Im Schattenkasten. Arno Alexander

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Название Im Schattenkasten
Автор произведения Arno Alexander
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788711626016



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zu halten.

      „Wo sind die Fingernägel?“ fragte er streng.

      Sie wurde rot.

      „Wozu brauche ich Fingernägel?“ fragte sie mürrisch.

      Sie erwartete einen neuen Ausbruch seines Unwillens, aber sie hatte sich getäuscht.

      „Recht hast du, mein Täubchen“, sagte er sanft. „Wozu brauchst du Fingernägel?“ Er lachte polternd auf.

      An der Tür klopfte es. Tamara ging ins Vorhaus und kehrte gleich darauf in Begleitung der drei Männer wieder, die heute vormittag mit Flannagan Karten gespielt hatten. Sie nahmen schweigend ihre Mäntel ab und zeigten sich in ihren Fracks.

      Flannagan war aufgestanden und umschlich die drei wie ein Raubtier seine Beute.

      „Alle drei Fracks sind natürlich geliehen?“ fragte er stirnrunzelnd. Die Frage war eigentlich überflüssig, denn irgend etwas stimmte an allen diesen Fracks nicht. Dem einen der Männer war die Hose zu kurz, bei dem zweiten spannte sich die Weste so, daß sie jeden Augenblick zu platzen drohte, dem dritten vollends hing der Frack, der viel zu groß war, am Leibe wie an einer schlecht ausgestopften Vogelscheuche.

      „Nein“, widersprach gerade dieser dritte eifrig. „Dieser Frack ist mein Eigentum. Ich habe ihn von meinem Bruder geerbt. Mein Bruder war etwas stärker, aber ich habe die Hoffnung, es auch noch zu werden.“

      „Es ist gut“, sagte Flannagan kurz. „Nun noch einiges über die Unterhaltung. Ihr dürft nicht wie Stockfische stumm am Tische herumsitzen. Jeder muß seine Gelegenheit wahrnehmen, um zur allgemeinen Unterhaltung beizutragen. Los nun! Jeder sagt mir, worüber er in der Lage ist, sich am besten zu unterhalten. Ich werde dann das Gespräch so leiten, damit jeder zu seinem Teil kommt. Jim, was weißt du?“

      Jim bewegte verlegen seine Schultern.

      „Wie … wie meinst du das, lieber Dick?“ erkundigte er sich. „Ich soll ein bißchen was erzählen? Zum Beispiel über was denn?“

      Flannagan stampfte wütend mit dem Fuß auf und sah nach der Uhr.

      „Na, irgend was wirst du doch wissen. Was erzählst du denn sonst deinen Freunden?“

      Ein freudiges Lächeln erhellte die gewöhnlichen Züge Jims.

      „Mein Bruder hatte mal einen Prozeß über Leichenraub“, rief er hoffnungsvoll. „Er war unschuldig, aber es ist eine großartige Geschichte.“

      „Ausgezeichnet: Leichenraub!“ erklärte Flannagan. „Das ist ein sehr geeignetes Thema für ein Abendessen im Pennsylvania. Und du, Tom?“

      Tom war der junge Mann, dem die Hose nicht paßte. Er legte seine Stirn in ernste Falten und dachte nach.

      „Ick möchte wat zur Bildung mit beitragen“, sagte er in einem schauerlichen Englisch, denn er war erst kürzlich aus Italien eingewandert. „Mein Onkel hat mal bei ’nem Gastronom jearbeitet und hat ihm viel abjeguckt. Ick bin in der Lage, stundenlang über Sterne und so ’nen Quark zu erzählen.“

      „Ein sehr guter Gedanke“, lobte Flannagan. „Mr. Harrogate wird sich freuen, seine Bildung vervollständigen zu können. Und du, Hubert?“

      Hubert war sofort bei der Sache.

      „Vielleicht etwas über Mädchenhandel?“ rief er freudig und strahlte übers ganze Gesicht. „Ich denke, es muß auch etwas für die Damen dabei sein.“

      „Das hatte ich noch nicht überlegt“, stimmte Flannagan zu. Dann sah er Tamara zweifelnd an. „Du, Tamara? Na, vielleicht taut deine Zunge beim Wein von selbst auf. Aber leg’ dir ein Tuch um die Schultern, sonst lassen sie dich nicht ins Hotel. So, und jetzt los. Jim, geh voraus und pfeif ’ne Kutsche herbei.“

      Vor dem Weggehen tranken die Männer noch jeder ein mit Bier vermischtes Glas Spiritus, und nur Jim kam für seine Gutmütigkeit um diesen Genuß. Dann zogen alle ihre Mäntel an und begaben sich auf die Straße, wo Jim mit seinem Mietwagen schon auf sie wartete.

