Die Rose im Staub. Sarah Skitschak

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Название Die Rose im Staub
Автор произведения Sarah Skitschak
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783964260604



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und ließ ihn letztlich sogar meinen Händen entwischen, hatte ich doch niemals zuvor eine derartige Erleichterung über das Auftreten der Militärtribune verspürt. Tatsächlich sorgte der Anblick der höhergestellten Soldaten zumeist eher für Unwohlsein in meiner Magengegend, wie die Männer da mit ihren Peitschen auf Sklaven einprügelten oder die niederen Soldaten herumkommandierten, wie sie Arenakämpfer mit ihren Lederriemen bestraften oder die Wilden aus dem Land der Namenlosen ohne Zögern erwürgten.

      Allerdings hegte ich in ebendiesen Momenten wohl einen Keim der Hoffnung im Herzen. Eine Hoffnung, das Auftreten der Peitschenträger würde die Masse vor schlimmeren Katastrophen bewahren und den Tumult ohne größere Gewalteinwirkung beruhigen. Eine Hoffnung, die Anwesenheit der Tribune wäre Mahnung genug.

      Ich hörte das Echo der knallenden Peitschen durch die Atmosphäre der Gassen schlagen, wusste, man ließ die Foltergeräte durch das Nichts hoch über den Köpfen rasen, und sah, dass selbst die angedeuteten Luftschläge die gewünschte Wirkung auf die Bürger verübten. Mein Angreifer stürzte sich in die Menge und gab sich plötzlich lammfromm vor den anderen.

      Der … elende Dreckskerl!

      Der Mann gliederte sich mit gesenktem Blick in die Masse, um ja nicht das Aufsehen der Tribune zu erregen oder womöglich doch eine Bestrafung durch mich zu erhalten. Erhobene Fäuste senkten sich auf Höhe der Hüften und schreiende Münder wurden geschlossen, während die Wogen der Köpfe allmählich zur Ruhe kamen und sich in eine Fläche der Anspannung verwandelten.

      Wieder tat mein Herz einen Satz.

      Obgleich ich die Tribune am Rande der Gasse nicht zu sehen vermochte, obgleich hunderte Menschen mein Sichtfeld blockierten und zwischen den hohen Soldaten und mir eine Mauer errichteten, so fraßen sich die Peitschenlaute durch Mark und Bein. Wie Donnerhall erschütterte das Knallen die Herzen, wand sich als Echo um die goldenen Dächer der Stadt … und verhallte letztlich als Stimme der Macht.

      Dann kam die Stille.

      Und die Menschen erstarrten.

      ***

      »Du hättest mir auf der anderen Seite zur Hilfe eilen müssen, Daegon«, brummelte mein Wachpartner in seinen nicht vorhandenen Bart, während er sich gegen die Wand des Wasserbrunnens lehnte und seinen Blick über den Markplatz schweifen ließ.

      Unsere Schicht bei der Wasserwache hatte trotz der vorangegangenen Tumulte beim Einlass ohne große Verzögerungen begonnen, sodass wir mit schweißnassen Rüstuniformen und fäkalienbehafteten Stiefeln in der Hitze inmitten der Massen harrten. Glücklicherweise lief das Marktgeschehen mit Voranschreiten der Zeit immer mehr in den gewohnten Bahnen ab und ersparte uns weitere Prügeleien, denen wir selbst unter Einsatz der Tribune in solch einer Masse wohl sicher nicht Herr hätten werden können.

      Ich lehnte mich ebenfalls gegen die Brunnenmauer.

      Mein Blick ging über die schlendernden Bewegungen der Stadtbewohner, die sich mittlerweile nur mehr an Ständen drängten, die mit den fremdländischen Händlern feilschten und ihre Ausbeute in Körben über den Köpfen trugen. Frauen führten Kinder an den Händen und lotsten sie durch die lockeren Marktbereiche, während sich die Männer bei den Schmieden um die besten Plätze bei der Waffenpräsentation der Soldaten stritten. Der Duft von gebratenem Fleisch zog über den Platz. Köchinnen warfen Gemüse in zischende Pfannen.

      Zu gern wäre ich selbst an einen der Stände getreten und hätte mich mit Nahrung – gleich welcher Art auch immer – versorgt, denn mein Magen jauchzte allein in der Vorstellung, endlich etwas Essbares verarbeiten zu können. An meine letzte Mahlzeit konnte ich mich kaum mehr erinnern, zumal diese aus einem weniger schmackhaften Getreidebrei und ein paar mickrigen Bohnen bestanden hatte. Leider hielt mich die Pflicht am Brunnen verankert.

      Wasserwache.

      Ein Wort für Stunden der reinsten Torturen.

