Название | Alles schick in Kreuzberg |
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Автор произведения | Klaus Bittermann |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862871117 |
Occupy Römer
Ich bin eingeladen zu einem »Künstleressen«. Das steht so auf der Einladungskarte. Es gibt dann aber gar keine Künstler, sondern Hühnchen mit Kartoffelgratin und Gemüse. Das schmeckt sehr gut, aber nach der großen Erwartung bin ich etwas enttäuscht, denn Künstler hatte ich noch nicht. Nicht zum Lunch jedenfalls. Höchstens am Hals.
Es sind aber gar keine Künstler da, sondern nur Leute, die mal in der Werbebranche gearbeitet haben und jetzt Fahrräder verkaufen, oder die seit dreißig Jahren dabei sind, ihre Dissertation zu schreiben und sehr langfristig Filmprojekte planen, von denen noch nie eins zustande gekommen ist. Und Oliver Maria Schmitt, der Bürgermeisterschaftskandidat von Frankfurt für die PARTEI, außerdem Autor des »Besten Romans aller Zeiten«, also ein Mensch, an dem die Hybris nicht einfach so vorbeigegangen ist.
Ich frage ihn, wie seine Chancen bei den kommenden Wahlen im März 2012 stehen. »Sehr gut«, sagt er, weil alle anderen Parteien nur Kandidaten hätten, die niemand kennt. Er würde sich an die Occupy-Bewegung dranhängen und mit der Losung »Occupy Römer« einen erfolgreichen Wahlkampf machen, weil er in seinen Reden dann sagen könne, was für alle nur eine Art politische Praxis sei, sei für ihn schon seit Jahren »gelebtes Leben«, denn seine Frau heiße mit Mädchennamen Römer. Leider wolle seine Frau nicht mitmachen, weshalb er für seinen Wahlkampf auf der Suche nach einer attraktiven, jungen blonden Frau sei, die man als Politiker nun mal an seiner Seite brauche, wenn man einen richtigen amerikanischen Wahlkampf machen wolle, und als Hunter S. Thompson von Frankfurt käme für ihn nun mal nichts anderes in Frage. Ob ich ihm nicht jemand für die Zeit des Wahlkampfs zur Verfügung stellen könne. Danach lasse man das Ganze als schmutzigen Wahlkampf durch Bild auffliegen, und »seine« Wahlkampffrau könne anschließend darüber ein Buch schreiben mit dem Titel »Ich war die Frau des Frankfurter Bürgermeisterschaftskandidaten«.
Ich frage ihn, ob ich das nicht machen könne. Ich würde mir auch die Beine rasieren. »Ich weiß deinen guten Willen zu schätzen«, sagt Schmitt, »aber ich sagte ›jung, attraktiv und blond‹.«
Dann überlegen wir weiter, und dann sage ich wieder, dass ich dafür sogar meine Beine rasieren würde, und Oliver Maria Schmitt sagt wieder, dass er meinen guten Willen zu schätzen wisse. Das geht eine ganze Weile so. Da uns einfach niemand sonst einfällt, der den Job übernehmen würde, trinken wir noch etwas.
Dann gehe ich auf die Straße, winke ein Taxi heran und steige hinten ein. Eine junge, attraktive und blonde Frau in sehr kurzem Minirock und roten hochhackigen Lackschuhen steigt vorne ein. Ich sage, das Taxi sei schon besetzt, und zwar mit mir. Sie möchte trotzdem mitfahren. Ich sage, sie wisse doch gar nicht, wohin ich wolle. Das sei ihr egal, sagt sie. Ich lasse sie mitfahren. Ich bin ja kein Unmensch, und schon gar nicht zu so später Stunde. Vielleicht kommt sie ja als Frankfurter Bürgermeisterschaftskandidatengattin in Frage, aber als ich versuche, ihr den Fall darzulegen, reagiert sie mit keinem einzigen Wort. Als wir dann zusammen aussteigen und ich die schweigsame blonde, attraktive und junge Frau frage, ob ich ihr helfen könne, schüttelt sie nur ausdruckslos den Kopf und stöckelt in die Nacht.
Kool & The Gang
Zuerst zur Schneiderin, die eine Hose entweder weiter oder enger machen sollte, was ich aber hier nicht verrate, weil dann jeder mit einer gewissen Genugtuung denkt, der ist also auch fetter geworden, oder neidisch eben das Gegenteil.
Die Schneiderin ist sehr dick, fast so breit wie hoch, also eher eine Kugel. Meine Probleme hat sie nicht. »Hab’s wieder nicht geschafft«, sagt sie, denn gestern hatte sie es auch nicht geschafft. Dann sagt sie: »Setzen Sie sich, ich mach das schnell.«
»Ne, ich hab noch was zu tun«, sage ich.
Sie will mich umstimmen: »Immer, wenn ich Sie hier reinkommen sehe, muss ich an Kool & The Gang denken.«
»Was?«, frage ich, weil mich das verwirrt.
