Mann umständehalber abzugeben. Hanne-Vibeke Holst

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Название Mann umständehalber abzugeben
Автор произведения Hanne-Vibeke Holst
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788711450994



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Gorbi umgebracht. Und was soll ich dir sagen? Da haben wir uns einfach hingesetzt und geheult! Wie die Schloßhunde haben wir um die Wette geheult!«

      Wir lachen, die beiden stellen die Koffer vor meiner Tür ab, und ich stecke meinen Schlüssel ins Schloß, schaffe es aber nicht, sie einzuladen. Statt dessen sage ich, daß ich ihnen ein Glas Pfefferwodka in den nächsten Tagen schulde. O ja, der Essensclub muß so bald wie möglich wieder ins Leben gerufen werden.

      »Wie wär’s mit griechisch am Donnerstag?« schlägt Simon vor.

      »Das klingt gut!« entgegnet Frank und greift ihm an den Po. Ich muß wieder lachen. Simon und Frank garantieren immer Unterhaltung erster Klasse.

      »Dann gibt’s russisch am nächsten Donnerstag bei mir!« rufe ich ihnen nach, als sie schon die Treppe hinauflaufen.

      »Ja? Und was ist das?« fragt Frank lüstern.

      »Rote-Beete-Suppe!« grinse ich und schließe auf.

      Ich mache die Tür hinter mir zu und bin allein. Ich gehe durch die Wohnung; sie wirkt verlassen, aber auch vertraut. Ich bin es, die hier wohnt. Das ist mein Territorium. Meine Bilder an der Wand, meine Bücher im Regal, meine Kissen auf dem ausgeblichenen blauen Sofa. Meine Pinwand mit alten Schnappschüssen, Restaurantquittungen, Presse-IDs von erinnerungswürdigen Begebenheiten. Mein Eineinhalbpersonenbett im Schlafzimmer.

      Kiki, meine kleine Schwester, ist hiergewesen. Die Topfpflanzen sind ins Badezimmer gebracht und in der Duschwanne plaziert worden, die Post ist heraufgeholt und auf meinen Schreibtisch gelegt worden, auf dem auch ein sonnenvergilbtes Exemplar vom Ekstra Bladet liegt. Als ich es in die Hand nehme, entdecke ich einen kleinen handgemalten Stern und ein »Viel Glück« am Fernsehprogramm. Eine Vorschau handelt von mir. Von meiner Moskau-Berichterstattung. »Thereses Revolution« heißt der Artikel, und meine Ohren werden rot, als ich weiterlese: »Therese Skårup, die Urlaubsvertretung von Kanal 1, hat anscheinend alles. Einen nie enttäuschenden professionellen Überblick, ein wohlfundiertes Wissen und einen offenbar natürlichen Sinn für das Medium. Und es schadet auf keinen Fall, daß sie eine schier unglaubliche Ausstrahlung hinter der seriösen Fassade verbirgt. Wenn ich Nachrichtenchef mit Problemen wäre, würde ich auf Therese setzen, auch nach der Revolution ...«

      »Ganz meine Meinung«, murmle ich und muß auf eine Art lächeln, daß ich froh bin, allein zu sein. Meine Erziehung hat mir eine gesunde, natürliche Abneigung gegen die Boulevardpresse eingeimpft, aber manchmal haben sie ja doch recht ... Und jedenfalls kann man, trotz aller gegenseitigen Beteuerungen, sicher sein, daß sie in der Chefetage gelesen wird. Ich blättere die Post durch – Kontoauszüge, Einladungen zu einer Vernissage und zur Versammlung der Baugenossenschaft, ein Brief von Sabine aus Köln und das Angebot eines schnellen Verlags, einen Beitrag zu einem Buch über »Die drei Tage« zu schreiben.

      Und ganz unten im Haufen eine Ansichtskarte aus Skagen mit Meeresmotiv.

      »Liebe Therese, ich habe gerade den Sonnenuntergang geschwänzt, um dich auf den Barrikaden zu sehen. Bis bald! Paul.«

      Poststempel von vor einer Woche, stelle ich fest und lese den Text noch einmal mit stärker klopfendem Herzen. Was soll ich davon halten. Kameradschaftliches, kollegiales Lob oder eine Aufforderung zum Tanz?

      Ich lege die Karte hin und ziehe die Jalousien hoch, so daß die Abendsonne durch die streifigen Fensterscheiben einfallen kann. Habe wie immer sofort Blickkontakt mit einer jungen Frau, die im Haus gegenüber wohnt. Gott allein weiß, ob sie den ganzen Sommer über so dagestanden hat, aus dem Fenster schauend, den großen, teigartigen Busen auf den gekreuzten Unterarmen ruhend. Ich sehe als erste weg und ziehe mich ins Zimmer zurück. Dann höre ich sie irgendwas in den Straßenschacht hinunterrufen. Ein Hund bellt ein paarmal, und eine heisere Männerstimme antwortet. Er sagt was von »Halben« und »im Gange sein«.

