Название | Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Ernst Wichert |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027237517 |
Nun hatte das Fräulein nur noch den einen Gedanken, wie sich's bewerkstelligen ließe, daß der berühmte Arzt nach Sczanowo käme und ihren Kranken untersuchte. Die Sache hatte ihre erheblichen Schwierigkeiten, da es sich um eine Reise im Winter handelte. Sie besaß eine goldene Kette von Wert, die der Vater ihr zu ihrem sechzehnten Geburtstag geschenkt hatte; die wollte sie gern opfern und auch den ungarischen Goldgulden zulegen, der ein Patengeschenk war, wenn nur der Arzt durch diesen Lohn zu gewinnen sei. Aber wie zu ihm gelangen? Wie ihn nach Sczanowo herüberschaffen? Sie eröffnete sich ihrer Mutter und bat sie unter Tränen, ihr beizustehen. Frau Cornelia zuckte die Achseln und meinte, es sei närrisch, daß sie sich um den deutschen Junker so viel Sorge mache. Natalia ließ sich nicht entmutigen. Sie führte nun selbst ihre Sache bei den Vettern und schmeichelte so lange, bis zwei derselben ihr zusagten, einen Schlitten auszurüsten und zu begleiten, so hoffnungslos auch das Unternehmen sei, denn schwerlich werde der Arzt ihren Bitten nachgeben. Ich selbst komme mit euch, sagte sie, und hole ihn ab. – Eines Morgens früh erschien sie ganz in Pelze gehüllt im Turmstübchen. Sie sagte Heinz, was im Werke sei, und nahm für einige Tage Abschied von ihm. Haltet tapfer solange aus, mahnte sie, und sucht Euch ohne mich zu behelfen. Pater Stanislaus wird Euch treu zur Seite stehen. Ungern wahrlich verlasse ich Euch, aber ich hoffe, es ist zu Eurem Wohl.
Heinz drückte dankbar ihre Hand. Es ist mir nicht zu helfen, sagte er, aber in seinen Augen leuchtete doch ein Funke Lebenslust auf: noch gab man ihn nicht verloren. Und sie war's, seine treue Krankenpflegerin, die sich für ihn aller Unbill einer Winterreise aussetzte! Wie sie das Gesichtchen in der steifen Pelzkapotte nicht von ihm abwandte bis zur Tür hin – und er täuschte sich sicher nicht: eine Träne hing in ihren Wimpern.
Als er mit sich allein war, fiel es ihm wieder aufs Gewissen, daß er ihr so viel Güte und Treue nicht würde vergelten können. Es war ihm nun fast ein Trost, sich vorzustellen, daß doch all ihr Mühen, ihn am Leben zu erhalten, vergeblich sein werde. Seine Stimmung wurde wieder sehr schwermütig. Der Kaplan, als er ihn besuchte, fand ihn geneigt, über die Dinge im Jenseits zu sprechen.
Am andern Tage bemerkte der geistliche Herr von seiner Zelle aus, daß ein Schlitten mit vier kleinen Pferden in einer Reihe auf den Hof fuhr und einer der Holzjuden, reisefertig gekleidet, ins Haus trat, um mit den Herren zu sprechen. Er erkundigte sich, wohin das Fuhrwerk bestimmt sei, und erfuhr, daß der Jude auf der Weichsel nach Thorn wolle, um dort Geld zu besorgen, vielleicht auch bis Danzig hinaufgehe, wegen der Hölzer abzuschließen für den Fall, daß der Friede wieder freie Schiffahrt gestatte. Er ging sogleich zu dem Kranken hinauf und sagte es ihm. Da sei nun eine günstige Gelegenheit, den Brief mitzuschicken, meinte er.
Den Junker überraschte diese Nachricht sichtlich. Es war ihm Bedürfnis gewesen, den Brief schreiben zu lassen. Nun er geschrieben war, drängte es ihn nicht mehr so sehr, ihn auch befördert zu sehen. Er hatte sich schon darauf gefaßt gemacht, daß er unter seiner Decke liegenbleiben werde, bis man ihn selbst hinaustragen würde zu seiner letzten Ruhestätte. » ortuusest « – würde der Pater darunter schreiben und drei Kreuze beifügen. Im entscheidenden Augenblick ängstigte ihn jetzt die Frage: Warum sollen sie auch wissen, daß ich noch lebe? Was können sie für mich tun, wenn ich nicht gesunde? Und vielleicht, wenn ich gesunde … Ich bin ihr Gefangener. Er schämte sich der Heimlichkeit gegen das gute Mädchen.
Aber es war ihm eine kurze Bedenkzeit zugemessen. Der Kaplan stand und wartete mit ausgestreckter Hand. Endlich meinte Heinz, halb und halb dem Zufall die Entscheidung überlassen zu können. Gut, sagte er, nehmt den Brief – aber tragt dem Juden auf, ihn zurückzubringen, wenn er nur bis Thorn reisen sollte. Mag ihn dann später ein anderer zuverlässig in Danzig abgeben.
