Die Rose im Staub. Sarah Skitschak

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Название Die Rose im Staub
Автор произведения Sarah Skitschak
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783964260604



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Körper geschlagen und sämtliche Glieder augenblicklich zu Stein werden lassen. Die Braunkutte schien zu einer Marmorversion ihres Selbst zu erstarren und ihre Füße als Wurzeln in den Boden zu stemmen, bis sie von einer der Frauen nach vorne gestoßen wurde. Ihre Füße stolperten über die Glasmarkierung, noch ehe sie das Gleichgewicht zu finden vermochte, noch ehe überhaupt eine Reaktion ihrerseits erfolgte und gegen die rüde Behandlung der anderen aufbegehrte. Was anfangs wie ein sicheres Kartenspiel anmuten wollte, verwandelte sich zu einem Tanz auf Messers Schneide.

      Da stand sie. Allein. Vor der Markierung. Zögerte.

      Durch die Menge in ihrem Rücken ging ein erleichtertes Raunen …

      … doch durch mein Herz ging ein unerwarteter Dolchstoß, der mich meine Wahl aufs Tiefste bereuen ließ.

      Noch während die verhüllte Gestalt wie eine Marmorstatuette auf der Stelle verharrte, vermutete ich bereits mit Furcht im Gemüt, dass ich dieses eine Mal die falsche Wahl getroffen haben sollte.

      »Komm nach vorn«, presste ich meinen Befehl hervor.

      Und obgleich ich beinahe auf ihre Weigerung hoffte und sie vor meinen inneren Augen auf der Flucht vor den anderen Soldaten sah, obgleich ich hoffte, sie würde sich umdrehen und durch die Menge in Richtung der Stadttore stürzen, obgleich ich im Stillen an ihre Vernunft appellierte … raffte die Gestalt ihren Sonnenmantel und überbrückte die Distanz bis zum Wachposten ganz ohne Zögern. Die vermeintliche Händlerin nahm den Wasserbeutel in ihre Linke, ließ die Rechte heimlich in Richtung des Gürtels verschwinden und hob den Blick, als sie meine Position erreichte.

      Kaum ein halber Meter trennte uns mehr.

      Durch die Bewegung ihres Kopfes schälte das Sonnenlicht ihre Miene aus dem Schatten der Kutte und enthüllte die atemberaubendsten Augen, die mir in meinem Leben jemals hätten begegnen sollen. Strahlendes Stahlblau reflektierte den Schein ihrer Blicke, verwandelte die Tiefen ihrer Iris in Teiche von Silber und raubte mir im bloßen Anblick den Atem. Die sonnengebräunte Haut schmiegte sich in satten Farbverläufen unter die Brauen und wartete auf den glänzenden Wangen mit weißer Stammesbemalung auf. Das Haar – dunkelbraun, etwas strohig, doch zu einem üppigen Zopf zusammengebunden und seitlich über die Schulter gelegt.

      Ich wusste umgehend, dass es sich um eine Wilde aus dem Land der Namenlosen handelte.

      Dennoch versagte mein Geist jegliche Reaktion.

      Mir blieb nur, die katzenhaften Züge der Frau mit meinen Blicken Stück für Stück zu umschweifen und jede Sekunde des Anblicks mit meinen Erinnerungen aufzusaugen, um das gottgleiche Bildnis niemals mehr vergessen zu müssen. Hatte ich stets an die Nicht-Existenz von Göttern geglaubt, so sah ich mich nun der lebenden Lügenstrafe der Gedanken gegenüber. Eine solch anmutige Wildheit in ihrer Miene, die unübertreffliche Perfektion in den Proportionen, die Augen, die jegliche Seele durchdrangen … Jegliches Detail ihres Körpers schien von überirdischen Gegebenheiten gesegnet worden zu sein, als hätte sich tatsächlich ein Gott das Abbild dieser Frau ersonnen.

      Ich mochte meinen eigenen Augen nicht glauben.

      Es war, als erweckte ihr Anblick binnen Sekunden Altes in mir, als hätte ich sie schon einmal in Träumen oder Gedanken gesehen und wäre darin dem Schöpfungsfunken begegnet – ohne ein Verständnis dessen ergreifen zu können.

      »Den … den Pass«, stammelte ich mit geweiteten Augen, obwohl ich um die Lächerlichkeit meiner eigenen Aufforderung wusste.

      Mein Gegenüber schien nicht einmal zu blinzeln. Die Namenlose reckte mir den Wasserschlauch entgegen und enthüllte indessen weitere Stammesbemalungen an ihren Fingern, sodass ich in einer Impulsreaktion näher an sie herantrat und die weiße Farbe vor den Augen der umstehenden Städter verbarg. Ihre Hand wurde an meinen Brustpanzer gedrückt, zuckte in der Berührung rasch nach hinten und ließ den Wasserschlauch in den Spalt zwischen unseren Körpern fallen.