      Dann gehe ich in die Küche und trinke ein Glas Wasser. Ein Korb mit verwelkter Kresse steht auf dem Fensterbrett, und eine dicke Fliege brummt verzweifelt gegen die Fensterscheibe. Ich öffne das Fenster und schmeiße sie raus, atme tief die Luft ein und gehe unruhig wieder ins Wohnzimmer. Lese Sabines Brief. Ob ich mal bei Gelegenheit anrufe?

      Ich versuche es sofort, erreiche aber nur ihren Anrufbeantworter: »Hinterlassen Sie bitte einfach eine Nachricht.« Das mache ich, wonach ich sofort meine Mutter anrufe.

      »Liebste Therese, ich bin ja so froh, daß du wieder zu Hause bist. Wenn du wüßtest, wie unruhig ich war!« zwitschert sie und klingt aufrichtig froh. Aber wie üblich, wenn sie weiß, daß ihre Nachkommenschaft sicher im Stall ist, verliert sie schnell das Interesse an uns und spricht nur noch von sich selbst und der Rolle, an der sie momentan arbeitet.

      »Schatz, in vierzehn Tagen soll ich die Lady Macbeth spielen, und ich sage dir, dieses Mal sterbe ich! Nein, wirklich! Die bringen mich um! Entweder wird Blut fließen, oder sie lassen mich in aller Stille sterben! Und das wäre das schlimmste. Übrigens, herzlichen Glückwunsch, mein Schatz, alle sagen, daß du deine Sache ganz phantastisch gemacht hast!«

      Wir verabreden uns zum Brunch am nächsten Vormittag, und ich lege mit einer leichten Irritation und einem Seufzer darüber auf, daß unsere Beziehung niemals intensiver werden wird. Sie ist enger mit ihren Kritikern als mit ihren Kindern verbunden. Aber ich hasse sie dafür nicht mehr.

      Ich trinke noch einen Schluck Wasser, nehme ein Bad und gehe ins Schlafzimmer, um CNN einzuschalten. In Kroatien wird gekämpft; unter den sechzehn Toten sind auch Mitarbeiter eines österreichischen Fernsehteams. Während des ersten Werbeblocks – in dem sie erzählen, in welchem Hotel in Luleå ich CNN sehen kann – gehe ich wieder in mein Arbeitszimmer und suche seine Nummer auf meiner Telefonliste, in die ich ihn einmal aus irgendeinem Grund eingetragen habe.

      Ich tippe schnell die Ziffern ein, und bevor ich es mir noch anders überlegen kann, höre ich seine Stimme.

      »Hier ist Paul.«

      Vielleicht ist es die Hitze, die wie eine Wand in dem von Menschen überfüllten Boltens Gård steht. Vielleicht ist es der Kulturschock, sich innerhalb so kurzer Zeit wieder mitten in der westlichen Dekadenz zu befinden. Vielleicht ist es einfach nur Müdigkeit. Jedenfalls löst das Wiedersehen mit ihm eine so starke physische Reaktion aus, daß ich unwillkürlich stehenbleibe und nach Luft schnappe, bevor ich mich die letzten Meter zum Cafétisch durchdrängle.

      Dann entdeckt er mich, winkt kurz mit zwei Fingern und steht auf, um mich zu begrüßen. Er ist dunkel, sonnengebräunt und ganz in Weiß gekleidet, weiße Levis, weißes Hanes-Hemd und weiße Converse; irgendwie erinnert er mich an einen französischen Rot-Kreuz-Mitarbeiter – einen jungen, idealistischen Arzt –, und ganz gegen meine Gewohnheit umarme ich ihn unverhältnismäßig innig. Als bräuchte ich Trost, jemanden, der auf die Wunde an meinem Knie pustet.

      Ich lasse ihn unvermittelt los und setze mich, bemühe mich angestrengt um einen neutralen Gesichtsausdruck, als ich seinem Blick über den Tisch hinweg begegne.

      »Es ist heiß«, sage ich, und in dem Lächeln, von dem ich dachte, ich hätte es vergessen, erkenne ich, daß ich durchschaut worden bin.

      »Glühend heiß!« bestätigt er. »Was willst du trinken?«

      Normalerweise bestehe ich darauf, selbst zu bestellen und zu bezahlen, aber heute abend schaffe ich es nicht zu zeigen, was ich für ein Kerl bin. Also verhalte ich mich wie ein feminines Wesen. Passiv und empfangend.

      »Das gleiche wie du!« sage ich und nicke zu seinem Glas.

      »Kir Royal? Wie wär’s mit ‘nem Wodka?«

      »Hatte ich zur Genüge!« sage ich nachdrücklich.

      »Du siehst ein wenig müde aus«, sagt er, während er versucht, einen Kellner zu erwischen.

      »Ja, ich sehe schrecklich aus!« stelle ich fest und fasse mir an meine bleichen Wangen.

      »Nein, wunderbar. Sophisticated. Du siehst aus wie Meryl Streep in ›Sophies Entscheidung‹!« Er umfaßt mein Handgelenk, läßt es aber gleich wieder los, als er wunderbarerweise Kontakt zu einem der ungewöhnlich arroganten Kellner bekommt, der offensichtlich seine Bestellung