Название | The Crazy Never Die |
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Автор произведения | Klaus Bittermann |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862870073 |
Aber mit diesem jungen Mann gab es leider auch sehr unerfreuliche Probleme, weil Lenny Bruce eine Nummer im Programm hatte über einen Heranwachsenden, der durch Schnüffeln an einem Kleber high wird und sich stolz als der »Louis Pasteur des Junkietums« bezeichnet, und das war ein Affront, denn damals gab es keine Drogen in der heilen Welt des Fernsehens, und auch keine Drogenabhängigen, und drogenabhängige Jugendliche schon gleich gar nicht, was auch kein schlechter Witz war in einer Zeit, als jeder alle möglichen Pillen so selbstverständlich schluckte wie man einen Burger verdrückte und eine Cola hinterherschüttete. Seitdem jedenfalls verlangte man Sicherheiten, man wollte ein genaues Script, in dem alles stand, was Lenny zu sagen vor hatte. Die Time erfand den Begriff »sick comedy«, und Lenny Bruce war der »Hohe Priester der kranken Comedians«.
Don DeLillo beschreibt in seinem Roman »Unterwelt« einen Auftritt von Lenny Bruce, der am 24. Oktober 1962 stattfand und das soll hier ausführlich zitiert werden, weil man hier einen ziemlich guten Eindruck von der Show bekommt. 24. Oktober 1962? Genau, das war mitten in der Kuba-Krise, als die Russen atomar bestückte Waffensysteme auf Kuba stationieren wollten. Nie war die Gefahr eines Atomkrieges akuter als in diesen Tagen.
»›Gerade wird Norfolk in Virginia evakuiert. Wußtet ihr das? Norfolk. Die riesige Marinebasis, von der die Schiffe in See gestochen sind, um die Blockade zu bilden, Zerstörer und Kreuzer. Alle Bediensteten und alles entbehrliche Personal wird evakuiert. Fragt sich bloß‹, er drehte den Kopf seitwärts, damit er das Publikum schräg ansehen konnte, mit einem gerissenen Touch von Aufgesetztheit, ›wer zieht ein, wenn die ausziehen? Jawohl – das Viertel ist hin. Denn all die unerwünschten Mohren [Mohren? Ich wette, er sagte Nigger] im Umkreis von dreihundert Meilen werden sich diese Häuser untern Nagel reißen und die Immobilienpreise ruinieren, und dann sagt die Navy, scheiß drauf, Mann, was interessieren uns die russischen U-Boote und Frachtschiffe, nehmen wir lieber Norfolk aufs Korn.‹ (...)
Im Publikum saßen einige Beatniks, Spätbeatniks in alten, karierten Holzfällerjacken Jahrgang 1950, Männer mit einer gewissen Distanz im Blick, aber immer noch aufmerksam auf jedes wundersame Zeichen achtend, das sich im Kosmos rühren mochte, außerdem eine Frau im Patchworkhemd mit einem Säugling im Tragebeutel, vermutlich das erste und letzte Kleinkind, das je bei Lenny war, aber schließlich war dies San Francisco in der entscheidenden Woche.
›Kennedy tritt vor die Öffentlichkeit, und du hörst die Leute sagen, Ich hab seine Haare gesehen! Oder, Ich hab seine Zähne gesehen! Das ist ein so umwerfender Anblick, daß sie ihn gar nicht verkraften können. Ich hab seine Haare gesehen! Sie verehren schon die heiligen Reliquien, dabei lebt der Knabe noch.‹
Im Kanon der Beatniks hatte Amerikas Verkommenheit die Bombe hervorgebracht. Vielleicht schluckten sie Lennys gespielte Heuchelei und die dazugehörenden Dinge, vielleicht bedauerten sie, daß er wegen Drogen durchsucht und wegen Obszönitäten vor Gericht gestellt worden war, aber der russische Akzent und andere ethnische Motive und Effekte, die aus ihm herausgesprudelt kamen wie Mineralwasser aus einer alten Abfüllfabrik in Canarsie, ließen sie vermutlich völlig kalt. Die gesamte Beat-Welt war von der Bombe überschattet, immer gewesen. Die Beatniks brauchten keine Raketenkrise, um an die Bombe zu denken. Die Bombe war für sie der naheliegendste Bezugspunkt zur moralischen Verwahrlosung Amerikas, zu dem schuldbeladenen Standort von Schornsteinen und Roboterkonzernen, der durch die Mühle von Time Magazine und J. Edgar Hoover gegangen war, zu dem Land, wo in Tausenden regengepeitschten Trucker-Raststätten auf der Jazzprärie die Leute mit gesenktem Kopf über ihrer Tasse Kaffee saßen, heimliche Trotzkisten und traurige Nymphomaninnen mit buddhistischen Muschis – und darüber machte sich Lenny lustig. Lenny war Showgeschäft, er war in Kostüm und Maske, kalt und korrupt, Leichenbestatter und Kabarettist, und die Bombe gehörte zu einer bedrohlichen Werbekampagne, die aus dem Ruder gelaufen war.
