Gesammelte Science-Fiction & Dystopie Romane (12 Titel in einem Band). Paul Scheerbart

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Название Gesammelte Science-Fiction & Dystopie Romane (12 Titel in einem Band)
Автор произведения Paul Scheerbart
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075836403



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allen ferneren Ereignissen gegenüber verhielten.

      Selbst die wundervollen bunten Licht-, Glanz-, Brand- und Farbeneffekte der immer wieder neu wirkenden Glasgrotten vermochten eine bemerkenswerte Erregung nicht mehr hervorzurufen.

      Die Leiter der Fabrikgrotten verfolgten mit zäher Unerbittlichkeit ihre Ziele.

      Und als nun die müden Arbeiter endlich nach vierhundert Jahren die große natürliche Linse, von der Zikáll so viel geredet hatte, erblickten - da ging bloß noch ein langer Seufzer durch das Innere des Mondes.

      Und die Hälfte der Arbeiter schwebte traurig zu den Todesgrotten, um durch eine neue Wiedergeburt wieder lebensfähig zu werden.

      Zikáll hatte also recht gehabt - die große Naturlinse, die einen Durchmesser von mehreren Meilen besaß, war in der Mitte der gläsernen Mondseite entdeckt worden.

      Aber es kam noch mehr.

      Bald entdeckte man auch in anderen Grotten, die an der Oberfläche lagen, große Glaslinsen, die sich ebenfalls für Riesenteleskope eigneten.

      Und da beschlossen denn die hundert Ratsherren, deren Zahl immer wieder, wenn einzelne müde geworden waren, aus den Führern ergänzt wurde, auch diese kleinen Naturlinsen zu Teleskopzwecken zu verwerten.

      Die Grotte mit der großen Mittellinse war im Innern eine Rubingrotte und bestand aus lauter kolossalen roten Brillanten, die schreckliche Brandglut ausströmten, so daß man bei Tageslicht nicht lange dort sein konnte.

      Überhaupt: sämtliche Grotten, die an der Oberfläche lagen, zeigten sehr viele Brillanten und Edelsteine in unsäglich vielen neuen Farben und Kristallformationen, so daß es eine große Freude war, in diesen Brillanten-Grotten zu weilen.

      In den Glaslinsen zeigte sich glücklicher- und seltsamerweise kein einziger Brillant - während doch das Innere der Glasgrotten so viele aufwies; die Linsen waren sämtlich wasserklar und auch von Meteoren nicht beschädigt.

      Die natürlichen Glassäulen und die herrlichen Nischen, Galerien und Schluchten aus Glasgebilden und edelsten Steinen wirkten allmählich durch all den blitzenden, funkelnden und brennenden Reichtum der immer wieder neuen Formen- und Farbenkompositionen - wiederbelebend auf die ermüdeten Mondvölker - wie frischer Blütenduft wirkte das neue Grottenreich.

      Und dann wurden die Teleskope zusammengebaut- sowohl das mittlere große - wie auch zwölf seitwärts stehende kleinere, die allerdings recht beträchtliche Dimensionen durchquerten - und zum großen Rohr in demselben Verhältnisse standen - wie in einem aufgespannten Regenschirm die spannenden Querstangen zum Stock.

      Die Zwischenlinsen, die geschliffen werden mußten, machten die meiste Arbeit - mancher Mondmannsmund lernte das Seufzen dabei.

      Jedes der dreizehn Rohre führte zunächst in den Ausgangspunkt der Bohrarbeiten, den man früher für den Mittelpunkt des Mondes gehalten hatte. Und von diesem Punkte aus ging das mittlere Riesenrohr stockgrade nach der Mondseite, die der Erde zugewandt ist - bis in den Bleikrater, der das Zentrum der bewohnten Halbkugeloberfläche bildet.

      Man denke sich einen Regenschirm aufgespannt - und die Vorstellung wird komplett sein; nur vergesse man nicht, daß das Schirmtuch der Glasseite entspricht.

      Diese riesenhaften Teleskope sollten so eingerichtet werden, daß Beobachtungen und photographische Aufnahmen an verschiedenen Stellen des großen Rohres möglich wurden; vom Bleikrater bis zu den Todesgrotten schuf man sieben undzwanzig Rohrstationen mit kompliziertesten Apparaten.

      Auch ganz neue Apparate zur Beobachtung der Licht- und Wärmespektren wurden in den Fabrikgrotten hergestellt.

      Das Gehämmer und Geklopfe ward vonJahrzuJahr stärker.

      Die Metalle klangen oft melodisch zusammen - doch nur selten.

      Vom Bleikrater bis zur großen Linse warens gute tausend Meilen.

