Название | The Crazy Never Die |
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Автор произведения | Klaus Bittermann |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862870073 |
›Aber vielleicht sind einige unter uns ohnmächtiger als andere. Es ist eine weiße Bombe, kapiert.‹ An dieser Stelle wechselt er die Stimme, wird südstaatlerisch und breit. ›Das ist unsere Bombe. Moskau und Washington. Denk mal drüber nach, Mann. Weiße kontrollieren diese Bombe.‹
Dieser Einfall begeistert ihn.
›Da guckst du runter nach Watts. Und du guckst rauf nach Harlem. Und du sagst, Fummelt ihr nur mit unseren Miezen, Mann, dann schmeißen wir die Bombe. Eher soll die Welt untergehen, als daß die Rassen sich vermischen.‹
Schlaff schnippt er mit den Fingern, ein lässiger Typ, der Bescheid weiß.
›Wir bringen nämlich lieber alle um, als daß wir unsere Frauen teilen.‹
Dann ging das Licht aus. Einfach so. Der Scheinwerfer, die Lichter an der Bar, die Ausgang-Schilder – alles aus. Eine unscharfe Gestalt, Lenny, bewegte sich sozusagen versuchsweise auf die große Metalltür zu, die direkt auf die Straße führte, und die vorne sitzenden Besucher hörten ihn vielleicht murmeln: Return to seat, Return to seat.
Ein Rascheln im Publikum, ein paar Köpfe drehten sich um, mehrere Leute standen unsicher auf. Ob sie dachten, vielleicht war’s das, eine Bombe, eine Luftdetonation? Hatte nicht erst vor kurzem die elektromagnetische Erschütterung von einer Testzündung im Pazifik massive Druckwellen durch die Stromleitungen in Honolulu geschickt und das Licht ausfallen lassen und überall auf der Insel die Alarmanlagen ausgelöst?
Das Licht ging wieder an. Der Schweinwerfer beleuchtete eine leere Bühne. Die Feldsteinmauer hatte noch nie so nackt und falsch ausgesehen. Und da war Lenny, etwa anderthalb Meter vom Ausgang entfernt. Er ging langsam wieder Richtung Bühne, spielte eine Person, die sich erleichtert und beschämt in einen Raum zurückschleicht, und sie warteten darauf, daß er etwas sagte, das sie für den langen, angespannten Moment entschädigen und vor Lachen durchschütteln würde, und er erreichte die Bühne, hob das baumelnde Mikro und führte es ans Gesicht, und es begann zu kreischen und zu knistern, und dann ging das Licht wieder aus, und das Nachbild von Lennys talgigem Gesicht haftete auf der Netzhaut aller Anwesenden, das halbe, verschreckte Grienen, das sich über den Mund zog, und das Baby fing an zu weinen.
Als das Licht wieder anging, ein zwanzig Sekunden langes Leben später, war die Bühne leer, die Metalltür angelehnt, die Show war ganz offensichtlich vorüber.«
Sind heute abend irgendwelche Nigger hier?
In Don DeLillos »Unterwelt« heißt es, daß der Autor »ein faszinierendes Panorama der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts beschwört«, und aus diesem Panorama ist Lenny Bruce offensichtlich nicht wegzudenken, er ist Bestandteil des kollektiven amerikanischen Gedächtnisses, was irgendwie schon erstaunlich ist, denn diese Nummer mit dem Engel und Castro war nicht gerade ein Highlight in der Geschichte der Comedy. Und der Abgang war auch nicht gerade dazu angetan, ihm neue Fans zu verschaffen, genauso wenig wie die Nummer, die er in den frühen Sechzigern praktizierte: »Sind heute abend irgendwelche Nigger hier?« Das muß man vor einem aufgeklärten Publikum, das stolz darauf war, den »Nigger« abgeschafft und den »Schwarzen« erfunden zu haben, erstmal bringen. Und dann fortzufahren: »Ah, zwischen den beiden Niggern sitzt ein Itzig, nein, zwei Itzigs. Das macht zwei Itzigs und drei Nigger und einen Latino ...« und immer weiter mit »kikes, spics, guineas, greaseballs, Yids, Polacks und Irish micks«, bis er die ganze Palette von Schimpfnamen durch hatte, mit denen die ethnischen Minderheiten aufeinander einteufelten, womit er zeigte, daß es nicht damit getan war, wenn man sich eine politisch korrekte Bezeichnung ausdachte und sich selbst ein gutes Gewissen verschaffte, um schön die Augen vor den gesellschaftlichen Widersprüchen und ethnischen Konflikten zu verschließen.
Lenny Bruce verstörte mehr als daß er die Leute amüsierte und der London Observer schrieb: »Er unterzog das Publikum im Eilverfahren einer Psychoanalyse. Er riß die Wurzeln ihrer tiefsten Hemmungen und ihrer tiefsten Unterdrückung heraus, all die Dinge, die sie verängstigten, und über die sie niemals sprachen.« Wer aber bitte schön läßt so etwas mit sich machen? Und wer findet das so toll, daß er ein zweites Mal hingehen würde?
