Gommer Winter. Kaspar Wolfensberger

Читать онлайн.
Название Gommer Winter
Автор произведения Kaspar Wolfensberger
Жанр Языкознание
Серия Ein Fall für Kauz
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783311702184



Скачать книгу

heute stand das in der Zeitung«, sagte er, zog ein Boulevardblatt hervor und legte es vor Kauz auf den Tisch.

      »Mysteriöser Tod auf der Loipe«, lautete die Schlagzeile.

      Kauz überflog den Text. Er war nicht besonders reißerisch, enthielt lediglich die von der Polizei freigegebenen Fakten und die ungefähren Fundorte der Leichen. Zwar war vom »Langlaufparadies Goms« und vom Gemeindegebiet von Reckingen die Rede, doch wurden weder das Sporthotel Galenblick noch die Langlaufschule Steffen erwähnt. Wenn sie aber einmal im Fokus stünden, meinte Carlo, und das sei sicherlich nur eine Frage der Zeit, würde sich das wohl kaum geschäftsfördernd auswirken. Das sei die Wirkung, die er gemeint habe.

      »Man kann natürlich sagen«, fuhr Carlo fort, »dass es pietätlos sei, sich angesichts solch menschlichen Leids über vorzeitige Abreisen und Stornierungen Gedanken zu machen.«

      Allerdings, dachte Kauz, aber er nickte bloß. Er staunte über Carlos geschliffene Worte. Seine Eloquenz hatte ihn schon gestern bei seiner Ansprache an die Kursteilnehmer überrascht.

      »Dennoch«, fuhr Carlo fort, und da Kauz nichts sagte, hielt er noch einmal inne. »Dennoch …«, wand er sich, »in beiden von uns keimte gestern fast gleichzeitig dieser Gedanke: Was, wenn unsere finanziellen Einbußen und, was schlimmer wäre, unser ramponierter Ruf gar nicht ein Kollateralschaden – entschuldige den Ausdruck – dieser Morde wären? Sondern das eigentliche Ziel?! Zumal …«

      Carlo hielt abermals inne und schaute Matteo an, als wolle er ihm das Wort übergeben.

      Starker Tobak!, dachte Kauz. Aber rundweg von sich weisen konnte er ihre Überlegungen nicht. Nur, wenn das der Verdacht der Steffen-Brüder war, dann ging es ihnen letztlich doch um die Aufklärung der Mordfälle. Wozu dann einen Privatdetektiv?

      »Zumal was?«

      »Nun«, erklärte Matteo, »es gab andere Aktionen gegen uns. Vermuten wir jedenfalls. Und da dachten wir, dass dahinter vielleicht ein und dieselbe Person steckt. Oder derselbe Personenkreis.«

      »Was für Aktionen?«

      »Bloß Ärgerlichkeiten. Aber mit einer gewissen Systematik. Und mit einem nicht unbeträchtlichen finanziellen Schaden.«

      »Ich höre.«

      »Du musst wissen, ich bin ein Freund der Bildenden Künste«, erklärte Matteo. »Gemälde, hauptsächlich. Aber auch Plastiken und Fotografien. Man könnte mich einen Sammler nennen. Aber ich schließe die Kunstwerke, die ich erwerbe – es sind wertvolle Stücke, aber sie gehören nicht ins alleroberste Preissegment«, lächelte er. »Also, ich schließe die Gemälde und Fotografien nicht in einen Tresor. Ich stelle sie aus. Ich hänge sie in meinem Hotel auf. Im Empfang, im Speisesaal, in den Korridoren und Gästezimmern.«

      »Gute Idee«, meinte Kauz. »Und? Wurden welche gestohlen?«

      »Nein, aber beschädigt.«

      »Beschädigt? Wie beschädigt?«

      Kauz war kein Sachverständiger, aber er sah vor seinem innern Auge Plastiken, die mit dem Hammer zertrümmert, und Bilder, die mit Farbe beschmiert, aufgeschlitzt oder angezündet worden waren.

      »Zerkratzt.«

      »Wie zerkratzt?«

      Augenblicklich hatte er wieder ein Bild vor Augen: zerkratzte Autokarosserien, Ferraris und Lamborghinis, an denen einer mit einem Schraubenzieher in der Hand vorbeispazierte und einen Schaden anrichtete, der in die Tausende ging.

      »Ganz fein zerkratzt, mit einer Stecknadel oder so«, sagte Matteo.

      »Das wäre dann aber kaum sichtbar«, wandte Kauz ein.

