Gesammelte Science-Fiction & Dystopie Romane (12 Titel in einem Band). Paul Scheerbart

Читать онлайн.
Название Gesammelte Science-Fiction & Dystopie Romane (12 Titel in einem Band)
Автор произведения Paul Scheerbart
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075836403



Скачать книгу

von unsrem Zuschauerstandpunkt aus ganz gleich bleiben, ob die Erdmänner sich gegenseitig totschießen oder umarmen. Aber da mit so viel gutem Willen Kämpfe vorbereitet werden, die auf der Erde mindestens eine ebenso große Revolution erzeugen müssen wie auf dem Monde die Bohrarbeiten fürs große Teleskop - so hätte ichs doch gerne, wenn die beiden Revolutionen in einen gewissen Zusammenhang gebracht würden. Man vergesse nicht, wie bewunderungswürdig die gute Laune ist, mit der da unten so entsetzlichen lächerlichen Ubelständen zu Leibe gegangen wird. Und so sage ich denn im Namen der Erdfreunde: Wenn die Friedensfreunde auf der Erde nicht siegen, so sind die Erdfreunde des Mondes bereit, an den Bohrarbeiten sämtlich teilzunehmen; wenn nach fünfzig Jahren nicht ein einziger Staat auf der Erde, der augenblicklich noch die allgemeine Wehrpflicht anerkennt, diese abgeschafft hat- so könnten die Bohrarbeiten auf dem Monde sofort beginnen.«

      Knéppara schweigt.

      Und alle denken über das Gesagte nach.

      »Es ist«, sagt dann nach langer Pause der weise Zikáll, »sehr interessant, solche Lebewesen, die ihr Unglück mit Laune und sogenanntem Humor bekämpfen wollen, kennenzulernen. Da wir das Unglück nicht kennen, brauchen wir allerdings keinen Humor. Aber ich kann nicht bestreiten, daß ich mich für den erdmännischen Humor interessiere; ich bin neugierig, ob der auf Erden siegen wird - und darum würde ich gern für Knépparas Antrag stimmen.«

      »Es sieht mir nur«, sagt da langsam der Mafikâsu, »so wie Leichtsinn aus, wenn wir die Herstellung unseres großen Fernrohrs von dem Benehmen der Erdmänner abhängig machen, die doch dadurch, daß sie ihr Leben nur durch Vernichtung andrer Lebewesen erhalten, uns so fern stehen, daß ich nicht begreife, wie man die kleinen Revolutionen auf der Erdoberfläche mit der großen Revolution des Mondes in einen ideelichen Zusammenhang bringen kann.«

      Da werden sehr viele Ratsherren plötzlich rot, und der l.oso sagt eifrig: »Aber Mafikâsu! Hast Du denn ganz vergessen, daß Du vor nicht gar zu langer Zeit einen Antrag bei uns eingebracht hast, der dem des Knéppara verflucht ähnlich sieht?«

      »Und glaubst Du denn«, ruft nun Knéppara heftig, »daß die Art, in der die Kreaturen der Erde zu leben aufhören, für diese so furchtbar unpassend ist? Ich dächte, solange sich ein Stern noch nicht in beruhigtem Zustande befindet - solange kann ihm gar nicht daran liegen, daß seine Kreaturen leben bleiben. Und wissen wir denn, was es mit dem Sterben auf der Erde auf sich hat? Wir haben nur die Bilder davon, die unser Auge uns gibt. Sprechen wir doch nicht zu viel über die ›niedrige‹ Stufe des Sterns Erde! Vielleicht steht der Stern Erde unter den astralen Lebewesen viel höher als der Stern Mond; denn was auf der Oberfläche der Erde vor sich geht, könnte doch für den Kern gar nicht maßgebend sein; es fragt sich sehr, ob ein Stern auch von den Würmern, die auf seiner Oberfläche herumkrabbeln, ein vollkommenes Dasein verlangen muß; von astraler Moral haben wir doch keine Vorstellung. Es ist doch möglich, daß jemand nicht viel auf die Vollkommenheit seiner Haut gibt - wenn er sich innerlich vollkommen fühlt. Wir Mondleute müssen doch auch sagen, daß unsre faltenreiche haarlose Haut nicht eine vollkommene Sache ist; es ist doch schon etwas Unvollkommenes, wenn man, wie bei uns, aus dem Aussehen der Haut sofort auf das Innere schließen kann - so daß niemand seine Empfindungen zu verbergen vermag.«

      Da lachten alle Mondleute.

      Und ihre Falten im Gesichte flimmerten, als wären sie aus gummiartigem Opal. Und die blauen Augen der Mondleute leuchteten, und ihre Fühlhörner zitterten auf ihren Köpfen.

      Dann aber sagte Mafikâsu leise:

      »Wenn nach fünfzig Jahren nicht drei Staaten auf der Erde, die augenblicklich noch die allgemeine Wehrpflicht in den sogenannten europäischen Uniformskostümen anerkennen, diese allgemeine Wehrpflicht in ihren drei Staaten abgeschafft haben - so könnten die Bohrarbeiten auf dem Monde beginnen. Möchte Knéppara seinen Antrag nicht in diesem Wortlaute formulieren?«

      Es wurde wieder mäuschenstill in der Ratshalle, so daß man nicht das Atmen hörte.