Obszönität und die Freiheit der Rede
Vermutlich lag das daran, daß es Ende der Fünfziger, Anfang der Sechziger im kulturellen Milieu bereits kriselte. Robert Mitchum wurde wegen Marihuana festgenommen, Allen Ginsberg angeklagt, weil sein Gedicht »Howl« angeblich obszön sei, die ersten Studentenproteste gegen das Komitee für unamerikanische Umtriebe fanden statt, Bürgerrechtsbewegungen für das Wahlrecht der Schwarzen machten sich bemerkbar, d.h. es wurden immer mehr, von denen sich schlecht behaupten ließ, sie wären einfach nur krank und kriminell, was man vorher gerne immer wieder getan hat, aber langsam wurden es zu viele, um mit der üblichen Kriminalisierungsmasche durchzukommen.
All das waren Indizien für eine gesellschaftliche Schizophrenie, die Lenny Bruce als der Analytiker der Nation für sich auszunutzen wußte, bis er schließlich ein bißchen zu bekannt wurde und er vom Radar derjenigen erfaßt Ehrenwurde, die über Sitte und Anstand wachten. Plötzlich saßen Beamte in seiner Show und machten sich Notizen, wie oft er »cocksucker«, »motherfucker«, »fuck« oder »cunt« sagte. Dann trat der Cop vor Gericht auf, das noch nie von Lenny Bruce gehört hatte und sagte: »Ich erinnere mich nicht an den ganzen Auftritt, Euer , aber ich machte mir die folgenden Notizen ... Da wäre also: ›Katholik‹, ›Arschloch‹, ›Scheiße‹, ›im Park‹, ›Titten‹ ... ›Juden‹. Das ist alles, woran ich mich erinnere, aber das ist der generelle Tenor der Show.«
Das erste Mal passierte es 1961 in San Francisco, und plötzlich hatte Lenny Bruce eine Menge ernsthafte Probleme am Hals, denn auch den Veranstaltern konnte die Lizenz entzogen werden, wenn auf der Bühne ein ungehöriges Wort fiel. Das inspirierte Lenny Bruce zu einem lustigen Sketch: Leider gäbe es da ein Wort, das er auf der Bühne nicht sagen dürfe, und während der Besitzer der Bar wahrscheinlich schon Blut und Wasser schwitzte, verließ Lenny Bruce die Bühne, nahm das Mikro mit einem entsprechend langen Kabel mit nach draußen und sagte dann »Fuck«. Das Publikum fand das lustig, verhaftet wurde er trotzdem.
In New York sprang das Kulturestablishment für ihn in die Bresche und veröffentlichte einen offenen Brief, in dem es gegen die Anwendung des Obszönitäts-Gesetzes beim »Nightclub-Entertainer« Lenny Bruce protestierte: »Lenny Bruce ist ein populärer und kontroverser Performer auf dem Feld der sozialen Satire in der Tradition von Swift [»Ich habe von Swift noch nie was gehört«, sagte Lenny später], Rabelais und Twain. Obwohl Bruce in seinen Nightclub-Auftritten von der Umgangssprache Gebrauch macht, tut er das in satirischer Absicht und nicht, um unzüchtige Interessen seiner Zuhörer zu erregen ... es ist nicht die Aufgabe der Polizei New Yorks oder irgendeiner anderen Stadt zu entscheiden, was der erwachsene und private Bürger hören darf und was nicht.« Unterzeichnet war diese Protestnote u.a. von Woody Allen, Bob Dylan, Lawrence Ferlinghetti, Allen Ginsberg, Henry Miller, Susan Sontag, John Updike und Gore Vidal. Das steigerte seinen Ruhm enorm, denn die New Yorker Kulturschickeria hatte ihre schützende Hand über ihn gehalten, weshalb manchen Kritikern vor lauter Begeisterung ein bißchen die Gäule durchgingen: »Da war noch ein anderer Mann letzte Nacht im Orbit, und er flog höher als der Astronaut Gordon Cooper. Sein Name ist Lenny Bruce, und 150 Anhänger des hemmungslosen Egomanikers genossen seinen Auftritt letzte Nacht im Le Grand Theater. Die Show war ein hochexplosives Gemisch, das ausreichte, um die Menge durch die von Bruce erzeugte Druckluftwelle mit in den Orbit zu schießen.«
Das alte Amerika jedoch gab sich so einfach nicht geschlagen, auch wenn Lenny Bruce nach langen enervierenden Gerichtsverfahren einige Prozesse sogar gewann. Die Sache war sehr aufreibend, und »während die neue Bewegung blüht, wurde Lenny Bruce von den Cops zu Tode gehetzt. Wegen Obszönität«, schrieb Hunter S. Thompson in einem Brief. Das Problem dabei: Die Freiheit der Rede ist zwar im ersten Verfassungszusatz verankert. Aber wie immer gibt es Ausnahmen, und zwar Obszönität, Kinderpornographie, Aufruf zum Rassismus und zum Umsturz der Gesellschaft, und wie immer sind diese Einschränkungen zwar auf den ersten Blick vernünftig, aber auch eine Sache der Interpretation, und für den prüden J. Edgar Hoover, der als oberster Sittenwächter über Amerikas