Gesammelte Werke. Ernst Wichert

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Название Gesammelte Werke
Автор произведения Ernst Wichert
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027237517



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bei wem sollen wir's suchen? Das Land will einen Fürsten haben, der ein rechter Landesfürst ist, nicht nur der Ordensbruderschaft oberster Gebietiger. Aus gutem freiem Willen wollen wir ihm dienen, und daß wir's allezeit können zu des Landes Wohl, auch in unseres Fürsten Rat sein.

      Plauen hob rasch den Kopf, wie jemand, dessen Aufmerksamkeit in überraschender Weise auf einen Gegenstand gelenkt wird. In eures Fürsten Rat wollt ihr sein, wiederholte er, das heißt, ihr wollt teilhaben am Regiment des Ordens in diesem Lande. Ah, das ist eine neue Forderung!

      So gar neu ist die Forderung nicht, gnädiger Herr, entgegnete Letzkau. Hat doch seit Menschengedenken der Orden in Handelssachen keine Satzung gemacht, die nicht vorher mit den großen Städten vereinbart worden wäre, und auch sonst oftmals die Edelsten des Landes zugezogen, wenn eine Ordnung für das gemeine Land gesetzt werden sollte. Weshalb sonst ist das geschehen, als damit Eintracht sei im Lande und niemand zu klagen habe über Gewalt.

      Das ist ein anderes, Konrad, antwortete der Meister. Das Regiment hat allezeit der Orden allein gehabt, und was dem Lande gesetzt worden ist, das ist ihm gesetzt vom Hochmeister mit seinen Gebietigern und Prälaten. Wollen nun die Städte, Ritter und Knechte in des Hochmeisters Rat, das war uns bisher fremd. Mit welchem Rechte begehren sie das?

      Ich schweige, sagte der Bürgermeister, wenn Ew. Gnaden sich über meine Worte erzürnt.

      Plauen kreuzte die Arme über die Brust. Ich will hören, was du darauf zu sagen hast, entgegnete er ruhiger.

      Gnädiger Herr, es handelt sich nicht um ein Recht, das wir haben, sondern das wir erwerben wollen. Ist es ein neues Recht, so ist auch die Pflicht neu, die der Orden von uns fordert. In früherer Zeit mag der Orden an sich selber genug gehabt haben: was die Gebietiger im Kapitel beschlossen zu tun, das ward ausgeführt mit des Ordens Mitteln und Hilfe vieler großer Fürsten und Herren aus der ganzen Christenheit. Das ist nun seit Jahren anders geworden. Wenige stehen dem Orden bei, es sei denn, daß er sie bezahle, und zumal nach dieser letzten Not wird er sich nicht aufrichten gegen seine mächtigen Feinde, wenn ihm das Land nicht hilft über die verbrieften Verpflichtungen hinaus. Wer mich aber bittet, dem kann ich's geben und abschlagen. Darum muß das Land in des Herrn Hochmeisters Rat sein, wenn der Herr Hochmeister von ihm die Tat fordert.

      Und so schwächt ihr noch mehr seinen Willen, der wahrlich schon gebunden genug ist durch des Kapitels Zustimmung in allen wichtigeren Dingen. Ihr wollt einen Fürsten haben, der nicht die rechte und nicht die linke Hand heben kann. Wahrlich, eine Puppe trüge ebenso würdig den Hochmeisterring!

      Letzkau schüttelte den Kopf. Ich glaube, Ihr täuscht Euch, gnädiger Herr. Der Hochmeister, der Lande und Städte in seinem Rat hat, wird ein Fürst sein mit mächtigem Willen zu allem Guten und Großen. Jetzt vermag er nichts ohne seiner Gebietiger Vollwort, die doch nur sorgen, daß dem Orden nicht Abbruch geschehe. Wenn er aber dem Lande ein Fürst sein will – meint Ihr nicht, daß der Landesrat ihm treulich beistehen werde in allen Wegen? Wenn man ihm die eine Hand lähmt, wird man ihm die andere bewaffnen, und ich zweifle nicht, welche die stärkere sei. Nicht zwischen zwei Stühle werdet Ihr Euch setzen, sondern auf zwei Stühlen werdet Ihr sitzen, und nach welcher Seite hin Ihr zustimmt, auf der wird allemal die Waage sinken. Das Land aber wird froh sein seines Herrn und nicht ausschauen nach dem König und dem Großfürsten.

      Er trat einen Schritt zurück und verneigte sich tief, die rechte Hand aufs Herz legend. Der Hochmeister stand eine Weile regungslos; nur in seinem Auge blitzte es wie aus aufziehendem Gewölk. Aber nicht zornig war der Ausdruck seines Gesichts, und das Gewitter entlud sich nach innen. Nun strich er die breite Stirn von oben her und schien mit der Hand wegzuwerfen, was sich allzu dreist darunter festgesetzt hatte. Was du mir heute gesagt hast, Konrad, sprach er langsam und gewichtig, das sage keinem von den Brüdern: es könnte dir leicht Gefahr bringen; denn was du erstrebst, das ist ihnen zuwider. Ich aber – will nichts gehört haben, was mich in deine Gedanken verstricken könnte – sie fliegen mir allzu weit. Wer ihnen ernstlich nach wollte, dem müßten selbst Flügel anwachsen. Du meinst es gut mit dem Lande und auch – mit mir; aber wir haben nicht Macht über diese Dinge, sie zwingen uns und machen uns klein und groß. Der Tag muß den Tag geben – vielleicht bringt einer auch dies. Geh nun, lieber Bürgermeister, und tue, was der heutige aufgibt. Gott mit dir!

