Название | Das Erbe des Professors Pirello |
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Автор произведения | Arno Alexander |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788711626085 |
„Exakt“, sagte Riquet.
Fauve sprach weiter: „Jetzt hat Professor Riquet entdeckt, daß der Ministerialrat de Saint-Roch an einem so schnell fortschreitenden Krebs gestorben sein muß, wie man ihn sonst niemals beobachten kann. Eine so rasche Entwicklung kennen wir nur dann, wenn sie durch den Stoff ausgelöst wird, den Pirello entdeckt hat und an dem er selbst gestorben ist. Aber dieser Stoff kommt nirgends in der Natur vor, auch in keinem Nahrungsmittel, sei es natürlich oder künstlich.“
Siloque sagte: „Aha! Und wie heißt das Zeug?“
Dr. Fauve fuhr aufgebracht zur Seite: „Dieser Name ist eine der gefährlichsten Formeln, die es gibt. Glauben Sie, daß ich sie hier preisgebe, nachdem wir sie sieben Jahre lang aller Welt verschwiegen haben? Außerdem würden Sie nichts davon verstehen, denn diese Formel ist drei Zeilen lang!“
Siloque nickte ruhig. „Also sicher doch ein Anilin-Derivat“, sagte er schlicht.
Fauve mußte plötzlich lachen. Vielleicht half die Unerschütterlichkeit dieses Kommissars dazu, die überheizte Atmosphäre etwas zu entspannen. Gelöster lehnte er sich zurück: „Vor etwa einem Vierteljahr, genau am 21. Januar vormittags, fand ich in meiner Praxis, auf meinem Schreibtisch, in meinem Rezeptblock zu meiner Überraschung eine Theaterkarte. Eine Karte für einen Parkettplatz in der Opera. Es wurde an dem Abend ‚Les Indes Galantes‘ von Rameaux gegeben. Ich hätte glauben können, eine mir geneigte Patientin hätte mir die Karte dorthin geschmuggelt, als heimliche Einladung. Aber auf dem Rezeptblock stand ein dorthin geschriebenes Wort. Das Wort: Pirello.“
Jetzt war es der Rechtsanwalt, der zustimmend nickte. Professor Riquet richtete sich erstaunt aus seiner versunkenen Stellung auf. Siloque schien diesmal nichts gehört zu haben und kaute still vor sich hin.
„Das Erstaunliche war“, sagte Fauve, „dieses Wort Pirello war in meiner Handschrift dorthin geschrieben. Es war eine verblüffende Nachahmung meiner Handschrift. Besser gesagt: es war meine Handschrift selbst, wie ich Rezepte zu schreiben pflege. Die Ähnlichkeit war so unglaublich, daß ich einige Minuten im Zweifel gewesen bin, ob ich selbst in einer Art von Bewußtseinsspaltung dieses Wort dorthin geschrieben hatte. Aber es ließ sich sonnenklar feststellen, daß keine Bewußtseinsspaltung der Welt mir zu der Opernkarte verholfen hätte. Ich hatte einfach keine Zeit dazu gehabt, sie mir zu besorgen.“
Fauve hatte sich in eine steigende Erregung hineingesprochen. Je schneller und heftiger er redete, um so heiserer wurde er auch, aber beides zusammen gab einen sehr eindrucksstarken Effekt. Riquet konnte sich diesem Eindruck nicht entziehen. Der Herr Professor hörte offenen Mundes zu wie ein Dorfschüler. Als Fauve schwieg, ertappte er sich und sah um sich. Lieuwe starrte auf seine Lackschuhspitzen, Siloque kaute gelangweilt vor sich hin. Riquet schämte sich ein wenig. Zugleich wurde eine Verwunderung in ihm wach, die schon mit einer Prise Mißtrauen versetzt war: warum wunderten diese beiden sich eigentlich nicht, wenn sie eine derart unglaubliche Geschichte hörten? Die Erklärung bekam er sogleich, zumindest, was den Rechtsanwalt betraf.
„Ich fand für das Ganze keine Erklärung“, sagte Fauve, „höchstens eine Theorie. Wenn Sie, Herr Kommissar ...“ — er machte eine lächelnde Verbeugung zur Seite — „... einem Laien eine Theorie erlauben wollen. Ich dachte mir in meinem einfältigen Kopf: Jemand will dir hier das Geheimnis des Professors Pirello entreißen. Irgend jemand, der davon eine schwache Ahnung hat und es genau wissen will, um damit ein Verbrechen zu begehen; denn, bitte sehr, wozu sonst? Um mich zu erpressen, oder um mir eine Erpressung anzukündigen, zeigt er mir, daß er meine Rezeptschrift meisterhaft nachahmen kann. Damit kann er mich als Arzt in die größte Gefahr bringen, zum Beispiel durch nachgeahmte Rauschgiftrezepte. Und der mir zugewiesene Platz in der Oper sollte der Treffpunkt sein.“
„Und was geschah?“ fragte Riquet atemlos.
