Aufgreifen, begreifen, angreifen. Rudolf Walther

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Название Aufgreifen, begreifen, angreifen
Автор произведения Rudolf Walther
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783941895508



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deutschen Geschichte und Gegenwart, hg. v. O. Büsch u. J. J. Sheehan, Berlin 1985.

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      Lansing, R. (1921): Die Versailler Friedensverhandlungen, Berlin.

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      Zeumer, K. (1913): Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung in Mittelalter und Neuzeit, hg. v. K. Zeumer, Tübingen.

      1993 verabschiedete sich der Bundeskanzler Helmut Kohl mit dem Satz in den Urlaub, bei der »nationalen Identität« handle es sich um eine »Notwendigkeit im guten Sinne«. In folgendem Herbst eröffnete der Historiker Kohl den Historikertag mit einer Rede über »nationale Identität« in Europa. Der Verteidigungsminister fuhr bis nach Kasachstan, um die »kasachische Identität zu stärken« (Frankfurter Rundschau 23.8.93). Während es die taz (29.9.93) noch mit dem Neuling »bosnische Identität« hält, bescheidet sich Antje Vollmer mit Häuslichem, »einer neuen Identität der deutschen Intellektuellen«, denen sie in ihrer Konfirmanden-Pädagogik-Sprache die Hausaufgabe aufträgt, »einen neuen Gesellschaftskonsens vorzubereiten«, kurzum »das Anti« zu vergessen und positiv, friedlich und pfadfindermäßig willig zu werden wie eine koalitionsbereite Stammtischrunde zwischen den Kopflosen und den nur Hirnlosen (Der Spiegel 15.1.1993). Die endgültige Zubereitung des von Antje Vollmer & Co. Vorbereiteten, von dem Peter Sloterdijk die »Paläopolitik« (»das Mutter-Kleinkind-Feld neben der sichtbaren Feuerstelle« als »inspirierendem Fokus aller altmenschlichen Gruppen«) bis zum Kalten Krieg und der Keyboard-Philosoph Norbert Bolz den Rest seelsorgerisch betreut, übernimmt dann nach dem Muster institutionalisierter Denkerei das grüne Oberkonsistorium. Das Wort »Identität« hängt seit geraumer Zeit am Schwungrad, und weniger Behende wie Niels Kadritzke (Wochenpost 29.7.1993) werden von der Hektik, mit der sie sich ins Identitäts-Theater einklinken, glatt erwürgt: Er hechelte uns 1993 eine Parallele mit 1933 vor, um doch nur beim probaten Universalputzer zu landen: »es ist zu schaffen« – self-fucking-ignorance, die sich akademisch auch als vierfach gepufferter Weichspüler anbiedert, in der Version eines Neonationalen als »Arbeits-Platz-Sicherheits-Identität«. Da es wieder einmal ums ganz Alte geht, brauchen wir jetzt angeblich »eine neue Identität« (K. O. Hondrich) oder wenigstens schwarz-rot-goldene Socken.

      Die Anleihen bei der Wilflinger Landserprosa, beim Plettenberger Mannsdeutsch oder beim Todtnauberger Gestammel sind zwar offensichtlich, aber der Begriff »Identität« bekommt trotzdem Fahrt und der aufgeklärte Leser Beklemmung. Seit einiger Zeit finanziert unter dem Beifall der rechten Intelligenz und der populistischen Presse ein Landmaschinenhändler, der sich in einer rundum passenden Formulierung als »Wurzelgeber« bezeichnet, die »berlinische Identität« mit einer Schloss-Attrappe aus Plastik. So viel zum Boden, aus dem »Identitäten« sprießen. Das wurde nicht immer so krass einfältig gedacht.

