Название | Gesammelte Science-Fiction & Dystopie Romane (12 Titel in einem Band) |
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Автор произведения | Paul Scheerbart |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788075836403 |
Doch der Knéppara fuhr fort:
»Es ist nicht unsre Aufgabe, über Dinge, die auf andern Sternen vorgehen, unser Mißfallen oder unser Frohlocken zu äußern. Und ich verstehe nicht, wie ein Mondmann, der doch der Welt gegenüber immer nur unbeteiligter Zuschauer bleibt, eine derartige Bemerkung machen kann.«
»Ein Erdmann sprach wohl aus ihm!« rief da eine Stimme aus dem Hintergrunde.
Es trat eine Pause ein. Knéppara trommelte nervös auf seinem Ballonbauch, und ein paar Weltfreunde baten, den Redner doch nicht mehr zu unterbrechen.
Und da sagte dieser leise und eindringlich:
»Da nun aber auf der Glasseite des Mondes gar keine Luft ist und dort auch keine Erde die Meteore ablenkt, so muß doch die natürliche Linse, die für das große Teleskop benutzt werden soll, mit Meteoren einfach gespickt sein.«
Nun - diese Bemerkung zog. Und die Freunde des großen Teleskops wußten lange nicht, was sie sagen sollten.
Wohl meinten einige, daß die Existenz der natürlichen Linse ja noch gar nicht bewiesen sei. Und andere behaupteten, das große Fernrohr ließe sich auch, ohne die Naturlinse zu beachten, mit einer Kunstlinse herstellen, da ja Glas in genügender Menge vorhanden sei.
Aber die Verstimmung blieb, denn die Gefährlichkeit der Meteore erschien allen als nicht zu leugnende Tatsache.
Dieser Knéppara war ein zu verachtender Gegner in keinem Fall.
Doch da ergriff zur rechten Zeit wieder der große Zikáll das Wort und äußerte sich in einer Drucksache folgendermaßen:
Die Bewegungen der meisten Meteore, die in unserem Sonnensysteme herumschwirren, schließen sich im großen und ganzen den Bewegungen der Planeten und Monde an und umkreisen mit diesen - wenn auch in komplizierteren Kurven - unsre Sonne so gut wie wir. Und das hat zur Folge, daß alle Meteore nicht in senkrechten, sondern nur in sehr schragen Linien auf die größeren Sterne und Monde fallen. Nun ist aber ohne Frage die natürliche Linse, die wir inmitten der Glasgefilde vermuten, ziemlich tiefliegend - und vielleicht nicht allzufern von den Todesgrotten. Was will denn da der Knéppara? Die Linse ist doch durch die höheren Gebirge, von denen sie kraterartig auf allen Seiten umgeben ist, genü gend geschützt. Wir müssen doch annehmen, daß diese Ge birge, die die Spiegelfläche der Linse umschließen, diese Linse viele Meilen hoch überragen. Ja - es ist nicht unwahrschein lich, daß sich d ie Linse in einem Loche befindet, das mehr als hundert Meilen tief ist. Wir sind durchaus nicht berechtigt, anzunehmen, daß die Meteore der großen Linse gefährlich geworden seien; alle Kreaturen - und auch die Sterne - pfle gen ihre empfindlichen Organe an geschützten Stellen zu ha ben. Vergessen wir nicht, wie gut unsre Augen geschützt sind. Unsre Fühlhörner sind so empfind lich, daß wir jedem Meteor aus dem Wege gehen müssen - und da sollte der große Mond Organe haben, die jeder dumme Meteor zertrümmern kann? Das ist doch wohl nicht anzunehmen.
Die Mondvölker atmeten auf nach dieser Rede.
Und es dauerte nicht lange, so wurde auf Beschluß aller cine große Ratssitzung anberaumt, in der endlich über das Schicksal der großen Bohrarbeiten endgültig beraten werden sollte.
Um dem Knéppara nicht Zeit zu lassen, weitere störende Bemerkungen zu machen, hielten es die Weltfreunde für gut, die Ratssitzung womöglich sofort abzuhalten.
Und das ging auch.
Und dann saßen die hundert Ratsherren wieder auf ihren Amethystsäulen und dachten nach über ihr zukünftiges Leben.
Und an den Wänden aus Bergkrystall lagerten die Völker des Mondes in großen Scharen.
Und da nicht alle in der Ratsgrotte Platz hatten, so ließen sich auch viele oben und auf dem Rande des Kraters nieder. Und auch die äußeren Seiten des Kraters wurden dicht besetzt.
Und alle diese Volksmassen, in denen alle Nationalitäten vertreten waren, saßen mäuschenstille da, so daß man kaum ihr Atmen hörte.
Und neunundneunzig Ratsherren sahen schweigend und erwartungsvoll den großen Herrn Knéppara an.
