Alles schick in Kreuzberg. Klaus Bittermann

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Название Alles schick in Kreuzberg
Автор произведения Klaus Bittermann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783862871117



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verstehen«. Viel Spaß, denke ich, und schließe Augen und Ohren.

      Kontaminiertes Sushi

      Ich sitze bei einem Japaner auf dem Kottbusser Damm und bestelle kontaminiertes Sushi. Eigentlich nur Sushi, ohne Kontaminierung, aber die soll es ja angeblich gratis dazugeben. Und noch eigentlicher bestelle ich weder Sushi noch kontaminiertes Sushi, sondern die 140. Sechs Stück. Vor dieser 140 sitze ich also, ein bisschen in der Erwartung, erleuchtet zu werden, was natürlich Quatsch ist, aber man passt sich der Gegend an, in der man sich gerade befindet. Und wenn ich mich auf dem Kottbusser Damm befinde, dann gehen mir eben solche völlig unnützen Gedanken durch den Kopf. Und auf dem Kottbusser Damm wiederum befinde ich mich, weil ich ja auch ab und zu aus dem »Graefekiez« raus muss, in dem jeder Zweite die Grünen wählt und sogar der neben mir wohnende Müntefering einer Minderheit angehört, und ich als PARTEI-Wähler noch mehr, obwohl die PARTEI mit 2,8 Prozent im Viertel ein Traumergebnis erzielt hat.

      »Haste mal 50 Cent? Ick hab heute noch nichts gegessen«, sagt eine Frau, die man nicht für eine Bettlerin halten würde, wenn sie nicht bettelte. Sie wiederholt ihren Spruch mit einer kaum kaschierten Aggressivität und in erstaunlicher Geschwindigkeit, als wollte sie sich keinen der zahlreich an ihr vorbeihastenden Passanten durch die Lappen gehen lassen.

      Ich schiebe mir gerade das zweite Stück 140 in den Mund, als es auch mich erwischt, aber da ich kein 50-Cent-Stück habe, blicke ich nur kurz auf und hebe bedauernd die Schultern. »Biste ‘n Spanner, oder wat?«, sagt sie und geht weiter. Das gibt mir zu denken, aber ich komme zu keinem Ergebnis.

      Schließlich kommt sie zurück. Ich gehe in De­ckung. Sie steht vor einer Haustür und drückt auf Klingeln. Ein älterer Türke kommt heraus. »Wie kommt man denn hier rein, wenn man in dem Hotel hier wohnen will?«, fragt die Bettlerin. Hotel? Bettelt, um sich ein Hotelzimmer leisten zu können? Warum nicht, denke ich.

      Kaum aber hat der Türke den Mund aufgemacht, zischt sie: »Mit Ausländern will ich ja jetzt echt nix zu tun haben«, und verschwindet ein weiteres Mal.

      Gottseidank hatte ich keine 50 Cent dabei. Die kann ruhig noch ein bisschen hungern.

      Hit the Road, Jack

      Morgens zur Zeitungslesezeit begebe ich mich zu »Monsieur Ibrahim«, um Zeitung zu lesen, diesmal jedoch nicht die übliche Presse, sondern das neueste Journal von Miss Trixie. Vierfarbig, klein­formatig und in nur einem Exemplar verfügbar. Ich lese in »Vermischtes«:

      »In China stürzte sich ein Mann von einem siebenstockwertigen Hochhaus runter. Süchater hatten sich 4 Jahre lang um ihn gekümmert. Dass er wieder Lust am Leben hat. Die Süchater waren Profis und haben sich sehr Mühe gemacht. Experten fragen sich nun, warum es nicht geholfen hat. Wahrscheinlich war er unbeliebt, auch in der Schule. Man glaubt auch, dass er kranke Verwandte hat und sich Sorgen gemacht hat. Polizisten versuchen jetzt auch was herauszufinden.«

      Ich bin hingerissen und deprimiert zugleich. Da versuche ich, lustige und hinterhältige Texte zu schreiben, und dann kommt eine zehnjährige Göre daher, noch dazu meine eigene Tochter, und zeigt mir mal ganz nebenbei, wie ein lustiger und hinterhältiger Text aussieht. Ich glaube, jetzt könnte ich auch einen Süchater gebrauchen.

      Aber den könnten hier viele gebrauchen. Zum Beispiel der Mann vor Kaiser’s, der die Motz feilbietet wie ich das sonst nur von den Zeugen Jehovas kenne. Er hält sie stumm vor seine Brust wie ein Mahnmal der Anklage. Obwohl, bei dem würde ein Süchater auch nichts nützen. Geld würde schon reichen. Auch bei dem Mann, der aus einem Abfallkorb einen Coffee-to-go-Papp­becher herausfischt, den Deckel abmacht, den Kaffeerest ausschüttet und den Becher dann mitnimmt. Nur am Geld kann das nicht liegen, jedenfalls nicht im Sinne von: »Ich bräuchte jetzt einen Pappbecher, kann mir aber keinen leisten.«

      In der U-Bahn-Linie 1 entern drei Spanier den Waggon. Zwei haben Trompeten dabei, einer ein Plastikharmonium, und dann haben sie auch noch eine fette Box mit Anlage dabei, die sie auf einem Hackenporsche hinter sich herziehen. Einer sagt irgendwas auf Spanisch, das ich nicht verstehe, außer »bruta«, und dann dröhnt »Hit The Road, Jack« von Ray Charles aus der Box. Sie tun so, als ob sie mitspielen würden, aber nur ein bisschen. Dann geht einer mit einem Coffee-to-go-Pappbecher herum. Es dämmert mir. Klar, wofür sonst braucht man auch einen gebrauchten Coffee-to-go-Pappbecher.

