Alles schick in Kreuzberg. Klaus Bittermann

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Название Alles schick in Kreuzberg
Автор произведения Klaus Bittermann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783862871117



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Sie filmen nicht.

      Viele Leute sind nicht da. Vielleicht liegt das daran, dass es sich um ein Projekt in Berlin-Mitte handelt. Vielleicht auch, weil die schwarz gekleideten Menschen merkwürdige Dinge tun. Ein paar nageln aus Holzpaletten Bänke und Liegen zusammen, und auf einem Anhänger befindet sich eine provisorische Schmiede. Ein Stück Eisen wird in eine offene Feuerstelle gehalten, bis die Spitze glüht, und dann wird mit einem Hammer darauf herumgehämmert. Ich kann nicht herausfinden, ob nur einfach so auf dem glühenden Eisen herumgehämmert wird, oder ob irgend­etwas geformt werden soll. Das Ganze nennt sich »unkommerzielles Projekt«, und das sieht man dem Projekt auch überdeutlich an. Wer will sich schon eine Sitzlandschaft aus Paletten ins Wohnzimmer stellen?

      Später stellt sich heraus, dass der Journalist Matthias Greffrath irgendwie in die Geschichte um die Hausräumung verwickelt ist, weil er das Haus offenbar gekauft hat, in dem das »unkommerzielle Projekt« untergebracht ist, das nun geräumt werden soll.

      Bei Matthias Greffrath fällt mir aber immer nur ein, dass er mich mal am Telefon mit »Na, du kleine geile Schlampe!« angesprochen hat. Er meinte dann aber Gottseidank nicht mich, sondern jemand anderes. Glück gehabt, aber das prägt, das kriegt man nie wieder aus dem Kopf raus.

      Imran muss geschlossen werden

      Auf der Kottbusser Brücke treibt sich sehr viel Polizei herum. Ich glaube, es ist eine Art Einsatzpolizei. Und zwar unterschiedliche Einsatzpolizei. Ich sehe das daran, dass sie sich farblich ganz leicht unterscheiden. Eine Gruppe trägt mehr Olivgrün und hat eine vierstellige Nummer hinten drauf. Eine andere Gruppe scheint mehr ein Grün zu bevorzugen, das eine Nuance heller ist, und auf den Rücken haben sie sich eine andere vierstellige Nummer gepappt. Einige Polizisten tragen Camcorder, aber ich sehe nur einen, der auch filmt, und zwar seine Kollegen. Manche gehen im Gänsemarsch, was ein bisschen albern aussieht, vor allem, weil ein großer dicker Polizist direkt hinter einem kleinen dünnen läuft. Da hätte die Einsatzleitung ein Auge drauf haben müssen. Finde ich. Das muss ja schon ein wenig zusammenpassen.

      Die Polizisten laufen neben ein paar Demons­tranten her. In der vordersten Reihe befinden sich nur Frauen. Sie tragen ein großes Transparent, auf dem steht: »Imran muss sofort geschlossen werden!« Imran? Imran Ayata etwa? Ich kenne Imran. Er hat gerade ein Buch veröffentlicht. Über das Berliner Nachtleben eines Türken, dessen Eltern im Lotto gewonnen haben. Aber warum muss der geschlossen werden? Ich gucke nochmal hin. Es ist gar nicht Imran, sondern »Imralı«, das sofort geschlossen werden muss. Falls Sie nicht wissen, was »Imralı« ist, googeln Sie doch selbst.

      Kurden also, denke ich. Von den Parolen verstehe ich nur, dass die Türkei irgendwas Terroristisches ist. Hinter dem Frauenblock gibt es noch einen Frauenblock. Frauen mit Kopftüchern tragen eine sehr große, sehr grün-rot-weiß-ge­streifte Fahne. Sie tragen sie wie ein Sprungtuch.

      Am nächsten Tag gibt es die gleiche Demo noch einmal. Ein lässig auf seinem Motorrad sitzender gelber Straßenabsperrpolizist sagt auf meine Frage, wer da demonstriert: »Keene Ahnung, wer da demonstriert. Irgendwelche Türken, denk ick mal.« Das war jetzt nicht schwer herauszufinden, denn es ist sehr viel junges Volk unterwegs, das sich in türkische Fahnen eingewickelt hat und laut schreit, dass die PKK irgendwas Terroristisches ist.

      Wählt Guy Debord

      »Was macht ihr auf meiner Brücke?«, fragt uns der Vorsitzende der PARTEI Martin Sonneborn, als wir über die Admiralbrücke gehen. »Wir müssen nur schnell was erledigen und kommen dann wieder zurück«, antworte ich. Das ist zwar keine Antwort auf seine Frage, aber die habe ich auch nicht verstanden.

      Martin Sonneborn nickt freundlich und grinst chinesisch wie immer. Ein paar Meter weiter sagt mir Nadja, was Sonneborn wirklich gesagt hat. Daraufhin finde ich meine Antwort gar nicht so schlecht, denn ich mag es, wenn Leute aneinander vorbeireden.