Bald hörte er draußen die Schellen klingen. Der Schlitten fuhr dem Flußufer zu. Nun wünschte er wieder, der Brief möchte in des Komturs Hand kommen.
Im Laufe des Tages fühlte er sich sehr matt und unwohl. Der nächste brachte mehrmals tiefe Ohnmachten. Er vermißte seine gütige Pflegerin sehr. Sie wird ihn nicht mehr lebend finden, sagte der Kaplan bei sich voraus.
Natalia war indessen glücklich in Raciaz angelangt. Ein Rudel Wölfe, das sich von dem bewaldeten Ufer auf den Fluß wagte, hatten ihre Begleiter verscheucht. Als eine der Bestien, von einem Bolzen ins Auge getroffen, gefallen war, blieben die andern zurück, die Beute zu verzehren. Die Pferde durften nicht durch die Peitsche zu rascherem Laufe angespornt werden.
In Raciaz kostete es Mühe, ein Unterkommen für die Nacht zu finden. Die sämtlichen Quartiere waren von den königlichen Hofbeamten und von den Kommissarien mit ihrer Dienerschaft besetzt, Herrn Michael von Kroczinski kam der Besuch seiner Nichte somit gar nicht erwünscht; doch räumte er ihr galant sein eigenes Gemach und behalf sich mit einer Kammer. Noch weniger gefiel es ihm, daß er ihre Bitte des Königs Arzt vortragen sollte, den er einen unverschämten Juden nannte. Allerdings sei seine Wissenschaft groß, und er verstehe auch in den Sternen zu lesen. Dem König habe er richtig aus den Sternen vorausgesagt, daß er in einer großen Schlacht siegreich sein werde; deshalb sei er nun sehr in dessen Gunst und behandle selbst die Mächtigsten vom Adel übermütig. Zudem nenne man ihn geldgierig, und es sei daher ganz unwahrscheinlich, daß er sich zu dem Krankenbesuche bestimmen lassen werde für den geringen Lohn, den man bieten könne.
Leib Israel schlug wirklich die Bitte rund ab; er dürfe den König keine Stunde verlassen, entschuldigte er sich. Natalia beruhigte sich dabei nicht; sie bat nun selbst um Gehör, den Fall vorzutragen und wenigstens seinen Rat zu erbitten.
Natalia fand einen Mann mit mächtiger Krummnase und schwarzen Stirnlocken in einem langen seidenen Kaftan, der um die Hüften durch einen mit arabischen Schriftzeichen gezierten Schal zusammengehalten wurde. Seine Finger, selbst der Daumen, waren mit kostbaren Ringen besteckt, wahrscheinlich den Beweisen der Erkenntlichkeit hoher Patienten. Er las in einem großen Buche mit silbernen Beschlägen. In einem offenen Kasten auf dem Fußboden neben ihm waren allerhand Gläser, Büchsen und blanke Instrumente sichtbar. Ein ganz eigener Duft von scharfen Essenzen oder Räucherwerk durchzog das ganze mit bunten Teppichen umhängte Gemach.
Natalia fühlte sich sehr beklommen dem gelehrten Doktor gegenüber. Sie dachte aber mit aller Innigkeit an ihren armen Kranken und faßte sich Mut. Dann sprach sie mit so viel Wärme und zugleich so verständig über den sonderbaren Fall, daß der Arzt seine Teilnahme nicht versagen konnte. Hatte er anfangs ein vornehmes Schweigen beobachtet, so fing er nun an Fragen zu stellen, und die klaren, bestimmten Antworten schienen ihm zu gefallen. Liebes Kind, äußerte er sich endlich, ich kann Euch wenig Trost geben. Den Grund des Leidens glaube ich wohl zu erkennen, aber ich zweifle, daß jetzt noch geholfen werden kann.
Dem schönen Mädchen stürzten die hellen Tränen aus den Augen.
O mein Gott, rief sie, die Hände faltend, so hätte ich zu lange gezögert? Aber nein, Eure Kunst ist gewiß nicht machtlos! Ihr zweifelt … Also ist Rettung doch noch möglich. Oh, ich flehe Euch an.
Sie wollte auf die Knie sinken, aber der Doktor hinderte es, indem er ihre Hand faßte und sie aufrecht hielt. Ich kann, da ich den Kranken nicht untersucht habe, nur Vermutungen aussprechen, sagte er. Die Wunde an der Schulter schließt sich deshalb nicht, weil der Tatarenpfeil, der sie schlug – vergiftet war.
Natalia wurde bleich wie das Leinentüchlein, mit dem sie ihre Augen getrocknet hatte. Vergiftet –?
Es kann nicht anders sein, liebes Kind. Das Gift hat sich dem Blut mitgeteilt, und alle Säfte sind nun mit der Zeit so ungesund geworden, daß der ganze Körper siecht. Er muß ganz ungewöhnlich kräftig gewesen sein, da er diesem Verderben solange Widerstand entgegenzusetzen vermocht hat. Dagegen konnte freilich Euer Pater sowenig mit seinen Kräutern als mit seinen Gebeten etwas ausrichten.
Der