      Als sie den Waggon wieder verlassen, verste­cken sie ihre Trompeten unter der Jacke.

      Hey Yo! Was geht ab?

      Ich bin gerade angefixt und gucke die amerikanische Fernsehserie »Wire« am Stück weg. Sie spielt in Baltimore, einer Hafenstadt an der Ostküste. Sie hat die höchste Mordrate und ist voller Drogen. Und die Nigger, die sich in der Serie alle mit »Nigger« dissen, tragen XXXXL-Übergrößen und sagen, wenn sie auf der Straße herumlungern, immer »Hey Yo!« Das versuche ich jetzt auch Fup beizubringen. Besser, Baltimorisch zu sprechen als zu Ballinern.

      Bei Fup hört es sich allerdings mehr nach »Hejo!« an. Sonst ist er auf einem guten Weg, sich »Respekt« zu verschaffen. Als er nach Hause kommt, ich mich zu ihm herabbeuge und ihn begrüße mit »Hey Yo! Was geht ab?«, antwortet er »Hejo!«, und schon habe ich eine kleben. So war das eigentlich nicht gedacht, aber wie soll man das einem Zweieinhalbjährigen erklären?

      Auf der Elendsmeile Kottbusser Damm, die hier in der Gegend Baltimore noch am nächsten kommt, werden wir von einem Platzregen überrascht. Wir stellen uns unter die Markise eines Ramschladens, wo von Türken bevorzugte bunt glitzernde Klamotten auf 15 Euro reduziert sind. Der Besitzer ist Thailänder oder sowas ähnliches und lungert im Eingang seines Ladens herum. Ich sage, dass heute wohl niemand mehr kommt. Die letzten paar Stunden sei das auch schon so gewesen, sagt er. Gegenüber hätte vor Kurzem noch ein Laden aufgemacht, alles würde immer billiger und überhaupt, die Krise. Ich nicke verständnisvoll. Fup sagt: »Hejo!«

      Auf dem Spielplatz redet eine Mutter ihrem Sohn, der gerade ein paar unsichere Schritte gehen kann, ins Gewissen. »Ich habe mich so auf dich gefreut. Wir könnten es so schön haben, und jetzt schlägst du deine Mutter!« Der Junge steht da, als hätte er sich in die Hose gemacht. Mit seinem schlechten Gewissen kann er als Versager später dann mal nach Baltimore gehen und an Ecken herumlungern, falls das hier in Berlin nichts wird.

      Geile Schlampe

      Ich befinde mich gerade im Buchladen meines Lieblingsbuchhändlers, in dem es manchmal bienenschwarmmäßig zugeht wegen der vielen Touristen, die dort eine Postkarte kaufen, um sich später daran zu erinnern, dass sie in Berlin waren und sich eine Postkarte in Kreuzberg gekauft haben ... Ich bin also in Kisch & Co., als draußen auf der Oranienstraße die Feuerwehr erst in die eine Richtung fährt und dann wieder in die andere und dabei ohrenbetäubend lalüt. Fup ist ganz entgeistert. Und beeindruckt. Er sagt »Oh!«, und man hört das Ausrufungszeichen mit.

      Kurz danach tut sich eine andere Lärmquelle auf. Ein Mann mittleren Alters hat sich breitbeinig mitten auf den Bürgersteig gestellt wie ein Comic-Cowboy vor dem Showdown. Er brüllt aus Leibeskräften: »Du verficktes Arschloch! Du dreckiges Warzenschwein!« Aber es steht ihm niemand gegenüber, wie sich überhaupt um ihn herum eine Art Sahelzone gebildet hat.

      Nur ein Mann befindet sich in seiner Nähe, wenngleich in gebührendem Abstand. Auch er beachtet den Brüller nicht. Er schließt nur sein Fahrrad auf und fährt davon. Am Schreihals vorbei, der trotz eines offensichtlich ordentlichen Alkoholpegels erstaunlich behende beiseite tritt, nur um sofort wieder seine breitbeinige Shootout-Haltung einzunehmen, kaum ist der Fahrradfahrer an ihm vorbeigefahren. »Du Arschgesicht, du Drecksau, dich würd ick ja nich mal mit ‘ner Kneifzange anfassen!«, brüllt er dem Fahrradfahrer hinterher. Und dann plötzlich, wie in einem Moment der Erleuchtung und nicht mehr so laut: »Oder vielleicht doch?« Dann geht er im Zickzack-Kurs weiter.

      Fup und ich gehen auch, schwanken aber nicht so. In der Adalbertstraße bewachen Polizis­ten eine Kundgebung. Schwarz gekleidete Menschen sind gegen die Gentrifizierung »und insbesondere für den Erhalt des bedrohten Werkstattprojekts ›Linienhof‹ in Berlin-Mitte«. Das liest ein schwarz gekleideter Mann mit schwarzer Baseballmütze vom