Das Erbe des Professors Pirello. Arno Alexander

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Название Das Erbe des Professors Pirello
Автор произведения Arno Alexander
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788711626085



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vorgegangen, über die sie kein Wort zu verlieren brauchten.

      Plötzlich sprang Fauve auf und lief im Zimmer hin und her. Und wie um die Wiederholung der Ereignisse zu vervollständigen, wiederholte Riquet die Frage, die er seinem Assistenten gestellt hatte: „Haben Sie das schon einmal gesehen?“

      Fauve blieb stehen. „Warum fragen Sie?“ sagte er. „Wollen Sie mich fragen, ob ich den Test auf Pirellos Injektion noch beherrsche?“

      Riquet schwieg. Er saß steif, als hätte er ein Rückgrat van Gußeisen. Fauve lief quer durch das Zimmer und blieb vor ihm stehen. „Von wem ist das Gewebestück?“

      „Von Monsieur de Saint-Roch“, sagte Riquet kalt.

      „Mann! Wissen Sie, was das bedeutet?“ Abermals schoß Jules Fauve davon.

      Riquets Lippen öffneten sich nur um einen Spalt. Dann sagte er: „Warum fragen Sie?“

      „Sie meinen“, sprach Fauve mühsam beherrscht von der Tür her, „wir sollten die Exhumierung des Ministerialrates beantragen. Denn anders ist der Test nicht durchzuführen.“

      Riquet zog stumm die Schultern hoch.

      Allmählich schien Fauve seine Erregung zu meistern. Er setzte sich wieder, trank seinen Whisky aus, schenkte sich ein neues Glas ein und stürzte es hinterdrein. „Wie sind Sie eigentlich darauf gekommen?“

      „Der Patient kam viel zu spät zu uns. Eigentlich hätte er drei Monate früher Schmerzen haben müssen. Mir fiel das zwar auf, aber schließlich stirbt heute jeder sechste Franzose an Krebs, und was wir darüber wissen, ist herzlich wenig. Einer meiner Assistenten hat sich dafür interessiert und den Fall beobachtet. Kurz und gut: ich habe Tausende von Fällen gesehen. Aber eine so sprunghafte Entwicklung der Geschwulst kenne ich nur durch — Pirello. Haben Sie Ihre Aufzeichnungen von damals noch?“

      Fauve fuhr handbreit auf seinem Stuhl in die Höhe. „Natürlich nicht: Ich habe sie genauso vernichtet wie Sie! Das wissen Sie! Und niemand außer Ihnen und mir —“

      „Niemand? Wirklich?“ fragte Riquet.

      Ein Schweigen trat ein, das wohl eine Minute dauerte. In dieser Minute ging eine sonderbare Veränderung mit Fauve vor. Sein Gesicht wurde hart, starr. Man hätte sagen können, daß er plötzlich Riquet ähnlicher wurde. Nach einer Minute sagte er: „Könnten Sie sich morgen nachmittag eine Stunde Zeit nehmen?“

      Jetzt war es der Professor, der verwundert den Kopf hob. „Ja — und?“

      „Es ist da eine sehr merkwürdige Geschichte. Eine überaus merkwürdige Geschichte“, sagte Fauve dunkel. „Sie liegt ein Vierteljahr zurück. Ob sie mit diesem Fall etwas zu tun hat, weiß ich nicht. Aber auf jeden Fall hat sie etwas mit Professor Pirello zu tun. Die Sache ist so ernst, daß ich sie Ihnen jetzt und hier nicht schildern kann. Ich möchte das morgen tun. Aber im Beisein eines Rechtsanwaltes. Oder noch besser eines Kriminalbeamten. Oder am allerbesten gleich beider.“

      „Was sagen Sie da?“ Professor Riquet beugte sich in maßlosem Erstaunen etwas vor und starrte seinem Gegenüber ins Gesicht.

      Aber Dr. Fauve schien sein volles Gleichgewicht wiedergefunden zu haben. Nur wirkte er jetzt bedeutend sachlicher und betonter als sonst. Er zündete sich eine Zigarette an. Dann nickte er.

      „Ja. Wenn Sie diese sonderbare Geschichte morgen hören, werden Sie mich verstehen. Es muß nicht zu meinem Schutz so sein, sondern vielleicht ebenso zu Ihrem Schutz. Vielleicht sogar mindestens ebenso zu Ihrem Schutz. Das hat nicht das Geringste mit einem mangelnden Vertrauen Ihnen gegenüber zu tun. Sie werden das morgen sofort sehen. Ich kann Sie bis dahin nur bitten, mir zu glauben.“

      „Ich habe nicht den geringsten Anlaß, Ihnen nicht zu glauben“, sagte Riquet, und es klang, wahrscheinlich unbewußt, etwas frostig. Er stand auf. „Wollen Sie mich bitte Zeit und Ort wissen lassen?“

      2. Kapitel

      Die Zeit war 17 Uhr 30 des nächsten Tages, der Ort das Büro des Rechtsanwaltes Lieuwe, nicht sehr weit von der Praxis Fauves in der Rue St. Honoré. Diese Nähe der beiden Niederlassungen war nicht ganz ohne Beziehung, denn Lieuwe war, ähnlich wie Fauve, ein Mann, dessen Kunden größtenteils zur gutzahlenden und zugleich kapricenhaften Gesellschaftsschicht von Paris zählten. Schon deshalb mußten sie beide ihre Räume in diesem Viertel haben.