      Martin Sonneborn hat mit seiner PARTEI auf der Admiralbrücke plakatiert, z.B.: »[kriminelle] Touristen raus«. Warum eigentlich nur die kriminellen, frage ich mich? Nicht, dass ich etwas gegen Touristen habe. Einige meiner besten Freunde sind Touristen, zum Beispiel ich. Aber die reichen mir auch schon. Die ganzen anderen müssen jetzt nicht unbedingt sein!

      Die Touristen stört das Plakat nicht. Nicht einmal die kriminellen Touristen. Sie haben sich auf Decken niedergelassen, machen Picknick und spielen Karten. Sie lassen sich durch nichts stören, auch nicht von den Plakaten der Grünen, auf denen sich jeweils ein Gesicht und ein Name befindet, wobei weder das eine noch das andere so beschaffen ist, dass man sie sich merken würde.

Fotografie

      Dennoch gibt es Menschen, die sich daran stören, und zwar eine Gruppe, die es schon lange nicht mehr gibt und die auch nicht in Berlin, sondern in Paris zu Hause war: die Situationistische Internationale. Ihr Anführer hieß Guy Debord und hat nie im Leben gewählt, weil er für Räte war und gegen die Delegierung von Macht. Jetzt ist die SI wieder auferstanden und überklebt die Grünenplakate mit »Wählt Guy Debord«. Den Touristen fällt das nicht auf. Nicht mal den französischen. Den Einheimischen aber auch nicht.

      Ich hingegen finde das so aufregend, dass ich nach Hause eile, um meine Digitalkamera zu holen, um dieses Dokument festzuhalten. Dann gehe ich weiter in die Admiralstraße, wo die PARTEI bei der kpd/rz ihr Wahlbüro aufgemacht hat, um zu fragen, ob ich schon mal meine Stimme abgeben kann. Aber das Büro hat zu. Es hängen nur ein paar Plakate am Schaufenster. Vier PAR­TEI-Abgeordnete, die in Berliner Hinterhofecken strullen.

      Guy Debord hätte das gefallen. Vielleicht aber auch nicht. Man kann ihn leider nicht mehr fragen. Er ist seit 1994 tot.

      Letzte Worte

      In der Dieffenbachstraße sagt eine Frau zu ihrer Freundin, dass es »hier nicht so geleckt« sei wie in anderen angesagten Bezirken. Stimmt. Zum Beispiel die Post. Seit sie sich in kleinen Ramschläden versteckt, muss ich meine Pakete zum Kottbusser Damm schleppen. Dort ist die Post bei McPaper untergeschlüpft. Ich stelle mich hinter einer Schlange an, deren Schwanz bis zur Straße hinausreicht, wo ich Passanten im Weg stehe. Vor dem Schalter habe ich die Muße, stundenlang pinkfarbene »Miss-Modell«-Produkte wie Kämmchen, Beutelchen, Spieglein zu bestaunen, alles eben, was eine Miss Modell so braucht, um eine Miss Modell zu werden.

      Auf dem Weg zum Arzt komme ich beim türkischen Süpermarket Bolu vorbei, wo es Helâl et Pazari gibt. Die Obstauslage nimmt die Hälfte des Bürgersteigs ein. An einem Baum direkt daneben steht ein etwa fünfjähriger Junge und pinkelt. In zweiter Reihe parkt eine fette schwarze und glänzende Mercedes-Limousine. Die Beifahrertür steht offen. Hinter dem Steuer spricht ein dicker Türke auf Türkisch ins Handy. Auf der Rückbank sitzt eine Frau, die in einem Pelzmantel mit hochgestelltem Pelzkragen steckt. Der Junge zieht den Reißverschluss hoch und klettert auf den Beifahrersitz.

      Beim Arzt sitze ich neben einem alten unrasierten Mann mit Gehhilfe. Sein Sohn bringt ihm Kaffee: »Hab ick von Kaiser’s jeholt. Die ham auch ne Bockwurst. Willste eene?« Der alte Mann will keine. Aber Kaffee schon. »Schmeckt jut, der Kaffee«, sagt er. »Ja«, sagt sein Sohn wieder, »is von Kaiser’s, aber kipp ihn nicht aus.« »Nene, mach dir mal keene Sorgen«, sagt der Alte. »Schmeckt echt jut, der Kaffee«, sind seine letzten Worte, dann kippt er um. Der Mann. Der Kaffee aber auch.

      Nach Camus muss man sich diesen Mann als glücklich vorstellen. Er hat, glaube ich, in seinem Leben genug Felsbrocken vergeblich den Berg hochgerollt. Und der Kaffee hat ihm auch geschmeckt, obwohl das für Kaiser’s jetzt keine gute Werbung war.

      Schönen Tag noch

      Da geht man morgens trantütig zum Bäcker, um Mr. Fup ein Schokoladencroissant zu kaufen, auf das er zum Frühstück besteht, und schon muss man kurze Zeit später im Zeit-Magazin lesen, dass man irgendwen nicht gegrüßt hat.

      Der Irgendwer heißt Harald Martenstein, dem im Zeit-Magazin eine Kolumne eingeräumt wurde, um sich über solche Dinge beschweren zu können, wie dass er nicht gegrüßt worden ist, und das schon früh beim Bäcker. Dabei kann ich mich gar nicht erinnern, dass ich ihn nicht