„Gar nichts“, sagte Fauve. „Die ganze Sache klingt so unglaublich, daß ich sie selbst nicht glauben würde. Aber ich bin am selben Tag hierher zu Monsieur Lieuwe gegangen und habe den Rezeptzettel mit dem Wort Pirello bei ihm hinterlegt. Monsieur Lieuwe wird so liebenswürdig sein, ihn nachher zu zeigen. Und am nächsten Morgen habe ich die gebrauchte Opernkarte ebenfalls hier hinterlegt.“
„Also Sie waren da?“ stieß Riquet heraus.
„Ja, ich war dort und setzte mich auf meinen Platz. Und ich hatte Monsieur Lieuwe gebeten, sich im Rang eine Karte zu nehmen und mit einem scharfen Feldstecher auf mich und meine Nachbarn herunter zu äugen.“
„So ist es“, sagte Lieuwe. „Nachdem mir Doktor Fauve diese Schauermär berichtet hatte, habe ich zunächst das Ganze zu Protokoll gebracht und von meinen Kollegen Fierres und Coss beglaubigen lassen. Sie mögen das für eine übertriebene Vorsicht halten, aber jetzt ist es vielleicht ganz angenehm. Dann bin ich ins Theater gegangen. Von den ‚Indes Galantes‘ habe ich nicht viel gesehen, und von Monsieur Fauve auch nicht, obwohl ich ihn durch mein Jagdglas angestarrt habe, bis mir die Augäpfel eintrockneten. Links von ihm saß ...“
„Moment!“ ließ sich plötzlich Kommissar Siloque vernehmen. „Zunächst interessiert nur: Sie wurden nicht angesprochen, Monsieur Fauve?“
„Nein“, sagte Fauve.
„Nicht daß ich wüßte“, ergänzte Lieuwe.
„Und in den Pausen? Und überhaupt?“
„Es hat sich nichts abgespielt. Gar nichts“, erklärte Fauve. Und Rechtsanwalt Lieuwe schüttelte den Kopf: „Ich habe ihn natürlich auch in den Pausen und hinterher nicht aus den Augen gelassen.“
„Ich denke mir“, flocht Fauve ein, „die Burschen haben trotz aller Vorsicht gesehen, daß ich mir Rückendeckung verschafft hatte, und haben die Finger von der Sache gelassen. Ich war darüber sogar stolz und wertete es als klaren Abwehrsieg für mich.“
„Und dann?“ fragte Siloque.
„Dann? — Nichts. Seither habe ich nichts weiter davon gehört. Ich hatte die Sache schon vergessen. Bis gestern. Da lebte sie in mir auf. Aus Gründen, die Sie sich jetzt selbst zusammenreimen können.“
Man hörte deutlich das leise Knistern in einer der Kerzenflammen. Jeder der Herren schien auf eigene Rechnung bemüht, die Stille zu überbrücken und nicht als erster zu sprechen. Die Folgerungen aus Fauves Erzählungen waren zwar klar, aber ungeheuerlich. Lieuwe ergriff wortlos eine kleine Messingschere und begann, die Kerzen zu putzen. Fauve tötete den Rest seiner Zigarette und nahm sofort eine neue aus dem geschnitzten Kästchen, das auf dem Tisch stand. Siloque brachte eine keulenförmige Tabakspfeife zum Vorschein und fing an, sie gedankenverloren aus einer verbeulten Blechschachtel zu stopfen. Nur Riquet blickte vor sich auf den Boden. Sein Ausdruck verriet angestrengtes Nachdenken.
„Sie können alle Dokumente jederzeit einsehen“, sagte Lieuwe endlich.
„Alle?“ fragte Siloque. „Noch mehr Dokumente?“
„Erlauben Sie —“ unterbrach Riquet. Er hob den Kopf und gleichzeitig eine Hand. Seine Sätze kamen jetzt so akzentuiert und klar, als setze er seinen Studenten einen Lehrsatz auseinander. „Ich halte es für richtig, wenn wir deutlich ausdrücken, um was es sich handelt.“ Wenn das wirklich seine Absicht war, so zeigte der Professor erstaunliche Kühnheit, denn schließlich betraf die Angelegenheit ihn am meisten: Er sagte: „Saint-Roch ist an einer ungewöhnlich rapiden Art von Krebs verstorben. Nach unserer Kenntnis kommt dieser galoppierende Krebs nur zustande, wenn Saint-Roch den von Pirello entdeckten Stoff aufgenommen hat. Es ist aber beinahe unvorstellbar, daß er diesen seltenen Stoff durch einen Zufall aufgenommen hat. Folglich müßte er ihm absichtlich beigebracht worden sein. Das würde aber Mord bedeuten. — Folgen Sie mir?“
„Hm!“ brummte Fauve und nickte. Riquet fuhr sogleich fort: „Nach unserer Kenntnis ist diese Substanz aber nur Doktor Fauve und mir bekannt. Ein etwaiger Mordverdacht fällt in erster Linie auf uns beide.“
Riquet sah triumphierend von einem zum andern, als sei ihm