Und nach einem langen Schweigen sprach der Knéppara also:
»Die Erdmänner haben für uns eine außerordentliche Bedeutung gewonnen. Es ist mir und meinen Freunden verdacht worden, daß wir uns mit so viel Eifer um die Erdmänner kümmern, obschon wir wissen, daß sie niedrigstehende, beklagenswerte Geschöpfe sind, die einer Entwicklungsstufe angehören, die wir auf dem Monde so lange hinter uns haben, daß wir uns ihrer gar nicht mehr zu erinnern vermögen, obschon wir an schlechtem Gedächtnis wahrlich nicht leiden. Es wird namentlich mir persönlich vorgeworfen, daß ich mich von dem ekelhaften Auf- und Ableben der Erdkreaturen nicht unangenehm berührt fühle. Nun möchte ich bitten, die Objektivität des Zuschauers nicht für Urteilslosigkeit zu halten - und auch nicht mit Unempfindlichkeit zu identificieren. So was mutete doch sonst ein Mondmann dem andern nicht zu. Ich gestehe, daß mich das ganze Leben der Erdmänner in all seiner viehisch fressenden Rohheit ebenso abstößt, wie es jeden Weltfreund abstößt. Andrerseits bin ich aber doch der Uberzeugung, daß selbst unter so niedrigstehenden Kreaturen bereits einzelne sein können, deren Gesellschaft uns vielleicht nicht so furchtbar unangenehm sein würde. Und diese paar besseren Erdleute, deren Zahl naturgemäß sehr winzig ist, veranlassen mich, die Sache der Erdfreunde nochmals zu verteidigen. Ich weiß, es wird mir der Kampf wahrlich nicht leicht gemacht. Ich strebe auch nicht mehr danach, als ein Sieger aus diesem Kampfe hervorzugehen. Ich will nur retten, was noch zu retten ist. Unter den neuesten photographischen Aufnahmen, die uns von wolkenlosen Stellen der Erde so genaue Bilder geben, daß wir auf ihnen Bücher zu lesen vermögen, fand ich auch ein paar Druckseiten - auf denen wörtlich das Folgende stand:
Wir können auf der Erde nur dann erträgliche Zustände haben, wenn wir den für unsre Kultur blamablen Militarismus zerbrechen. Das ist aber nur möglich, wenn wir eine im großen Stile veranstaltete Agitation arrangieren, die eine an Ekel streifende Abneigung gegen alles Soldatenwesen erzeugt. Diese Agitation muß mit allen Mitteln - und besonders durch rücksichtslosen Spott - die Abneigung der Volksmassen gegen alles Soldatenwesen großziehen. Es muß so weit kommen, daß man im Soldaten die Wurzel alles irdischen Ubels sieht. Es muß zum guten Tone gehören, vom Soldaten mit derselben Entrüstung zu sprechen, mit der man bislang vom gemeinen Raubmörder sprach. Um diese Stimmung zu erzeugen, ist zunächst die gesamte Tagespresse, das gesamte Schulwesen und auch das Bekleidungswesen in diesem Sinne zu beeinflussen. Man muß die Tageszeitungen, die ohne lebhaftes Bedauern, dem sich gelegentlich Worte des Abscheus beizumischen haben, von Militär- und Kriegsangelegenheiten sprechen, bekämpfen und isolieren durch Bevorzugung der Tageszeitungen, die tagtäglich gegen die stehenden lleere zu Felde ziehen; würde es gelingen, die Halfte der Tagespresse zu überzeugten Gegnern des Militarismus zu machen, so hätte die Friedenspartei leichte Arbeit. Andrerseits ist aber nicht zu vergessen, daß bereits das Schulwesen durch regulä res Umgehen und Übergehen aller kriegerischen und militaristischen Dinge ganz Außerordentliches leisten könnte; hier könnte die Geistlichkeit das erste Wort sprechen. Den Künst lern jedoch fällt die Aufgabe zu, durch Verspottung aller Uni formgeschichten den Geschmack im Bekleidungswesen derart zu fördern, daß es jedermann für ungebildet ansehen muß, wenn er sich so kleidet wie sein lieber Nachbar; dann wird jede Uniform bald wie eine Karikatur wirken und Lachreiz erwecken. Ist erst die allgemeine Stimmung energisch gegen alles Soldatentum aufgebracht - so werden die Regierungen der einzelnen Staaten sehr bald gezwungen sein, sich so weit zu einigen, daß dem Willen der Völker Rechnung getragen werden kann. Man vergesse nicht, was ein einziger Mann vermag, der über die Waffen eines allzeit schlagfertigen Spottes verfügt. Und diese Waffen des Spottes müssen den Völkern in die Hand gedrückt werden. Spöttisch lachende Völker werden unwiderstehlich sein.
Hiermit schließt der erdmännische Autor noch nicht ab - er gibt noch manchen Fingerzeig über den Spottkampf im allgemeinen und deckt einzelne Stellen auf, in denen sich der Spott leicht festbeißen kann. Aber aus dem, was ich vorlas, werden die Mondvölker entnehmen, daß es doch einzelnen Erdmännern sehr wohl darum zu tun ist, die ekelhaften Zustände im Erdendasein ein wenig zu