannt haben. Black Beauty, endlich habe ich gewusst, wie dieses Pferd aussieht. Ich habe alles, was ich in der Schule gelernt habe, vergessen, aber ich kann mich noch heute an das Mädchen erinnern, das auf dem Pferd geritten ist. Mein Vater und seine Frau haben uns fernsehen lassen, mindestens zwei Stunden. Wir haben es immer gleich gemacht, mein Bruder und ich: Wir sind von der Schule nachhause gekommen, haben gegessen, Hausaufgaben gemacht, und dann waren wir weg. Ein paar Häuser weiter haben wir an der Tür von unserem Vater angeläutet. Er war gar nicht da, aber seine Frau. Sie war nett, sie hat meiner Mutter ähnlich gesehen, das war komisch. Sie war nicht hübscher, nicht jünger, der gleiche Typ, dick mit großem Busen. Ich habe mich gefragt, warum er meine Mutter verlassen hat, wenn er dann doch wieder dasselbe genommen hat. Wie ein Speckbrot, das wer stehen lässt, und alle denken, der nimmt sich jetzt