Mann umständehalber abzugeben. Hanne-Vibeke Holst

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Название Mann umständehalber abzugeben
Автор произведения Hanne-Vibeke Holst
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788711450994



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meinem verstorbenen Vater.«

      »Kiki!« protestiert Mutter. »Mußt du so hart sein?«

      »Yes, mam!« erwidert Kiki. »Wollen wir anstoßen?«

      Warum nicht? Es gibt sowieso nichts anderes zu greifen, und nach ein paar Gläsern hat das Gespenst sich aufgelöst. Jedenfalls fast. Denn ich spüre, daß mich ein kalter Wind durchfährt und die Türen aufspringen, die ich sonst sorgsam geschlossen halte. ›Warum schreibst du ihr und nicht mir?‹ hallt das Echo nach, aber es dreht sich nicht um. Und dann ist es fort.

      »Hallo! Träumst du von deinem Traumprinzen?« Kiki knipst mich zurück in die Küche, wo die Stimmung inzwischen ziemlich angeheitert ist. Und auch wenn Mutter die ganze Zeit mit ihrem Rollenheft wedelt und erklärt, daß sie jetzt unbedingt ihre Rolle lernen muß, ist sie andererseits doch froh, eine Entschuldigung zu haben, nicht damit anfangen zu müssen. Sie erscheint mir angespannter als normal, darum halte ich sie nicht zurück, als sie nach der Flasche greift, auch wenn ich weiß, daß sie manchmal etwas zuviel trinkt. Anscheinend hat sie Entspannung dringend nötig. Vielleicht ist es ja doch keine Lüge, daß sie diesmal nervöser ist als sonst. Vielleicht ist es das Alter, das früher oder später auch zu der bestkonservierten Diva kommt, sich über Nacht bei ihr einschleicht und sich als Leberflecken auf den Handrücken niederläßt.

      »Theresekind, erzähl uns doch von Moskau!« fordert Mutter mich auf, als sie meinen prüfenden Blick bemerkt. »Hattest du nicht schreckliche Angst?«

      Das ist lieb von ihr, und ich belohne sie mit einem Lächeln. Einem echten.

      »Ich wäre fast vor Angst gestorben!« lüge ich und präsentiere eine Auswahl an spektakulären Details und Anekdoten von der Front, während ich mich selbst darüber wundere, warum die bewegendsten Begebenheiten in Rußland seit 1917 sich wie ein Märchen mit Helden, Schurken und einem glücklichen Ende anhören, wenn man sicher in einer dänischen Küche sitzt vor einem Publikum, das es gewohnt ist, alles im Fernsehen präsentiert zu bekommen.

      »Wollen wir nicht auch dorthin!« ruft Spunk aufgeregt und stößt Kiki einen Ellbogen in die Seite, als ich von den Schlangen vor McDonald’s und PizzaHut erzähle.

      »Was zum Teufel sollen wir da?« Kiki bricht eine Ecke von einem Kopenhagener ab.

      »Ein Fast-food-Restaurant eröffnen natürlich! Schließlich bin ich Koch«, erklärt er mir. »Hier gibt es kaum was für mich zu tun. Aber dort – in Rußland! Das ist doch fast wie Amerika neunzehnhundertzehn!«

      Spunk ist hellauf begeistert und entwirft bereits eine Speisekarte mit Pastagerichten, Frikadellen und warmen Sandwiches.

      »Siehst du es nicht vor dir?« fragt er mich, weil Kiki es einfach nicht will, und ich nicke und schlucke langweilige, wichtige Informationen hinunter, die seiner Begeisterung einen ziemlichen Dämpfer versetzen würden.

      »Wir könnten steinreich werden!« Das ist ein Argument, das für einen Augenblick sticht, bis Kiki auch das locker pulverisiert hat.

      »Und was sollen wir mit den vielen Rubeln machen?«

      Ich grinse und unterstütze Spunk, indem ich erkläre, daß irgendwann auch der Rubel konvertierbar werden wird.

      »Okay!« Kiki gibt ihm einen Kuß auf die Wange. »Aber dann will ich mein eigenes Kasino haben!«

      Spät am Nachmittag, als Kikis und Mutters Fragen immer aufdringlicher werden, breche ich auf. Ich verweigere jede Antwort, aber Kiki bringt mich dennoch unter lautem, siegreichem Gejohle zum Erröten, als sie mit ihrer exakten Beschreibung den Nagel auf den Kopf trifft.