      Die Räume des Rechtsanwaltes erfüllten jeden, der sie betrat, mit Wohlgefühl und Bewunderung. Sie waren allesamt mit alten Möbeln vollkommen stilrein eingerichtet. Und was hier nicht echt war, war jedenfalls hervorragend imitiert und deshalb kaum billiger. Lieuwe selbst paßte hierher mit seiner Silbermähne und seinen gepflegten Händen mit dem Siegelring, den er nach altertümlicher Sitte auf dem rechten Zeigefinger trug, als hätte er alle fünf Minuten damit wirklich ein Staatsdokument zu siegeln.

      Das viktorianische Zimmer, in dem er sie empfing, erreichte den Höhepunkt der Stilreinheit dadurch, daß hier kein elektrisches Licht brannte, sondern ein Dutzend Kerzen auf silbernen Leuchtern. Auch Riquet und Fauve paßten hierher — sogar Fauve, der sich zu diesem Anlaß in einen dunklen Anzug geworfen und nicht einmal einen Strohhut mitgebracht hatte. Auch der Portwein paßte hierher, ein verhalten-feuriger Portwein von samtenem Bernsteinbraun, und die Gläser dazu waren garantiert viktorianisch nachgemacht.

      Das einzige unpassende Zubehörteil dieser illustren Versammlung war der Kommissar Siloque. Er war auch der einzige, der keineswegs „Ah!“ sagte, als er in das kerzenerleuchtete Zimmer trat, sondern nur ein ungeduldiges Grunzen hören ließ. Er steckte in einem ausgebeutelten Anzug, den man höchstens anziehen konnte, wenn man im Garten die Radieschen umgrub. Dafür war er auch in Marokko geboren. Nun konnte man zwar darauf schwören, in ihm einen blutreinen Franzosen zu sehen, denn wie wäre er sonst Kommissar bei der Pariser Sûreté geworden. Aber wenn man über dem großen, schlaksigen Mann dieses Gesicht sah, dieses knochige, magere, gelbe, narbige Gesicht, dann mußte man doch schon großes Vertrauen in die Sûreté haben. Jetzt ließ er sich plumpsend in einen Sessel fallen und murmelte: „Et alors?“ Was soviel bedeutet wie: „Na und?“ Dazu schlug er ein Bein über das andere und wippte mit dem freien Bein einen nervösen Takt. Mit Grauen sahen die drei Herren, daß Siloque einen Kaugummi auspackte und in den Mund schob.

      Die Vorreden dauerten eine Weile. Lieuwe betonte, daß ihm diese Umgebung angemessen erschienen sei für ein so diskretes Gespräch. Riquet und Fauve erklärten ihre Bewunderung für den Portwein. Siloque sagte dazu: „Tadellos! Haben Sie vielleicht eine Flasche Bier?“ Lieuwe läutete bestürzt, und ein Mädchen brachte Bier. Lieuwe erklärte den beiden Ärzten, Kommissar Siloque sei trotz seiner Eigenwilligkeit der einzige Kriminalist, dem man Diskretion zutrauen dürfe. Zu dieser Erläuterung grinste Siloque und entblößte dazu ein furchterregendes Raubtiergebiß.

      Endlich räusperte sich Fauve. „Sie wissen, daß Professor Pirello einer unserer bedeutendsten Krebsforscher war. Professor Riquet und ich waren seine langjährigen und letzten Assistenten. Pirello starb an Krebs. Nicht ganz zufällig. Er hatte eine ungeheuerliche Entdeckung gemacht. Der fiel er zum Opfer.“ Fauve räusperte sich. Siloque murmelte: „Haben Sie vielleicht noch eine Flasche Bier?“

      Sie ertrugen die Störung mit Anstand. Fauve fuhr fort: „Es gibt zahlreiche Stoffe, denen man eine krebserregende Wirkung nachsagt. Mit mehr oder weniger Berechtigung. Pirello hatte einen Stoff gefunden, der eine bestimmte Form des Magenkrebses ganz zweifellos auslöst und unheimlich schnell zur Entwicklung bringt. Bei den Experimenten damit erkrankte er selbst.“

      Seiner Wirkung sicher, blickte Dr. Fauve die anderen der Reihe nach an. Riquet nickte gedankenverloren. Lieuwe fuhr durch seine Silbermähne. Siloque sagte: „Wie heißt das Zeug? War es ein Anilin-Derivat?“

      Erschüttert hoben Fauve und Riquet die Köpfe und starrten den Kriminalisten an. War das ein verkappter Arzt?

      „Oder Sodawasser?“ fragte Siloque lächelnd und bearbeitete seinen Kaugummi. Fauve hatte Mühe, seinen Faden wiederzufinden.

      „Unseres Wissens sind die einzigen, die von diesen Experimenten wußten, Professor Riquet und ich. Nach dem Tode