      „Und jetzt wollen wir mal richtig lustig sein!“ rief Flannagan aus. „Einen Abend wollen wir erleben, von dem wir alle noch unseren Enkelkindern erzählen werden. Mr. und Miß Harrogate sollen es nicht bereuen, unserer Einladung Folge geleistet zu haben.“

      „Nein, das sollen sie nicht!“ riefen die drei Männer fast einstimmig. Nur Tamara schwieg.

      VI.

      Bath sah sich vorsichtig um, bevor er das große, graue Haus betrat. Ja, es unterlag keinem Zweifel: Er wurde von den Leuten McGregors beobachtet und überwacht. Man war also sehr mißtrauisch geworden.

      Im zweiten Stock, vor einer Tür ohne Namensschild blieb Bath stehen. Er wußte, es war gefährlich, diese Wohnung zu betreten. Vielleicht war bei McGregor sein Tod schon beschlossene Sache? Wie konnte er das wissen? McGregor war sehr unberechenbar.

      Bath klopfte. Er schien sehr ruhig zu sein, als er dem öffnenden jungen Mann das Wort „Silberdollar“ zuraunte und auf dessen verständnisvolles Nicken hin schnell eintrat.

      „Dort, in das Zimmer“, sagte der Mann, der die Tür geöffnet hatte. „Sie sind Bath, nicht wahr? Sie sollen dort warten.“

      Der junge Inspektor betrat den kleinen, recht einfach ausgestatteten Raum. Er machte den Eindruck, als sei er ein billiges möbliertes Zimmer, aus dem man nur das Bett hinausgeschafft hatte. Dunkel war es hier auch, und Bath brannte sogleich das elektrische Licht an, denn er liebte nicht Dunkelheit in einem ihm unbekannten Hause.

      „’n Abend, lieber Bath!“ sagte eine Stimme an der Tür, und herein schob sich ein dicker, wohlbeleibter Mann von etwa vierzig Jahren.

      „Guten Abend, Mr. McGregor“, antwortete Bath höflich.

      Dieser dicke Mann war tatsächlich McGregor — derselbe McGregor, den sich die Zeitungsleser als verwegenen Burschen, groß, schlank und entschlossen vorstellten. Sie kannten nur seine Taten, und diese Taten waren nicht danach, in ihm den Wunsch zu erwecken, sein Lichtbild veröffentlicht zu sehen.

      „Tja, Mr. Bath“, sagte McGregor, und seine Stimme klang weich, ganz anders als am Fernsprecher. „Tja, ich muß Ihnen leider sagen, daß die kleine Veranstaltung aufgeschoben worden ist. Sie kann erst um zwei Uhr nachts stattfinden.“

      Bath schwieg und wartete auf nähere Erklärungen. Aufmerksam betrachtete er dieses fette Ungetüm, wie es sich ächzend auf einen der wackligen Stühle sinken ließ. Obwohl es sich bei den Erklärungen McGregors um Dinge handelte, die über Leben oder Sterben des Inspektors entschieden, war Bath im Augenblick am meisten darauf gespannt, ob der Stuhl zusammenbrechen würde oder nicht.

      „Ich glaube weder Ihnen noch Strong“, fuhr McGregor gemessen fort. Der Stuhl war nicht zusammengebrochen. „Dieser Zweikampf soll ein Gottesurteil sein, aber bilden Sie sich ja nicht ein, daß, wenn Gott Sie am Leben läßt. McGregor Ihnen dann glauben wird. Ich glaube Ihnen nur so weit, als ich weiß: Sie werden kaum etwas gegen mich wagen, solange Ihre werte Familie in New York ist. Sie hängen sehr an Ihrer Familie, nicht wahr?“

      „Ich glaube, ich bin in dieser Beziehung ein ganz normaler Mensch“, erwiderte Bath gefaßt.

      McGregor lächelte freundlich.

      „Es freut mich, das zu hören, lieber Bath. Und soweit ich unterrichtet bin, hat noch kein normaler Mensch eine Tat begangen, derzufolge seine ganze Familie ausgerottet — verstehen Sie: aus —ge —rot — tet! — wurde. — So! Also das wäre in Ordnung. Tja, um zwei Uhr … Tja … Da ist nämlich etwas dazwischen gekommen … Sagen Sie mal: Kennen Sie Flannagan?“

      „Den Detektiv?“

      „Ja, den meine ich.“

      „Nun, gehört habe ich sehr viel von ihm, persönlich kenne ich ihn aber noch nicht.“

      „Ein gefährlicher Mensch, nicht wahr?“

      Bath nickte.

      „Wenn