»Kool & The Gang! Kennen Sie nicht?« Dabei schwingt sie ihre Hüftspeckreifen und lacht.
»Doch«, sage ich und lache auch, allerdings mehr aus Verlegenheit, denn von »Kool & The Gang« kenne ich nur den Namen.
Dann gehe ich zum Kuaför, der mir sagt, ich solle mich bitte setzen, da wären noch zwei Leute vor mir. Ich sage, keine Zeit, ich käme später wieder. Auf dem Stempel, den ich im Stempel-Laden abholen will, steht nur die Hälfte, nämlich »Bitter«. Ohne »Mann«. Der Stempel-Mann sagt: »Setzen Sie sich, ich schnitze Ihnen schnell einen neuen.« Sagt er natürlich nicht, aber es hätte mich nicht gewundert.
Eigentlich schade, dass man die ganze Zeit nicht hat, die zu verplempern einem überall großzügig angeboten wird. Laut Hans Magnus Enzensberger bin ich eine arme Sau, denn Reichtum bedeute nicht nur viel Geld, das ich auch nicht habe, sondern auch viel Zeit.
Dieser Gedanke deprimiert mich. Aber nicht sehr. Nur, dass gar nichts von den Erledigungen geklappt hat, macht mich fertig. Wenn ich das gewusst hätte, denke ich, wäre ich gar nicht erst losgegangen. Oder wie Wolfgang Stumph das viel besser sagt, dem es am selben Abend bei Markus Lanz genauso geht wie mir schon den ganzen Tag über: »Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich vielleicht gar nicht so richtig gekommen.«
Daheim gebe ich bei Google »Kool & The Gang« ein. Aber da stürzt mein Computer ab.
Der Flaum im Gesicht der Nazis
Der Tipp kommt von einem Berlinale-Experten. Irgendwas leichtes Französisches. Der Berlinale-Experte sagt natürlich mehr als nur: »Ist irgendwas leichtes Französisches«, aber mehr will ich mir gar nicht merken, weil ich das ja dann sowieso früh genug sehe.
Ich komme mit einem abgelaufenen Journalistenausweis rein, was mich ein wenig skeptisch macht. Vorne in der zweiten Reihe ist noch was frei. Ein Mann im grauen Zweireiher, der ein bisschen hängt – der Zweireiher, nicht der Mann –, stellt den Film vor. Sich selbst brauche er ja nicht vorzustellen, weil ihn sowieso jeder kenne. Da habe ich ja Glück, dass ich nicht »jeder« bin, weiß jetzt aber immer noch nicht, wer er ist.
Er übergibt das Mikrofon dann einer Frau, die sagt, dass sie nur sagen wolle, dass Alfred Holighaus nicht da sei, was schade ist, denn den hätte ich gekannt. Er ist Schalke-Fan und wenn Schalke gegen Dortmund spielt, gucken wir zusammen, wie Schalke verliert.
Dann werden noch ein paar Leute, die den Film gemacht haben, vorgestellt, aber nicht der Regisseur, weil der gerade in seiner Villa in Los Angeles ist.
Als der Film anfängt, stellt sich schnell heraus, dass es nichts leichtes Französisches ist, sondern was schweres Deutsches. Ich merke das daran, dass die Untertitel Englisch sind, was mich zunächst etwas verwundert. Und dann wird auch noch deutsch gesprochen. Trotzdem lese ich die Untertitel mit, weil’s da mehr zur Sache geht. Wenn einer sagt: »Bewegt euch!«, steht unten: »Move your asses!«
Sonst werden viele glatzköpfige Neonazis gezeigt, wie sie in Autos rauchen, kopulieren, laut Nazimusik hören, Bier trinken, schlägern und tun, was Nazis eben so tun. In Nahaufnahme. Man sieht sogar den Flaum im Gesicht der weiblichen Nazis. Das wollte ich eigentlich nicht sehen. Als ich aus dem Kino gehe, wartet schon der Mann im grauen Zweireiher auf mich und sagt: »Das hier sind die Macher des Films.« Ich sage nichts. Das mit dem Flaum hätten sie sowieso nicht verstanden.
Scheiß Rechtsstaat
Ich liebe die Notaufnahme im Urban-Krankenhaus. Wenn man dort ist, geht es einem schon gleich besser. Nicht wirklich natürlich, aber im Vergleich zu den anderen, die auch in der Notaufnahme des Urban-Krankenhauses liegen. So schlecht, dass ich ununterbrochen ein schluchzendes Heulen in höherer und einen durchaus zum Abtöten von Nerven geeigneten Ton von mir geben würde, geht es mir jedenfalls nicht. Still liege ich auf der Pritsche und warte auf den Arzt. Das tun alle hier.
In der Nähe sitzt ein Mann auf dem Bett. Neben ihm ein Sanitäter, der ihn hierher gebracht hat. Der Sanitäter sagt: »Nu leng Se sich mal hinne und sitzen Se nicht wie ‘n