      »Ist es der Windbeutel aus den Nachrichten? Dieser feuchte Dunkelhaarige?«

      Als ich schließlich heimkomme, duftet mein Bettzeug immer noch nach ihm, dem Feuchten. Ich ziehe mich aus und gehe mit einem Stapel Zeitungen und einer Tasse Beuteltee in die Federn. Es regnet ununterbrochen, ich bin leicht beschwipst und müde und stöpsle das Telefon aus, bevor vielleicht jemand auf die Idee kommen könnte, mich anzurufen. Bevor er vielleicht auf die Idee kommen könnte ... Morgens hatte ich den Anrufbeantworter nicht mehr einschalten können, also weiß ich nicht einmal, ob er es nicht schon versucht hat. Ich schlafe über einem Auszug aus Raissas Autobiographie ein, die in der Sunday Times veröffentlicht ist – entweder sie ist vollkommen vernarrt in Michail, oder sie ist einfach gut erzogen –, und wache plötzlich ganz verwirrt von dem eindringlichen Summen der Türklingel auf. Einen Augenblick glaube ich, ich bin immer noch in Moskau und habe eine wichtige Deadline verschlafen ...

      Natürlich ist er es. Ich bin nicht einmal richtig überrascht. Lasse ihn nur herein und versuche aufzuwachen.

      Die Kälte aus dem Hausflur zieht meine nackten Beine hinauf; ich lasse die Tür offenstehen und krieche wieder ins Bett.

      »Ist das eine Einladung?« fragt er in der Türöffnung, die er mit nassem Staubmantel und breitkrempigem Borsalino ausfüllt. Er sieht aus wie Humphrey Bogart, und das ist wohl auch der Sinn der Sache.

      »Play it again, Sam!« sage ich mit tiefer Ingrid-Bergman-Stimme, und bevor ich die Konsequenzen abwägen kann, hat er den Hut abgenommen, sich aus dem Mantel geschält und landet mitten in den Zeitungen.

      »Sunday Times? Bist du immer so seriös?« Er fegt die Seiten zu Boden, von denen mich ein junger Gorbi mit einem sensiblen Mund anguckt, während ich Paul aus seinen Klamotten schäle, um an seine warme, büschelweise behaarte Brust zu kommen.

      »Scharf«, murmelt er hinterher wie ein erschöpfter Boxer. »Scharf ...«

      »Und gefährlich«, füge ich hinzu, ohne sicher zu sein, daß er mich versteht.

      Er nickt nachdenklich. Läßt eine Locke meines Haars durch seine Finger laufen.

      »Lebensgefährlich.«

      Später, als es dunkel geworden ist und wir mit einem leicht genierten Kichern Simons und Franks lautem Sonntagsbumsen zuhören mußten – wie sie es vorher bei uns mußten –, bestellen wir Pizza, die wir im Bett essen, während wir CNN leise laufen lassen. Der Montag wirft bereits seine Schatten, und wir möchten beide gern ordentlich angezogen antreten und die Situation wenigstens einigermaßen im Griff haben. Deshalb halten wir uns mit dem Alkoholkonsum zurück und verkorken bereits nach einem Glas den Chianti wieder.

      »Kaffee?« frage ich.

      »Aber du hast doch gar keinen, oder?«

      »Nescafé?«

      Paul schüttelt den Kopf.

      »Nein, danke. Ich denke, ich sollte mich schleunigst auf den Nachhauseweg machen.«

      Dann steigt er aus dem Bett, während ich liegenbleibe und die Verwandlung beobachte, die ich auch schon bei anderen Männern gesehen habe. Die Verwandlung von dem süßen, albernen Liebhaber zum seriösen, fernen Reporter. Vom Jungen zum Mann. Zum Glück muß er keinen Schlips umbinden. Ich fände es unerträglich, ihm dabei zuzusehen, wie er sich mit flinken, routinierten Fingern den Knoten bindet, beinahe ohne jede Ähnlichkeit mit dem, der vor kurzem noch mit meinem Körper gespielt hat. Ich sag’s doch immer: Sex macht mich übersensibel. Erst als er vollständig angezogen ist, kommt er zu mir, setzt sich auf die Bettkante und nimmt meine Hand in seine.

      »Ich bin froh, daß du wieder zurück bist.«

      »Ich auch«, sage ich und lege einen Moment lang meine Wange an seine, wo der Zwei-Tage-Bart pikst. Dann lasse ich ihn gehen. »Hallo!« rufe ich ihm nach, als er schon an der Tür ist. »Den hier hast du vergessen!«

      Ich werfe den Borsalino wie eine Frisbeescheibe durch das Zimmer. Er schnappt ihn im Flug und setzt ihn auf. Verzieht seinen Mund wie Bogart und ist fort.

      »Ja«, sage ich zu mir selbst mit einem Seufzer wie eine alte Frau. »Jaja, soso, jaja ...«

      Dann stehe ich auf und wasche ab. Packe meinen Koffer aus. Es regnet immer noch.

      Ich habe mich am Montag morgen nach der Morgenkonferenz gerade beim Tagesdienst gemeldet, als der General mich schon zu sich ruft. Kirsten, die Producerassistentin,