      »Das ist ja das Perfide. Es kann lange dauern, bis der Schaden entdeckt wird. Vielleicht erst, wenn das Bild den Besitzer wechselt, ausgeliehen wird oder aus anderen Gründen abgehängt und inspiziert wird. Aber der Schaden kann trotzdem beträchtlich sein. Ein solches Bild muss für viel Geld restauriert werden. Unter Umständen gilt es hernach als wertlos.«

      »Und die Folgen für dich?«

      »Als ich per Zufall an einem Gemälde den Kratzschaden entdeckte, untersuchte ich natürlich alle anderen. Mehr als die Hälfte meiner Bilder war beschädigt. Die Folge ist, dass ich in den Gästezimmern und in den oberen Korridoren keine mehr aufhänge. Nur noch in den öffentlichen Bereichen: Eingangsbereich, Speisesaal, Restaurant. Nur noch dort, wo Überwachungskameras stehen.«

      »Ihr habt Überwachungskameras installiert?«, staunte Kauz.

      »Im vergangenen Jahr eingerichtet. Nachdem ich die Schäden entdeckte«, sagte Matteo fast entschuldigend. »Seither sind keine neuen mehr aufgetreten.«

      »Gut. Aber den Gästen gefällt das natürlich nicht.«

      »Richtig. Es gab tatsächlich solche, die nicht wiederkamen, weil sie den Schluss zogen, ich würde den Gästen misstrauen.«

      »Und wie wurde dein Bereich geschädigt?«, wandte er sich an Carlo.

      »Vorläufig gar nicht«, sagte der. »Aber Überwachungskameras haben wir vorsorglich auch installiert.«

      »Und was wollt ihr jetzt von mir? Ich bin ja weder Kunst- noch Schadensexperte.«

      »Dass du herausfindest, ob uns jemand vorsätzlich Schaden zufügte, zufügt oder zufügen will.«

      Glänzend formuliert, dachte Kauz. Fast perfekte Juristensprache. »Na gut«, sagte er: »Ich werd’s mir überlegen. Aber zuerst möchte ich ein paar Dinge über euch und euer Familienunternehmen wissen.«

      »Ach, übrigens, Kauz: Hast du schon gegessen?« Matteo schaute auf die Uhr. »Es ist ja Mittagszeit.«

      »Nein. Ich war im Langlaufunterricht.«

      »Dann gehen wir in unsere gute Stube. Komm.«

      Die beiden Brüder führten Kauz ins Hotelrestaurant hinüber. Es gab im Galenblick neben dem Speisesaal für die Hotelgäste zwei Restaurantbereiche: einen großen, in dem sich Sportler und andere Tagesgäste verköstigten. Da herrschte gerade reger Betrieb. Und es gab einen kleineren, ein Gourmet-Restaurant, in dem sich Gäste hauptsächlich abends verwöhnen ließen. Über Mittag war das Corno kaum frequentiert. Es saßen nur zwei ältere Paare im Winterwanderlook an einem weiß gedeckten Tisch. Ein Kellner präsentierte ihnen auf einer Platte gegrillten Fisch und machte sich dann ans Filetieren. Ein zweiter schenkte Weißwein nach und stellte die Flasche in den Eiskübel zurück. Kauz ahnte, dass hier hohe Kochkunst zelebriert wurde. Aber wenn er befürchtet hatte, Matteo werde ihn zu einem Gourmet-Lunch nötigen, hatte er sich getäuscht.

      »Ist dir ein Teller Minestrone recht?«, fragte der.

      »Das wäre prima«, sagte Kauz.

      Die dampfenden Teller mit der herzhaften Suppe standen bald auf dem Tisch, dazu gab es Brot, frisch aus dem Ofen, und ein paar Wursträdchen.

      »Vino?«

      Kauz lehnte dankend ab, aber ein Bier akzeptierte er gern. Sicher würden die Steffen-Brüder als Halbitaliener Wein trinken, dachte Kauz, was er selbst sich nur abends erlaubte. Aber die beiden ließen sich eine Karaffe Wasser bringen. Dass Carlo und Matteo eine italienische Mutter hatten, hatte sich in den Langlaufklassen herumgesprochen. Und dass im Corno eigentlich hieß das Gourmetlokal Corno Cieco, Blinnenhorn also, aber kein Mensch benützte den ganzen Namen –, dass im Corno die bald achtzigjährige Signora Steffen persönlich am Herd stand, hatte er auch schon gehört. Drum hatte er sich auch vorgenommen, mindestens einmal während seines Gommer Winters im Corno zu speisen. Nur hatte er bisher noch gar kein Verlangen verspürt auszugehen.

      Ohne dass er sie dazu auffordern musste, gaben ihm die beiden Brüder einen Abriss ihrer Familiengeschichte: Vater Albert Steffen war ein ziviler Angestellter des Militärdepartements gewesen, als die Armee noch den Schießplatz in Gluringen betrieb. Er war für den Unterhalt der militärischen Einrichtungen und der Mannschaftsunterkünfte zuständig. Seine aus Domodossola stammende Frau Maria arbeitete als Köchin in