      Die ungeheure Arbeit wirkte nach und nach ganz eigenartig auf die Gemütsverfassung der armen Mondmänner ein; die waren an eine derartig ununterbrochene Handtätigkeit gar nicht gewöhnt - es bildete sich viel Horn in den Handflächen.

      Die Krater, in denen früher so regelmäßig Beobachtungen des Himmels und der Erde stattgefunden hatten, standen nun schon jahrhundertelang in stiller Einsamkeit da.

      Niemand fand die Zeit, die alten Räume, an die sich so viele Erinnerungen knüpften, wieder mal aufzusuchen.

      Und am Himmel und auf der Erde konnten die kolossalsten Wunder geschehen - die Mondleute bemerkten davon nichts.

      Selbstverständlich hatte man die alten zurückgesetzten Apparate so sorgsam umwickelt und eingepackt, daß sie Schaden nicht leiden konnten.

      Auch die Museen und Bibliotheken liefen nicht Gefahr, zu verderben - dafür war gesorgt.

      Aber für die Köpfe der Mondleute war weniger gesorgt worden.

      Die Führer der Fabrikgrotten nutzten ihre Machtstellung ganz rücksichtslos aus - und gestatteten keine andre Beschäftigung den Mondleuten - als die an dem großen Werke.

      Und bald warens volle tausend Jahre, daß die Mondleute so unablässig arbeiteten.

      Die Zeit war vergangen - man wußte nicht wie.

      Aber da kam es einigen Ratsherren - und besonders dem Knéppara - so vor, als müßte nun notwendigerweise die große Arbeit mal unterbrochen werden.

      »Das furchtbarste Gefängnis«, sagte er in der Ratsversammlung, »kann nicht einen so verheerenden Einfluß ausüben - als diese ständige mechanische Tätigkeit. Ich habe diese schlimmen Folgen der großen Arbeit damals vor tausend Jahren vorausgesehen und gefürchtet. Aber Ihr wolltet nicht hören.«

      Und Knéppara schlug vor - zehn Jahre zu ruhen.

      Auf den Amethystsäulen fand danach wieder eine Abstimmung statt.

      Zuhörer wie sonst waren in der Ratsgrotte diesmal nicht da.

      Und der Knéppara wurde wieder überstimmt; die Führer der Fabrikgrotten waren der Uberzeugung, daß in guten drei Jahrhunderten alles fertig sein würde - man müßte fest bleiben.

      Knéppara setzte es danach bloß durch, daß einzelne Arbeiter jährlich fünfhundert Stunden von der Arbeit befreit werden konnten.

      »Ihr seid grausam!« sagte Knéppara - und bat, ihn sofort fünfhundert Stunden hindurch allein zu lassen.

      Dem Knéppara ward die Bitte selbstverständlich gewährt; dabei versicherten aber die Führer der Fabrikgrotten mit erhobenen Händen, daß sie nach bestem Wissen und Gewissen handelten - ein Nachlassen in der Arbeit setze das ganze große Unternehmen den größten Gefahren aus.

      Und danach suchten sich wieder die Ratsherren durch die kolossalen Weltbilder, die ihnen später beschert werden würden, zu berauschen.

      »Dieser Zukunftsrausch«, sagte Zikáll, »hat uns bereits tausend Jahre aufrechterhalten - er wird uns auch über die nächsten drei Jahrhunderte hinweghelfen.«

      Und mit diesem Troste flogen die Herren vom Ratskrater wieder eilig davon und nahmen die ihnen zugewiesene Arbeit von neuem in Angriff.

      Knéppara aber saß nun hoch oben am Rande des Zinnkraters und starrte die volle, rotglühende Scheibe des Erdgestirns an, das die Moosfelder des Mondes mit weichem Licht erfüllte.

      »Diese Erdmänner!« sagte er leise in Gedanken zu den Nachtwinden"wer hätte das vor tausend Jahren gedacht! Heute kümmert sich keiner mehr um die Erdmänner. Wir wissen gar nicht, was sie tun; sie können bereits sämtlich ausgestorben sein - sie können sich auch heute noch gegenseitig totschießen - sie können sich auch gegenseitig aufessen - und dabei ruhig weiterleben - ein anderes Leben. Wer kann das wissen? Wir jagen einem größeren Ziele zu. Und es werden noch drei Jahrhunderte vergehen - bis wir wieder was von dem Leben der Erdmänner erfahren. Vielleicht haben auch sie eine große Revolution erlebt. Vielleicht können wirs nach drei Jahrhunderten gar nicht mehr konstatieren, ob die Erdmänner eine große Revolution erlebten - oder nicht. Vielleicht sind