Gesammelte Werke. Ernst Wichert

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Название Gesammelte Werke
Автор произведения Ernst Wichert
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027237517



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Mittel, weiser Mann! rief sie. Oh, enthaltet es mir nicht vor!

      Nun kniff er die Augen zusammen und ließ einen zischenden Ton durch die Zähne. Es gibt freilich für Gifte Gegengifte, antwortete er, und ich bin hinter das Geheimnis gekommen, mit welchem Saft die Tataren ihre Pfeilspitzen zu tränken pflegen. Was nützt das? Wir haben es nicht mehr mit einer Wunde zu tun: der ganze Leib ist verpestet. Kann ich ihm frisches, gesundes Blut in die Adern flößen?

      Sie senkte den Kopf und weinte. Könnt Ihr das nicht?

      Diese vertrauensvolle Frage schmeichelte dem gelehrten Manne. Er steckte die Hand mit den langen Fingern in den Gürtel und ließ einen wohlgefälligen Blick auf der gebeugten Gestalt ruhen. Nein, sagte er, das kann ich freilich nicht. Aber die Natur hilft sich mitunter selbst, wenn man dem Krankheitsstoff die Wege versperrt, weiteres Unheil anzurichten. Nur ist es spät – sehr spät …

      Ach, gewiß nicht zu spät, flüsterte sie, nun mit ihren braunen Augen voll inniger Bitte zu ihm aufsehend. Gebt mir das Mittel und sagt mir, wie es angewandt werden soll; ich will es gewiß an Aufmerksamkeit nicht fehlen lassen.

      Er schüttelte den Kopf. Ich sage Euch, daß die Wege versperrt werden müßten. Dazu gehört zunächst eine besondere Behandlung der Wunde selbst, die ich niemand lehren kann. Ihr würdet den Giftkeim nicht zerstören. Und bliebe er darin und die Wunde schlösse sich, so würde er in Tollwut enden.

      Natalia zog das Kästchen mit ihrem Schmuck vor, öffnete mit zitternder Hand halb den Deckel und sagte leise: Nehmt das. Es ist alles, was ich habe … Begleitet mich nach Sczanowo.

      Er nahm ihr lächelnd das Kästchen ab, hob die Kette heraus und breitete sie zwischen den Fingern aus. Ein gar feiner Schmuck, sagte er. Erlaubt, daß ich sehe, wie er Euch kleidet. Er trat nahe an sie heran und legte die Kette um ihren Hals; dabei berührte er ihre Schulter, aber sie zuckte nicht. Ich will Euch nicht berauben – das Ding da paßt besser für Euch als für mich.

      Es hat Goldwert, versicherte sie, und ich kann Euch sonst nichts bieten.

      Der Dienst, den Ihr von des Königs Leibarzt verlangt, ist auch unbezahlbar.

      Oh, so wollt Ihr um Gottes Barmherzigkeit – Sie sah zu ihm auf, senkte aber gleich wieder den Blick, da er sie mit so eigenen Augen betrachtete.

      Dafür tut's Euer Pater. Nein, ein Liebesdienst ist des andern wert – ist der eine unbezahlbar, muß es der andere auch sein. Wohl denn – lohnt mir den meinen – durch einen Kuß.

      Natalia trat erschreckt zurück; auf ihren Wangen flammte plötzlich Zornröte. Ihr wagt es –

      Die Schönheit zu besteuern. Was büßt sie dabei ein? Ich bin bescheiden – einen flüchtigen Kuß. Man nennt mich habsüchtig, begierig nach Schätzen … Ihr sollt erfahren, daß der häßliche Jude schönen Damen um andern Lohn gefällig ist. Dünkt er Euch zu hoch für den Mann, den Ihr retten wollt?

      Natalia preßte die Lippen zusammen und schauderte in sich hinein. Plötzlich erhellte sich ihr Gesicht, die Augen lachten, die Muskeln um den Mund zuckten. Rettet ihn! rief sie leidenschaftlich, drückte seine Hände zurück und küßte ihn rasch.

      Dann brach sie in heftiges Weinen aus und verließ das Gemach.

      Ihrem Oheim sagte sie, daß der Jude eingewilligt habe, mit ihr nach Sczanowo zu fahren; er möge gütigst dafür sorgen, daß ein zweiter Schlitten in der Frühe bereit sei. Am Abend erfuhr Herr Michael von Kroczinski, daß der König seinen Leibarzt beurlaubt habe. Nun erst glaubte er daran, daß sein Versprechen Ernst sei.

      Jagello hatte Nachricht erhalten, daß Großfürst Witowd in der Nähe von Thorn angelangt sei und beschlossen, mit ihm in Slotorie zusammenzutreffen. Er beauftragte daher seinen Arzt, nicht zurückzukehren, sondern gleich weiterzureisen und ihm dort Quartier zu bestellen.

      Man langte gegen Abend in Sczanowo an. Der Schlitten stand noch nicht, als Natalia schon hinaussprang, die Pelze abwarf und dem Turm zueilte. Pater Stanislaus kam ihr entgegen. Lebt er? rief sie.

