Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band). Joachim Ringelnatz

Читать онлайн.
Название Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band)
Автор произведения Joachim Ringelnatz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027203697



Скачать книгу

zum Aufstieg boten.

      Wir hockten dort auf einem Ast, der ihr Kleid und meine Hosen mit Harzflecken stempelte, und wir redeten viel, ein wenig aneinander vorbei, aber beiderseits verliebt. Nur wenn die Baronin kontrollierend den Park durchstreifte, verhielten wir uns mäuschenstill und stießen einander lächelnd an.

      Theatervorführungen. Ein Whiskyfest mit Kaviar beim Baron anläßlich der Einweihung eines neuen Altans. – Fräulein Dieckhoff erkrankte. – Ein Ausflug mit Herrn Weiß nach dem nächsten Krug in Badehosen und mit Spazierstöcken. Ein Abenteuerchen mit zwei Liebespärchen durch Fenster und dunkle Korridore unter dem Stichwort »Samuel erscheine«. – Ein Feuersbrünstchen in der Wäschekammer. Himbeeren, Artischocken, Astern, Mohn, Nelken, Rosen, Sonnenblumen, Gurken, Mangold, Chrysanthemen und Stockrosen in allen Farben. Mir will scheinen, als hätte das alles gleichzeitig geblüht und Früchte geboten.

      Nachts wimmerte im Walde ein Judenmädchen, das in Krämpfe gefallen war.

      Meine Mutter sandte eine Tasche, die sie aus Perlen für Ingeborg gestickt hatte.

      Mittags hatten wir Männer viel Schnäpse getrunken. Hinterher wollten Biegemann und ich baden gehen und einmal den Versuch unternehmen, quer über die breite Düna zu schwimmen, was wegen der starken Strömung noch niemand dort versucht hatte.

      Die andern warnten uns, aber wir zogen die Kleider aus und sprangen nackt ins Wasser. Mitten im Strom versagten Seebach die Kräfte. Er schrie mir zu, daß er einen Herzklaps bekäme. Ich schwamm mit großen Stößen an seine Seite. Glücklicherweise passierte gerade ein Floß. Das erreichten und erkletterten wir. Während sich mein erschöpfter Freund erholte, unterhielt ich mich mit dem alten Flößer, brachte die Brocken Russisch an, die Fräulein Kronmann mich gelehrt hatte. Ich sang ihm ein russisches Volkslied vor »Serenki Koaslik«. Und der Flößer nickte lächelnd. Aber derweilen trug uns die Strömung weiter und weiter. Biegemann und ich sagten dem Russen Adieu, sprangen ins Wasser und schwammen ans Ufer. Wir mußten zu Fuß stundenweit zurückwandern, nackt und ohne Geld, was uns aber nicht davon abhielt, unterwegs in einem simplen Gasthof einzukehren.

      Kurgäste kamen und gingen, Leute von Adel, Bankiers, Kaufleute, ein amerikanischer Billardvirtuose, der uns etwas vormachte.

      Ich überlegte mir, daß es wohl unschicklich wäre, die mir gebotene Gastfreundschaft noch länger auszunutzen, und wurde sehr betrübt im Gedanken an ein Scheiden. Der Baron war seit einiger Zeit oft recht unfreundlich zu mir. Als er meine Novelle gelesen hatte, die im »März« erschienen war, machte er eine geradezu rohe Bemerkung darüber. Er war allerdings, was Geist anbetrifft, ein armer Trottel. Seebach hatte mich oft vor ihm verteidigt, war aber jetzt viel zu sehr mit seiner bevorstehenden Hochzeit beschäftigt. Ich fühlte mich manchmal recht einsam. Die Baronin, von Seebach verständigt, überredete mich herzlich-lustig zum Bleiben.

      Süße Erlebnisse mit Schnupperschnäuzchen. Auch sie mußte eines Tages abreisen, wurde mit einem eingeführten Zeremoniell verabschiedet, wobei die Mandoline, ein Tränenhandtuch und eine Dichtung von mir eine Rolle spielten. Ich hatte sie liebgehabt, unsere nächtlichen Zusammenkünfte waren von märchenhaftem Reiz gewesen.

      Noch immer trug ich zu jeder Mahlzeit eine neue Blume im Knopfloch, gelegentlich auch ein Kohlblatt, einen Hobelspan oder ein längliches Steinchen.

      Der September kam. Die Jagdzeit begann. Der Baron hatte schon acht Feldhühner erlegt, und Biegemann hatte, wie man sagte, als er auf einen fliegenden Bussard anlegte, ein Häschen erlegt.

      Ich wanderte mit Wera durch den schönen Laubgang längs der Düna. »Wera, warum benutzen Sie keine Serviette? Warum kommen Sie immer zu spät zu Tisch und grüßen dann niemals?«

      »Nun ja, wir sind nicht von die Gesellschaft.«

      Sie sagte das deutsch sehr rührend. Ihre Gesinnung war eine durch und durch revolutionäre. Andrerseits litt sie ein wenig an Verfolgungswahn. Da sie kränklich und still war, mochte ich sie leiden.