      Auch die Völkerscharen, die an den Wänden aus Bergkrystall und oben im Trichter und auf der Außenseite des Kraters versammelt waren, sprachen kein Wort.

      Die telegraphischen Tafeln waren überall so angebracht, daß die Reden, die die Ratsherren auf ihren Amethystsäulen hielten, überall sofort verständlich wurden; die Apparate machten ohne weiteres aus allen Worten auf den telegraphischen Tafeln große Schriftzeichen, die jeder Mondmann leicht mit seinem Fernglas lesen konnte; die Farbe der Ratsherren war auf den Tafeln unten in Punkten sichtbar.

      Lange Zeit währte die Ruhe im Ratskrater.

      Die hundert Ratsherren zitterten nicht mit den Fühlhör nern, blickten auch nicht mit den Augen nach rechts und nach links, sie blickten vor sich runter in die tiefe Tiefe; die Herren dachten eifrig über das Gesagte nach.

      Und nach anderthalb Stunden sagte Knéppara leise: »Ja!«

      Da atmeten die Ratsherren ganz tief auf - so daß ein kleiner Wirbelwind im Krater entstand.

      Und dann sagte Loso leise: »Wir wollen abstimmen.«

      Und alle hundert Ratsherren waren in den nächsten fünf Minuten rot; sie warens nicht auf einmal geworden - aber sie wurdens doch nach und nach sämtlich.

      Und ein unbeschreiblicher Jubel durchbrauste den großen Ratskrater, daß die schlanken Amethystsäulen bebten.

      Nun ward es wieder ruhiger auf der bemoosten Seite des Mondgestirns, und die lauten heftigen Reden der Mondleute verstummten allmählich.

      Von den Blitzblumen war nicht mehr die leiseste Spur zu bemerken, sie kamen wie der Blitz und verschwanden auch so.

      Die fünfzig Tonnenwagen wurden wieder ins Innere des Mondes gebracht und in der Nähe der Fabrikgrotten aufbewahrt; die Wagen sollten eigentlich verbessert werden, gerieten aber bald in Vergessenheit.

      Nach all der großen Erregung kam jetzt eine Zeit der Abspannung.

      Und es wurden sehr viele Mondleute müde.

      Und der Pflastermann hatte mit seinen Gehilfen viel zu tun.

      Und die hohen violetten Hallen der Todesgrotten bevölkerten sich immer mehr und mehr.

      Oben an den Kratern wurde jetzt die Erde mit größtem Eifer beobachtet, und die Museen, in denen sich die Photographien der Erdbilder befanden, wurden überall durch Inanspruchnahme andrer Grotten erweitert.

      Und bei dieser Erweiterung wurde viel Glas von der Jenseitsseite des Mondes geholt; in den Fabrikgrotten hatten die Erdfreunde zu diesem Zwecke eine kolossale Maschine hergestellt.

      Der Pflastermann wunderte sich über die große Arbeit, die diese Maschine verursacht hatte und sagte mal zum Loso, dem großen Glasfreunde:

      »Ist es nicht verwunderlich, daß die Erdfreunde so viel Scharfsinn und so viel Arbeit aufwenden, bloß um ja nicht die alte Erde aus dem Auge zu lassen? Und ist es andrerseits nicht wieder verwunderlich, daß sie der Arbeit, die das große Fern rohr verlangt, so ängstlich aus dem Wege zu gehen trachten ? Wie reimt sich das?«

      »Lieber Pflastermann«, versetzte da der Loso, «die Geschichte nimmst Du nicht so ganz richtig. Die Erdfreunde gehen den großen Arbeiten durchaus nicht aus dem Wege. Wer das Gegenteil behauptet, kennt uns nicht. Bedenke mal bloß, was das für Mühe gekostet hat, die einzelnen Sprachen der Erdvölker zu entziffern! Das war keine kleine Arbeit - wahrhaftig nicht! Und sie ist noch lange nicht abgeschlossen. Was den Knéppara und mich veranlaßt, soviel gegen das große Fernrohr zu reden - das ist doch nicht Arbeitsscheu. Wir wollen bloß nicht in unsren Arbeiten, die noch viele Lücken aufweisen, gestört werden. Schließlich hoffen wir, in den fünfzig Jahren, die wir Vorsprung gewonnen haben, so viel zusammenzubringen, daß wir uns ein bißchen verschnaufen können. Die Erdfreunde arbeiten heute mehr denn je. Es sieht uns eben so aus, als ob jetzt auf der Erde jeden Tag Wunder passieren könnten. « »Hm!« sagte da der Pflastermann »auf dem Monde siehts mir jetzt auch so aus, als ob alle Tage Wunder passieren könnten.«

      »Wie«, fragte Loso, »meinst Du das? Ich dächte, es wären jetzt bald genug Wunder bei uns passiert. Mafikâsus Erfolge - der Lanzen-Nebel