      Er lebt, antwortete er. Aber seit Mittag hat ein tiefer Schlaf –

      Sie wies mit der Hand zurück. Des Königs Leibarzt –! Empfangt ihn – ruft die Dienerschaft – sorgt für ein wohnliches Schlafgemach –! Hastig jagten sich die Worte. Sie eilte die dunkle Steintreppe hinauf, trat in das Gemach ein, an das Bett des Kranken. Der Mond schien hell und streifte sein bleiches Gesicht. Er atmete so leise, daß sie sich tief über ihn beugen mußte, um den schwachen Ton zu vernehmen.

      Dieses Leben gehört mir, wenn ich es ihm rette! jauchzte es in ihr. Überwältigt von diesem Gefühl der Freude, daß es ihr gelingen könnte, dem geliebten Manne Hilfe zu bringen, und leidenschaftlich erregt durch seinen tagelang vermißten Anblick, senkte sie das Gesicht noch tiefer und wollte einen Kuß auf seine Lippen drücken. In demselben Augenblick aber machte er im Schlaf eine Wendung mit dem Kopf zur Seite, so daß er sich ihr entzog.

      Sie stutzte. Daß er schlief, war kein Zweifel; aber auch so hatte ihr diese Bewegung Bedeutung. Ach, ich darf nicht – murmelte sie vor sich hin, noch nicht … mein Mund ist entweiht. Aber für dich – für dich geschah es ja! Du sollst es wissen, wenn du gerettet bist. Und dann … nein, dann wirst du so grausam nicht sein, mich deshalb zu verwerfen!

      Heinz bewegte im Schlaf die Lippen, sein Gesicht verklärte sich. Er träumt, dachte sie und merkte gespannt auf, zu ihm niedergebückt. Da hörte sie leise, aber ganz deutlich, ein warmes: Maria – ach! Maria!

      Es war, als ob eine Schlange sie stach, so schnellte der ganze Oberkörper zurück. Maria! Sie griff mit der geballten Hand nach dem Herzen. Maria! Heiße Tränen rollten über ihre Wangen herab, immer rascher einander folgend, wie glühende Bleitropfen die Haut sengend. Maria! Sie wandte das Gesicht ab, taumelte in die Fensternische, drückte die Stirn gegen das eiskalte Steinkreuz. So stand sie wohl eine Viertelstunde. Sie atmete keuchend, wie jemand, der in wildem Lauf ein Ziel erjagt hat und nun erschöpft am Boden liegt.

      Auf der Treppe wurden Stimmen laut, Schritte vernehmbar. Sie rührte sich nicht von der Stelle, wischte aber mit eiliger Hand die Tränen fort. Der Vorhang hob sich. Pater Stanislaus leuchtete mit dem Lämpchen voran. Es folgte der Arzt, und nach ihm kamen einige Diener mit Fackeln; sie blieben auf seinen Wink draußen stehen.

      Der Pater hielt die Lampe über den Kranken hin, nachdem er den Docht noch weiter über die Rinne vorgezogen hatte, damit die Flamme sich vergrößere. Leib Israel schlug die Decke von der Brust zurück und besichtigte aufmerksam die Wunde. Als er sie mit dem Finger berührte, erwachte der Kranke und sah mit verwirrtem Blick zu dem fremden Gesicht auf. Des Königs Arzt, sagte der Pater, um ihn zu verständigen.

      Nun beantwortete er die Fragen, die der Doktor ihm vorlegte, erst mit matter und schläfriger Stimme, dann sicherer und fester. Als derselbe im Examen eine Pause machte, wandte er sich an den Kaplan und erkundigte sich, ob auch das Fräulein wohlbehalten zurückgekehrt sei. Natalia hörte es, verließ aber ihren Platz in der Nische nicht. Das Herz schlug ihr wieder heftiger, aber nicht freudiger.

      Ich muß Euch Schmerz bereiten, sagte nun der Arzt. Wahrscheinlich ist meine Vermutung richtig, daß der Pfeil vergiftet war, aber ich brauche Gewißheit, daß ich mich in der Art des Giftes nicht täusche. Beißt die Zähne zusammen. Junker – die Qual soll nicht lange dauern, und ich schaffe Euch dann schnell Linderung.

      Er führte nun mit geschickter Hand ein feines Metallstäbchen in die Wunde ein und beobachtete mit gespanntem Blick den vorragenden Teil, indem er die Lampe dicht daran hielt. Es veränderte sogleich seine Farbe. Nach einer Weile zog er es wieder sanft heraus. Heinz stöhnte leise und atmete kurz, schrie aber nicht.

      Ihr habt Euch gehalten wie ein Kriegsmann, lobte der Arzt. Er zog aus dem Aufschlag seines Ärmels ein Kristallfläschchen vor, öffnete es vorsichtig und tröpfelte ein wenig von einer stark riechenden Flüssigkeit in die Wunde. Der Schmerz schien sofort nachzulassen. Nun besorgt Eis, befahl er dem Kaplan, tut es in einen Beutel und kühlt damit die Wunde. Das Eis muß die ganze Nacht durch erneuert werden, damit das Fleisch rundum völlig abstirbt. Für heute kann ich weiter nichts für den Kranken tun. Morgen aber, nach Sonnenaufgang, will ich versuchen