The Crazy Never Die. Klaus Bittermann

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Название The Crazy Never Die
Автор произведения Klaus Bittermann
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783862870073



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und vermutlich war für J. Edgar Hoover, bei dem sich später herausstellte, daß er einen ziemlichen Dachschaden hatte, alles obszön und pervers, was lange Haare hatte und männlichen Geschlechts war.

      Zwar war in Amerika der gesetzliche Schutz des ersten Verfassungszusatzes von allen Industrienationen am größten, aber wer, wie es hieß, »sexuelle Verhaltensweisen in offenkundig offensiver Weise beschreibt und darstellt ohne seriösen literarischen, künstlerischen, politischen oder wissenschaftlichen Wert«, der sollte sich nicht so ohne weiteres auf das Recht für freie Meinungsäußerung berufen können. Und natürlich war es für die Konservativen überhaupt keine Frage, daß Lenny Bruces Performance irgendetwas mit ernsthafter Kunst zu tun hatte, worin er ihnen mit Sicherheit recht gegeben hätte. Aber es kam ihm nicht auf formale Dinge an, nicht auf die Spitzfindigkeit bei der Definition von Begriffen und ihren Bedeutungen, sondern auf die Doppelmoral von Leuten wie Richard J. Daley, dem Bürgermeister von Chicago, der jedem, der ihm dumm kam, ein »Fuck you, you son of a bitch« an den Kopf warf. Solange er es nicht von der Bühne aus tat, war alles in Butter, während sich Lenny Bruce vor Gericht in Chicago für »Titten« verantworten mußte, in San Francisco für »cocksucker«, in New York für »fucking« und in Los Angeles für »schmuck«, eigentlich Schmock, was ursprünglich extra für den deutsch-stämmigen jüdischen Immigranten erfunden wurde und Idiot bedeutete.

      Der dreckige kleine Bastard

      Ich glaube, Lenny Bruce war weniger ein Verfechter der freien Meinungsäußerung, als der er später immer hingestellt wurde, auch wenn er seine Sache bis hinauf zum Obersten Gerichtshof verfocht, sondern einer, der ganz eigensinnig darauf beharrte, das zu tun, was sein Beruf war, und seine Show bestand nun mal im wesentlichen in der Vorführung der amerikanischen Schizophrenie, der sexuellen Verklemmtheit, der Bigotterie, und das war ja auch sein Markenzeichen, deshalb wurde er ja auch von Abbie Hoffman so geliebt. Vermutlich hätte er der Darling des New Yorker Kulturestablishments werden können, stattdessen führte er einen ausufernden Kleinkrieg gegen die Justiz, den er nicht gewinnen konnte und der ihn aufrieb. In etlichen Staaten hatte er Auftrittsverbot, dem sich auch England und Australien anschlossen. Australien? Nobody knows why.

      Im Grunde blieb Lenny Bruce ein kleiner Bastard, eine Art Medium, durch das der sich um Assimilation an das normale und schreckliche Amerika bemühte Jude sich seine Träume, Wünsche und seinen heimlichen Größenwahn offenbaren ließ, die er sich nicht eingestand, Lenny Bruce lag stellvertretend für ihn auf der Couch des Psychiaters und ließ für alle die Sau raus, wie es Philip Roth getan hat, der sich in »Portnoys Beschwerden« von den Nachtclubauftritten Lennys inspirieren ließ: »Was ich sagen will, Doktor, ist, daß ich anscheinend meinen Schwanz weniger in diese Mädchen als in ihren Background stecke – als ob ich durchs Ficken Amerika entdecken werde. Amerika erobern werde – das trifft es vielleicht besser. Kolumbus, Kapitän Smith, Gouverneur Winthorp, General Washington – und jetzt Portnoy.«

      Was die Sache auch nicht einfacher machte, war seine Heroin-Sucht und die damit einhergehenden depressiven Schübe. Er machte den Eindruck eines Mannes, dem man ziemlich übel mitgespielt hat, was ja auch tatsächlich der Fall war, aber er zeigte es auch dem Publikum. Sein Sketche verloren den Witz, die Originalität, die Spontaneität und die Energie, er las aus Gerichtsakten vor, er verstümmelte alte erfolgreiche Sketche, brach sie vorzeitig ab und war aufdringlich zum Publikum, das er in seine Show zu locken versuchte: »Dirty Lenny in here. Dirty Lenny is going on soon.« Und wenn er seine Show beendete, hörte sich das so an: »And so, because I love you, fuck you and good night.«

      Im Juni 1966, wenige Wochen vor seinem Tod durch eine Überdosis, hatte ihn Bill Graham ins Fillmore nach San Francisco eingeladen. »Ich kannte zwar alle seine Platten, aber ich war nicht gerade ein Fan von ihm. Obwohl seine Sachen ziemlich hintergründig und scharfsinnig waren, fand ich, daß er einfach zu lange brauchte, um auf den Punkt zu kommen. Er hat seine Storys regelrecht gemolken. Zuviel Vorspiel. Allerdings fand ich, daß man ihm unrecht tat.« Lenny Bruce erwies sich als ziemlich eigenwillig und sprunghaft, er kam nicht mit dem Flugzeug, mit dem er hätte kommen sollen, und als sie sich dann trafen, war es Feindschaft auf den ersten Blick, denn Lenny brabbelte ständig über das verfickte Auto und den verfickten Verstand Grahams, der ihn wohl verlassen hätte, um sich schließlich an einem Zeitungskiosk absetzen zu lassen, wo noch Licht brannte.