      Er bot ihm die Hand. Letzkau bückte sich und küßte sie ehrerbietig. Dann verließ er des Meisters Gemach und wurde draußen von einem dienenden Bruder durch die Schloßwachen geführt. Es war schon gegen Morgen, als er von der Marienburg abritt.

      Plauen aber legte sich vergebens auf sein hartes Lager; der Schlaf wollte in dieser Nacht nicht mehr kommen. Der Bürgermeister hatte Gedanken in seine Seele geworfen, die übermächtig wurden. Sie erzürnten ihn und lockten ihn doch immer wieder wie auf ein weites freies Feld, das Raum hatte zum Ausschreiten. Hochmeister – Landesfürst! Zum ersten Male fühlte er diese zwei Gewalten in sich wie etwas Widerstrebendes, das doch vereint sein wollte; zum ersten Male war ihm der Orden nicht das Land und das Land nicht der Orden, und doch durfte das eine nicht sein ohne das andere, das war ihm gewiß. –

      Der Bürgermeister brachte die Briefe nach Danzig. Dort zog er Barthel Groß ins Geheimnis und beriet mit ihm, was zu tun sei. Auch seine Tochter war zugegen, der er volles Vertrauen schenkte. Sie versprach ihm ein Bettlergewand zu besorgen, daß er sich in solcher Verkleidung mit einem Knechte in gleich dürftiger Kleidung durch die Grenzbesatzungen brächte. Sie nähte auch die Gewänder selbst heimlich in der Nacht und besetzte sie mit allerhand Flicken. Dann machte sie ihrem Vater das Gesicht unkenntlich mit Ruß und Kreide, hing ihm einen Bettelsack um und gab ihm einen Stab in die Hand. Wie er so gerüstet war, führte sie ihre Kinder herein: aber die erkannten ihn nicht und fürchteten sich vor ihm. Da lachte sie und sagte: Das mag dir der Herr Hochmeister vergelten mit großen Ehren, daß du dich so tief für ihn erniedrigst.

      Letzkau kam glücklich durch die feindlichen Linien nach dem Stolper Land, reiste von einem Herrn zum andern, gab die Briefe ab und brachte sie auf, mit ihrer Mannschaft nach Thorn zu ziehen und dem Hochmeister zu helfen. Auch ging er in die Städte und gab Wechsel von seiner Hand, damit er Geld erhielte für die Soldhauptleute, überall war sein Name gekannt und bei Fürsten und Städten gut angesehen. So brachte er sich in große Schulden für den Orden und dazu in Gefahr, daß er sich den König für allezeit verfeinde und vom Rat seiner Stadt bei der Rückkehr übel aufgenommen werde.

      Aber dessen achtete er nur wenig, da er hoffte, der Orden werde durch seinen neuen Meister wieder zu Kräften gelangen. Des Königs Sache hatte ihm nie sonderlich am Herzen gelegen; gut deutsch war seine Gesinnung geblieben allen Verlockungen zum Trotz; nicht einmal das geringste Geschenk hatte er für sich selbst angenommen. Nun meinte er die Stadt nicht zu schädigen, wenn der König endlich doch siegte, da er ja heimlich fortgegangen war und niemand vom Rat, außer seinem Schwiegersohn, erfahren hatte, daß er in des Hochmeisters Dienst reiste. Wenn aber der Orden siegreich blieb, mußten seine Mitbürger es ihm danken, daß er sich in diese Fährlichkeit begeben hatte.

      Forderte der Hochmeister des Landes Rat, so berief er sicher Konrad Letzkau unter den ersten.

      23. DIE JAGD AM MELNOSEE

       Inhaltsverzeichnis

      Sobald die Heerhaufen aus dem Norden des Landes zusammengezogen und die Söldner neu gerüstet waren, brach Plauen gen Süden auf, die wenigen Burgen, die der König noch in Besitz hatte, zurückzuerobern und ihm bis zur Grenze entgegenzugehen, vielleicht auch sie bei günstiger Gelegenheit zu überschreiten.

      Er führte sein kleines Heer durch ein völlig verwüstetes Land, aber wo noch ein Kirchturm stand, da läuteten die Glocken zu seinem Empfang, und das Landvolk stellte sich an den Weg, den neuen Landesherrn zu begrüßen. Zu seiner Freude konnte er auch bemerken, daß der Mut der wackeren Leute nicht gebrochen war. Schon von der Marienburg herab hatte er die tapferen Bürger der Stadt den Schutt von ihren Straßen forträumen und ihre abgebrannten Häuser neu aufrichten sehen; nun fand er überall auch in den Dörfern fleißige Hände tätig, noch vor dem Winter die Wände und Dächer auszubessern, Menschen und Vieh ein gesichertes Unterkommen zu schaffen.