      Als die Forschungsgruppe »Poetik und Hermeneutik« 1976 ein Kolloquium über »Identität« veranstaltete, beschäftigten sich die Wissenschaftler mit vielen Aspekten des Themas. Die politisch-historische Seite spielte keine Rolle, der Begriff »nationale Identität« tauchte nur vereinzelt auf. Für die Wissenschaft handelte sich um keine »Notwendigkeit« in irgendeinem Sinne. Odo Marquards Beitrag endete 1976 mit der These, »die Identität ist ... eine Art Zweckmäßigkeit ohne Zweck. ›Zweckmäßigkeit ohne Zweck‹: das aber ist ... eine Strukturformel Kants fürs Schöne«. Das mag zutreffen für jenen Teil der Identitätsdiskussion, der die Produktion von Identitäten aus life-style-Klim-Bim und psychologischen Rollenspielen ableitet.

      Inzwischen hat sich die Diskussion über Identität längst als alles andere als zwecklos herausgestellt. Aus der Frage nach der Identität ist jene nach der Nation geworden. Die Verpuppung des Marginalen zum Wesentlichen geschah im Zuge der »geistigmoralischen Wende«. Danach ging es zügig abwärts, und schon 1985 konnte der »modische Begriff auf eine beispiellose Karriere zurückblicken« (Lothar Baier). 1986 warnte der Historiker Karl Dietrich Bracher vor dem »Modewort Identität« und dem »künstlichen Ton« in vielen »Identitätsbeschwörungen« (FAZ 9.8.1986). Sein Zunftkollege zur Rechten, Michael Stürmer, hatte drei Jahre zuvor mächtig in die Saiten gegriffen: »Geschichte verspricht Wegweiser zur Identität, Ankerplätze in den Katarakten des Fortschritts« (Neue Zürcher Zeitung 31.5.1983). Der »Ankerplatz« Geschichte erscheint hier, einem von Reinhart Koselleck entdeckten Sprichwort zufolge, als »der unversiegbare Dorfbrunnen, aus dem jeder das Wasser des Beispiels schöpft, um seinen Unflat abzuwaschen«. Eine prächtige Kostprobe dafür bot Claus Leggewie am 23.8.1994 im Hessischen Rundfunk. Ein runder Geburtstag musste dafür herhalten, das subalterne Geschwätz der Pariser Fernseh-Philosophen über Herder als den vermeintlichen Urheber nationalistischer Ansprüche und Irrwege mit den dem mittelhessischen Normalisierungsspeak über »kollektive Identität« zu synchronisieren: nichts außer anachronistischer Projektionen auf das 18. Jahrhundert, vermengt mit dem medialen Schaum (»wir«, »Europa«, »Kroatien«, »Sarajewo« und »multikulturell« sowieso).

      »Nationale Identität« bahnte sich ihren Weg von den Kathedern durch die Feuilletons bis zur rechten Wand; eine rechtsradikale Postille verschrieb sich, die französische Nouvelle Droite kopierend, mit ihrem Untertitel »nationaler Identität«. Heute gehört es zur national bis post-links eingefärbten Geschäftsgrundlage, »kollektive«, speziell »nationale Identität« als normal, selbstverständlich und notwendig hinzustellen. »Das für viele europäische Nachbarstaaten prägende historisch-affektive Bezugsfeld der Nation steht nun als ein mögliches Angebot auch in Deutschland wieder zur Verfügung. Langfristig kann dies zur Befriedigung kollektiver Identitätsbedürfnisse beitragen« (W. Weidenfeldt/K.-R. Korte 1991). Die Autoren haben eine »plural angelegte, offene nationale Identität« im Auge, was man nicht einmal einen Euphemismus nennen kann, denn noch jedes bekannte Streben nach »nationaler Identität« war immer und zuerst ein Kampfprogramm gegen innere und äußere Feinde. Für Pluralität und Offenheit war darin so viel Platz wie für Argumente in der Kriegspropaganda. Sich der »nationalen Identität« zu versichern, lief immer auf die rechtliche Zurücksetzung, die soziale Isolation, die Vertreibung oder die Ausrottung der Anderen und Fremden hinaus. Die Ausnahmen