      Jim Haynie, der im Fillmore arbeitete, hatte Lenny Bruce schon früher gesehen auf einer Sylvester-Show in Los Angeles, und da »war er nicht nur unglaublich komisch, sondern auch noch beleidigend und witzig – einfach brillant.« Im Fillmore hingegen war es vorbei. »Die Gesellschaft hatte ihn goutiert, verdaut und wieder ausgekotzt. Es war nicht komisch, es war nicht unterhaltsam, es war einfach nur traurig.« Und Peter Berg konnte sich an das panische Gesicht von Bill Graham erinnern, denn Lenny Bruce »war bis obenhin voll mit Amphetaminen. Total fertig. Eine Ruine.«

      Frank Zappa und die Mothers of Invention waren als seine Vorgruppe aufgetreten. Zappa war ein großer Bewunderer von Lenny Bruce und bezeichnete ihn sogar als seinen Freund, obwohl er ihn nur an diesem katastrophalen Abend gesehen hat. Er wollte sich seinen Einberufungsbescheid signieren lassen, doch Lenny Bruce lehnte ab. Er hatte keinen Draht zu den Leuten aus der Gegenkultur und den Freaks, die ihn bewunderten, dazu war er nicht nur zu egomanisch, auch das Heroin hatte seinen Anteil daran, daß er sich für wenig mehr als für den weißen Stoff interessierte.

      In »The Trials of Lenny Bruce« schreiben Ronald K.L. Collins und David M. Skover, daß Lenny Bruce Zeit seines Lebens »antiestablishment« gewesen sei, ein Außenseiter und Outlaw, und erst seit seinem Tod zum Establishment wurde. Lennys Erfolg war nicht wirklich groß, durch die Prozesse jedoch war mehr aus ihm geworden als ein Geheimtip, mehr als ein verrückter und ordinärer kleiner Itzig, der sich öffentlich über alles und jeden lustig machte, und die an ihn gestellten Erwartungen gerne enttäuschte: »Ich war heute abend nicht sehr lustig. Manchmal bin ich das nicht. Ich bin kein Comedian, ich bin Lenny Bruce.«

      Lenny Bruce is dead but he didn’t commit any crime

      Nach seinem Tod am 3. August 1966 in Hollywood Hills führte er sein Leben in der populären Kultur fort, er tauchte mit seinen Sketchen in der großen Literatur auf wie bei Don DeLillo und Philip Roth, Bob Dylan widmete ihm die Zeilen, »Lenny Bruce is dead but he didn’t commit any crime / He just had the insight to rip off the lid before its time. / I rode with him in a taxi once, only for a mile and a half, / Seemed like it took a couple of months. / Lenny Bruce moved on and like the ones that killed him, gone.« Er wurde auf dem St. Peppers-Plattencover der Beatles verewigt, wo er hinter Ringo Starr wie ein Geist aufsteigt, und John Lennon, Nico, R.E.M., Chumbawamba, Nuclear Valdez und Grace Slick ließen sich von ihm zu Songs inspirieren. Lenny Bruce hatte großen Einfluß auf Michael O’Donoghue, der beeindruckt davon war, daß er als erster »die Drogen in seine Arbeitsroutine einbezog«, Frank Zappa wollte ein Broadway-Musical über Lenny Bruce machen, und natürlich Abbie Hoffman, der Lenny Bruce sein Buch »Woodstock Nation« widmete.

      Abbie erzählt in dieser Widmung eine kleine Geschichte, in der er einen ehemaligen Kommilitonen trifft, der inzwischen Leichenbestatter ist und Abbie fragt, warum die Leute, die Selbstmord begangen haben, immer so ein gewisses Grinsen im Gesicht hätten, das als »THE SHIT-EATIN GRIN« bezeichnet wird, so daß das Bestattungsunternehmen alles mögliche tun müßte, um den Gesichtsausdruck der Leichen seriöser und dem Anlaß der Beerdigung angemessener aussehen zu lassen. »Diese Geschichte«, schreibt Abbie Hoffman, »ist für dich, Lenny, von allen Yippies.«

      Nur Hunter S. Thompson mochte Lenny Bruce nicht, was vermutlich daher kam, daß Thompson auf Lenny Bruce vermutlich erst stieß, als der schon abgebaut hatte, falls er überhaupt jemals eine Show von ihm gesehen hat, denn in seiner rücksichtsvollen und charmanten Art fand er, Lenny Bruce hätte festgebunden werden müssen, »und zwar aus keinem anderen Grund als ihn aus dem Weg zu räumen, damit ein Besserer den Ball übernehmen kann«. Und: »Bruce ist ein Schwindler, aber sogar das könnte ich ihm verzeihen, wenn er lustig wäre.« Aber auch Thompson war nicht immer lustig, er vertrug nur die Drogen besser und war so schlau, mit Heroin erst gar nicht anzufangen. Vielleicht wußte er Lenny Bruce auch deshalb nicht sonderlich zu schätzen, weil er die spezifisch jüdische Sozialisation und Atmosphäre innerhalb der jüdischen Gemeinde nicht nachvollziehen konnte und sie ihn auch nie interessiert hat, anders als bei Abbie Hoffman, der