An diesem Abend trug er eine Nehru-Jacke, eine dunkle Tunika mit hohem Stehkragen, die mal gereinigt und gebügelt werden mußte, und er hatte sich einen weißen Regenmantel um die Schulter gelegt – entweder hatte er vergessen, ihn auszuziehen, oder er war von vornherein schon auf dem Absprung.
Er stürzte sich in eine impressionistische Suada. Schwer, ihm zu folgen. Über Gerichtsprozesse, Rechtsanwälte und Richter. Als hörte man jemandem zu, der meinte, er redete mit jemand anders.
Dann brach er ab und sagte: ›Liebt mich. Deshalb bin ich hier. Heute abend und jeden Abend. Wenn ihr mich nicht mehr liebt, sterbe ich.‹
Das war noch kein Sketch. Der Sketch kam erst noch. Den hatte er sich ausgedacht, während er im Flugzeug von L.A. auf dem Plastikklo für Pygmäen saß, und neben seinem rechten Auge blinkte ständig eine rote Leuchtschrift Return to seat Return to seat.
›Der Erzengel Gabriel erscheint am Himmel über Havanna. Die Bodyguards wecken Castro, und er sagt zu ihnen, Laßt mich in Ruhe, und sie sagen, Das ist der Bote Gottes, und er steigt in einen Hubschrauber und fliegt da rauf. Der Engel trägt ein weißes Gewand und hält eine flammende Trompete in der Hand, und Castro ist verblüfft, als er sieht, daß Gabriel ein schwarzer Mann ist. Er denkt, Klasse, ein Neger, der sich ausdrücken kann, da reden wir doch gleich mal Tacheles. Er sagt zum Engel, Ich glaube nicht an Gott, aber ich hab mal ‘ne Frage. Auf welcher Seite stehst du in dieser Krise? Und der Engel sagt, Ich sag das nur einmal. Auf der Seite, die Baseball und Jazz hat. Castro sagt, Wir haben Baseball und Jazz. Wir nennen es afrokubanische Musik, und du würdest echt drauf abfahren. Swingt wie nur was. Und Gabriel sagt, Spiel dich hier nicht so auf, du Wichser. Ich hab mit Bird geblasen, verstehst du, wir haben früher in Harlem zusammen gejammt. Also, du willst wissen, auf welcher Seite ich stehe. Auf der Seite, die Mom und Apple Pie hat. Castro darauf, No problema. Die Russen haben Mom und Apple Pie auch. Bloß nennen sie es jablochi pirog. Und der Engel, Na schön, wenn du dich für so schlau hältst, auf der Seite, die Donald Duck, Mickeymaus und die Mafia hat. Und Castro sagt, Scheiße, wir haben die Mafia aus Kuba rausgeschmissen. Aber wieso verbrüdert ihr euch denn mit denen? Da sagt der Engel, Unser Herr Jesus hat eine Schwäche für la famiglia. Castro sagt, Wie kommt das? Und der Engel sagt, Was denkst’n du, Mann? Er ist doch Italiener. Castro sagt, Moment mal. Jesus ist Italiener? Und der Engel, Na ja – etwa nich? Und er guckt etwas irritiert und schüttelt die Spucke aus dem Mundstück seiner Trompete, das macht Gabe immer, wenn er sich unsicher fühlt. Er ist nämlich sehr empfindlich, was seine Bildung angeht. Und er sagt etwas abwehrend, Die Päpste sind doch alle Spaghettis, Mann, das weiß doch jeder. Und drum is Jesus auch einer. Jesus isn Itaker seit der Stunde Null, brauchst dir bloß seine Hautfarbe angucken, Jim. Castro sagt, Jesus hat im Nahen Osten gelebt. Und Gabriel sagt, Du spinnst wohl, mir so ‘ne Scheiße zu erzählen. Der Typ ist Neapolitaner. Redet mit den Händen, Mann. Castro sagt, Er war ein Jude, wenn du die Wahrheit wissen willst. Der Engel sagt, Ich weiß, daß er Jude war – italienischer Jude. Die gibt’s da doch auch, oder? Und Castro sagt, Wieso hör ich mir diesen Quark eigentlich an? Du bist ja total loco, Mann. Und der Engel sagt, Du willst mir doch nicht erzählen, daß ich mein Leben lang geglaubt hab, Jesus hätte bei einer italienischen Hochzeit Wasser in Wein verwandelt – und jetzt hatter gar nicht.‹
Lenny brachte diesen Sketch etwas zerstreut, verschliff das eine oder andere Detail, aber machte er das nicht die ganze Zeit, gehörte das nicht zu seinem Hipsterstil – dieser außerweltlichen, dopebedüsten Fuge.
›Ich hab seine Haare gesehen! Ich hab seine Zähne gesehen!‹
Und dann fiel ihm die Pointe wieder ein, die er inzwischen liebte. Er ging in die Hocke, zog den Regenmantel über den Kopf und rammte sich praktisch das Mikro in den Hals.
›Wir werden alle sterben!‹
Ja, er liebte es, das zu sagen, es herauszuschreien, es war erstaunlich erfrischend, es läuterte seine Angst und machte sie zugleich öffentlich – es war schwach und krank und feige und ohnmächtig und