      Endlich traf das Honorar vom »März« ein. Heiß er sehnt, denn ich wollte dafür Geschenke für alle Nolckens besorgen, um mich auch einmal erkenntlich zu zeigen. Ich fuhr also nach Riga und erstand zwei Flaschen alten Ungarweines für die Baronin, sowie andere Sachen für den Baron, für Ingeborg, Fräulein Dieckhoff und Biegemann. Das packte ich in eine Handtasche. Dann traf ich mich mit Wanjka, die inzwischen aus München zurückgekehrt war, und mit Fanjka. Lachend und scherzend stiegen wir in den Vorortszug nach Bilderlingshof, setzten uns – plumps – auf eine Bank, Fanjka, Wanjka, meine Handtasche und ich. Wir hatten viel zu erzählen. Im Coupé roch es sonderbar, obwohl nicht schlecht. Auf einmal entdeckte Wanjka, daß sie hinten naß war. Auch Fanjka. Auch ich. Zwei Flaschen Ungarwein waren zerbrochen. In dem Holzhäuschen in Bilderlingshof hängten wir unsere nassen Kleider zum Trocknen auf und amüsierten uns kostümiert. Auf der Rückfahrt schnauzte mich der Schaffner an, weil ich ahnunglslos im »Nichtraucher« rauchte. Ich antwortete auf all seine Reden nur mit den drei mir geläufigsten russischen Vokabeln »Nichts – Bleistift – Großmutter«. Darüber wurde er noch wütender und übergab mich in Riga sofort einem Schutzmann. Der brachte mich zur Wache. Ein Dutzend Polizisten saßen dort. Die wußten nichts mit mit mir anzufangen, weil sie mich nicht verstanden. »Protokoll! Protokoll!« riefen sie schließlich und legten mir ein Papier vor. Darauf schrieb ich ein Zitat: »Ich weiß von nichts. Mein Name ist Hase.« Dann bot ich ihnen Zigaretten an, die nahmen sie erfreut, und ich ging bedankt davon. Wanjka und Fanjka hatten draußen gewartet. Wir besorgten neuen Ungarwein.

      Nolckens freuten sich über meine Kleinigkeiten. Seebach war geradezu gerührt. »Ich war in letzter Zeit schlecht zu dir«, sagte er. Ich liebte Biegemann sehr. Abends am einsamen Ufer schrieb ich vor dem leuchtenden Kupfer der Kiefern ein Gedicht über Freundschaft.

      Seebach reiste nach Königsberg, um eine Wohnung für sich und Ingeborg zu suchen und einzurichten. Ich war dadurch wie verwaist.

      Das Laub färbte sich herbstlich. Ich hatte mit Ingeborgs Malgerät zwei kleine Ölbilder gemalt, davon eins Gartenland, das andere ein Stück Düna zeigte. Diese Bilder sandte ich auf eine lettische Ausstellung nach Friedrichstadt. Verkaufspreis zweihundert Rubel und fünfzig Rubel. Als ich dann einmal nach Friedrichstadt kam, sah ich mir die Ausstellung an. Sie war in der Hauptsache eine landwirtschaftliche. Meine Bilder hingen sehr dunkel über einem Glas mit konservierten tuberkulösen Gedärmen.

      Eines Morgens hörte ich, daß es »heute keine Post« gäbe, weil die Kutscher anderweitig beschäftigt wären. Ich war darüber ungehalten, weil ich sehr auf gewisse Briefe wartete. »Fahren Sie doch allein nach Friedrichstadt«, sagte die Baronin.

      »Ich?!«

      »Ach, Lieberchen, ein bißchen kutschen kann doch jeder.«

      Es half nichts. Ich wurde in den zweirädrigen Einspänner gesetzt. Der Knecht, der meine Pferdeangst kannte, machte sich den Spaß, dem Pferd noch eins mit der Peitsche aufzubrennen, daß es in wilden Sprüngen davongaloppierte. Ich hielt krampfhaft die Zügel fest und sah mich im Geiste schon im nächsten Graben liegen. Aber auf der freien Chaussee verfiel das Tier in einen ganz langsamen Schritt. So langsam, daß ich zu Fuß schneller vorwärts gekommen wäre. Das ertrug ich auf die Dauer nicht. Ich schnalzte mit der Zunge. Half nichts. Ich rief: »Mischka, he! – Hoppla! – Hallo, Mischka! Vorwärts! – Marsch! Sei brav, Mischka!« Half nichts. Ich griff – wollte nach der Peitsche greifen. Aber sowie ich sie nur berührte, machte Mischka sofort einen aufsässigen Seitensprung. Ich mied die Peitsche und ergab mich, ließ das Pferd wandern, so langsam es wollte. Es kannte ja den Weg. Spät erreichte ich Friedrichstadt und holte die Briefe von der Post. Für mich war nichts dabei. Dann trat ich die Heimfahrt an. Wieder war das Pferd nicht von seinem Zeitlupenschritt abzubringen. Ja, ich schwöre, daß es sogar gelegentlich sich nach mir umsah und lachte. Es wurde Nacht. Mischka fand auch im Dunkeln den Weg. In Halswigshof umringte mich spöttische Heiterkeit.

      Die kleinen Kalkunen, die ich als Küken gefüttert hatte, waren groß und hochmütig geworden. Die Abende wurden kalt, man heizte bereits.

      Für die bevorstehende Hochzeit wurden umfangreiche Vorbereitungen getroffen. Mathison zimmerte Kisten für das Umzugsgut und drechselte einen Aufsatz für die Bettstellen. Die Baronin schnitzte