      Die Wasserwachen kontrollierten die Pässe der Stadtbewohner, die aus dem Zentralbrunnen Wasser zu schöpfen gedachten. Das Stadtgesetz entschied über die abzuschöpfende Menge und sprach die Kellenzahl nach Größe der Familien zu, sodass den Soldaten, wie sie am Brunnen standen und schwitzten, die ungeliebte Aufgabe zuteil geworden war, die Abgaben in Stichproben peinlichst genau zu vermerken und mit den eingetragenen Werten aus den Pässen abzugleichen.

      Bonus ab vier Kopf pro Familie.

      Die ironische Stimme in meinem Schädel imitierte den Wortlaut meines Vaters.

      Erscheint ein Passloser am zentralen Brunnen und wird er beim Wasserdiebstahl erwischt, so ist er mit dem Tod zu bestrafen.

      Ohne Gericht. Und ohne Urteil.

      »Ich hätte unter die Füße geraten und dabei umkommen können! Ich hätte von den Bürgern zu Tode getrampelt werden, mit deren dreckigen Schuhen getreten oder – noch schlimmer – verunstaltet werden können! Ich hätte … Hörst du überhaupt, was ich sage?«

      Oh, der plappert ja wieder.

      »Daegon!«

      »Hmmh.«

      Ich blickte in die Züge des jungen Soldaten, der erst vor wenigen Wochen seinen Wasserwachdienst angetreten hatte und mit seinem neunzehnten Lebensjahr in den Soldatenstand erhoben worden war. Das Gesicht des Blondschopfs nahm eine rote Färbung, verzog sich zu einer Maske seiner Empörung und wollte mit seinen bubenhaften Proportionen beinahe wie das eines Kleinkindes anmuten. Die Wut über mein vermeintlich fehlerhaftes Verhalten schien sich förmlich auf seine Miene zu brennen, als er mich mit seinen ungerechtfertigten Vorwürfen bedachte; als er auf mich einplapperte, meckerte und derweil nicht einmal bemerkte, wie viele Jahre Erfahrung unsere Leben äonengleich trennten.

      Ich ersparte dem Jungen ein Zitat der Verhaltensregeln.

      Aufgrund seines Soldatenstands galt sein Leben im Einsatz laut Stadtgesetz als entbehrliches Gut, sollte durch den Tod das Einwirken höherer Gewalten vermieden und weitere Schäden abgewehrt werden können. Doch handelte es sich bei Iuron – wie bei so vielen Rekruten – um einen Sohn reicher Städter, der sich nicht um Regelungen oder Verhalten scherte, ja, der sich nicht einmal um den Einfluss meiner eigenen Familie scherte und meinen Status als Sohn des höchsten Senators gänzlich ignorierte.

      Nicht, dass ich einem derartigen Stand selbst je eine Bedeutung beigemessen hätte.

      Jedoch folgte ich lediglich meinen Prinzipien, während Iuron stets dem Duft des Geldes oder eben der Wahrung des persönlichen Nutzens folgte.

      »Verunstaltet. Getötet. Das wäre nun wahrlich ein Jammer gewesen«, verwandelte ich meinen Sarkasmus in gesprochene Worte … und kassierte umgehend einen strafenden Blick, der mir ein schiefes Grinsen auf die Lippen zauberte.

      »Bitte?!«

      Ich lachte.

      Obgleich mir die Erinnerung an den Vorfall noch wie ein Stein im Magen lag, so konnte ich mir doch den Galgenhumor nicht verkneifen und suhlte mich regelrecht in der Frustration meines Gegenübers. Schließlich war mir der Humor als letzte Waffe gegen den fehlenden Respekt der Standangehörigen geblieben, verschaffte mir zumindest ein wenig Erleichterung und nahm die Last für kurze Zeit von meinen sonst so moralbeladenen Schultern.

      »Na schön. Du kontrollierst die Pässe allein«, kommandierte Iuron mit seiner schnippischen Bubenstimme. »Wenn dich das Leben deines Wachpartners so wenig schert, solltest du meine Arbeitskraft nicht verdienen. Ich gehe zu den Händlern. Ohnehin benötige ich eine neue Ansteckfibel.«

      Mit diesen Worten fuhr sich das Bübchen über die schweißnassen Locken und klebte sie förmlich an die Schädeldecke, ohne sich der lächerlichen Außenwirkung bewusst zu werden. Iuron drehte sich mit einem letzten Schnauben um die eigene Achse, marschierte im Stechschritt über das Brunnenplateau und tauchte in die Menschenmasse zwischen den Ständen.

      Zunächst war es mir nicht unrecht.

      Allein zu wissen, dass Iuron für sein Verschwinden mit Tempeldienst bestraft werden würde … ein inneres Blumenpflücken für mich.

      Dann allerdings warf ich einen Blick