      Es waren Sekunden, in denen mir das Denken unmöglich erschien.

      Mit einem uneleganten Platschen kam der Fellbeutel auf dem Pflasterstein auf.

      Dann wusste ich nichts mehr. Absolut nichts mehr.

      In jeder anderen Situation wäre wahrscheinlich eine Gedankenwalze über mich gekommen und hätte mich mit Zweifeln niedergedrückt, hätte mich an meine Befehle erinnert und daran, dass man mir gebot, die Wilde zu töten. In jeder anderen Situation wäre meine Hand zum Griff des Schwertes geschnellt, bloß, um dort zögernd innezuhalten und meine größte Angst vor aller Welt offen preiszugeben.

      Doch nun. Nichts.

      Rein gar nichts.

      Während mich die stahlblauen Blicke der Frau durchbohrten und kaum einen Gedanken hinter der Fassade erkennen ließen, beugte ich mich zu ihrem Wasserschlauch und las ihn von den Pflastersteinen. Über die Handlung kam ich der Wilden noch näher und gab mich, als hielte ich neben dem Schlauch auch einen Wasserpass in den Händen. Mit einem Male waren wir uns derart nahe, dass ich den Duft der Weiten an ihr wahrzunehmen vermochte, dass ich sogar die einzelnen Noten von Kräutern, von schwitzenden Pferden und getrockneten Wüstenrosen in mir aufnehmen konnte. Durch die fehlende Distanz waren Einblicke von außen kaum möglich.

      »Zwei Kellen«, las ich den nicht vorhandenen Pass, als steuerte eine fremde Macht meine Lippen. »Signatur des Senators Rhodon. Siegel. Stempel. Alles in Ordnung.«

      Die Augen der Frau weiteten sich auf die Größe von Wagenrädern, als sie die laut verlesenen Worte vernahm und die Intention des Theaters bei sich verstand. Sie schien den Mund zu einer Antwort zu öffnen, löste die Hand von ihrem Waffengürtel und schloss letztlich die Lippen, ohne je eine Erwiderung gegeben zu haben.

      Ich blinzelte.

      Sie nickte.

      Dann nahm sie weiterhin wortlos den Wasserschlauch entgegen und stahl sich an mir vorbei in Richtung des Brunnens. Als mein Blick abermals durch die Massen auf dem Marktplatz ging … entdeckte ich drei weitere Männer in Kutten. Drei Männer, die das Spektakel sehr genau verfolgten.

      Ein echter Hüne.

      Zwei kleinere neben ihm.

      Auch Wasserdiebe, dachte ich noch.

      Und gleich darauf …

      Schockschwerenot, was habe ich gerade getan?

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      Kapitel 4

      Nakhara

      Land der Namenlosen

      Die Nachmittagssonne entsandte ihre flirrende Hitze über die Dünen und verwandelte die Hänge am Horizont in schunkelnde Sandgiganten, deren Abbilder sich im Takt der Wärmewellen bewegten. Wie Kinder der Weite jagten sich die Sandwirbel über das Blau des Firmaments, lösten den oberen Schopf der Steppenberge und trugen die Dünenkronen sanft mit dem Wind. Mit wilden Pinselbewegungen zeichnete die Luftströmung Silhouetten von Staubfiguren in die Höhe und verwarf sie mit einem einzigen Atemzug wieder. Die Böen verwehten die tanzenden Wirbel in Schweigen. Eine allumfassende Stille schien sich über den Ort zwischen den Wüstenwogen zu legen. Als wollten selbst die singenden Sandwesen über meinen Aufenthaltsort schweigen – als wollten sie das Geheimnis meiner Oase bewahren und sich keinerlei Lieder über den Platz ersinnen, den ich seit frühester Jugend zu meinem Eigen erkoren hatte.

      Zum wievielten Male mich jene Dünen wohl sahen?

      Ob sie mich so manches Mal ebenfalls schmerzlich vermissten?

      In Kindertagen war mir die Steppensenke zwischen den Versandungen des Ostens immer ein Anlaufpunkt gewesen, hatte mich selbst über den Tod meiner Eltern in tröstender Sicherheit gewogen und mir stets eine Heimat jenseits des Nomadenlagers geboten. Obgleich die Dünen selbst als Nomadenvolk fortdauerten und wie mein Stamm über die Jahre weiterwanderten, so war mir bei der Rückkehr an ebendieses Fleckchen stets ein Platz unter dem großen Felsen zu meiner Rechten geblieben.

      Da sollte man meinen, einem Kind der Wüste