Название | Mann umständehalber abzugeben |
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Автор произведения | Hanne-Vibeke Holst |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788711450994 |
Wir einigen uns auf das Tagesmenu – Schnecken, Kalbsschnitzel und Crème caramel – und akzeptieren den Weinvorschlag des Kellners, einen jungen, kühlen Beaujolais. Paul ißt schmatzend und mit Genuß und spricht laut und begeistert über das Essen. Er läßt den jungen Wirt rufen und macht ihm Komplimente in etwas, das für mich wie perfektes Französisch klingt.
»Lernt man das in Skovshoved?« ärgere ich ihn und tunke mein Baguette in die Schneckensoße. Beim Sender ist das sein Handicap – daß er ein waschechter Oberklassensprößling ist.
»Meine Großmutter mütterlicherseits war Französin«, erklärt er nebenbei. »Und außerdem habe ich als Tellerwäscher in einem Restaurant in Marseille gearbeitet. Aber mein Vater stammt aus Viborg«, fügt er als Entschuldigung hinzu und tupft sich die Mundwinkel mit der weißen Stoffserviette ab.
Und dann reden wir über etwas anderes. Harmlos fröhlich, so daß ich während des Hauptgerichts keine Atemnot aufgrund der elektrisierenden Atmosphäre mehr habe, die mich, seit wir allein in der Kantine zurückblieben, zu einem einzigen stromführenden Teil gemacht hat.
Als jedoch der Kellner die Fleischteller entfernt hat und Paul sich über den Tisch beugt, mir eindringlich in die Augen sieht und seine Knie gegen meine drückt, habe ich dennoch das Gefühl, einen Schlag zu bekommen. 220 Volt.
»Okay, nun erzähl mal. Was ist zwischen Sonntag und Montag passiert?«
»Nichts«, weiche ich aus.
»Tes!« beharrt er.
»Ich habe mich nur geirrt. Dich romantisiert. Das ist nicht deine Schuld. Wenn ich mich ungeschickt verhalten habe, bitte ich hiermit um Entschuldigung«, erkläre ich und neige meinen Kopf auf japanische Art.
»Wenn es Henriette ist, von der du so kryptisch redest, so ist das nie etwas Ernsthaftes gewesen. Und wie du selbst gesehen hast, ist die Verbindung endgültig beendet.«
»Zack!« kommentiere ich.
»Dir zu Ehren«, sagt er ausdruckslos wie ein Samurai.
»Was für ein Geschenk!«
Paul schweigt. Spielt lange mit einem Brotkrümel, bevor er mich wieder anschaut.
»Ich verstehe deine Angst und deine Bedenken sehr gut. Du kennst mich nicht, aber ich denke wirklich, daß ich so bin, wie du hoffst, daß ich bin.«
»Und wieso denkst du das?« frage ich mit dem letzten Rest angestauter Aggression.
Er spielt mit anderen Brotkrümeln. Fegt sie zu einem kleinen Haufen auf der Tischdecke zusammen. »Weil ich dich haben will!«
Zack!
Als wenn das ein Argument wäre! antwortet mein Gehirn, während mein Körper sofort zu singen anfängt. Hosianna, Halleluja! Und während ich nach einer entwaffnenden Antwort suche, werde ich in seine Augen gesogen, und genau in dem Moment, als das Dessert auf den Tisch gestellt wird, sage ich wie in Trance: »Ich will dich auch haben.«
Wir kosten pflichtschuldigst das goldfarbene Dessert, lassen aber die Löffel gleichzeitig sinken.
»Ist so eine Crème caramel nicht äußerst erotisch?« fragt Paul, worauf ich antworte, indem ich den Löffel in die Crème schiebe und ihn dann langsam ablecke. Paul stöhnt leise auf.
»Nun?«
Dann bezahlen wir. Stürzen aus dem Restaurant und erneut in ein Taxi, in dem wir uns halberstickt und ohne den sich räuspernden Fahrer zu beachten aufeinanderwerfen. Gegenseitig öffnen wir widerspenstige Reißverschlüsse, und als wir Pauls Wohnungstür hinter uns geschlossen haben, fallen wir im Flur übereinander her.
Danach siedeln wir in sein ockerfarbenes Schlafzimmer um und machen es noch einmal – aber ruhig, freundlich und mit einer schwindelerregenden neuen Zärtlichkeit. Ich bin auf diesem Gebiet unerfahren, spüre jedoch plötzlich in einem heiligen Moment, daß das der Weg zur Hingabe ist. Vielleicht sogar zur Liebe.
Ich lecke ihm die Schweißtropfen ab, schnüffle in seiner Achselhöhle, küsse sein kleines Tier und habe nur noch den einen Wunsch: hier zu liegen und seinem Herzschlag zu lauschen, während er mir übers Haar streicht.
Früh am nächsten Morgen werde ich geweckt.
»Herzlichen Glückwunsch!« sagt er und raschelt munter mit der Tageszeitung.
»Was ist los?« frage ich schlaftrunken, aber nicht ganz sicher, ob ich träume oder wach bin, als ich Paul nackt auf der Bettkante sitzen sehe, die Zeitung in der Hand.
»Die Fernsehkritiker sind begeistert! Hör mal: ›Mit ihrer Oper in Rot gelang es Therese Skårup, die stereotype und oft reichlich langweilige Berichtform zu erneuern, so daß die russische Revolution Fleisch und Blut bekam. Sicher brach sie dabei mit dem Objektivitätskriterium, das ansonsten wie ein Mühlstein vielen Mitarbeitern der Staatssender anhängt, und traf eine bewußte Entscheidung, als sie die Reportage zu einer subjektiven Augenzeugenschilderung machte. Die Revolution, wie Skårup sie sah – mit ihren Helden und Schurken, mit ihrem Glauben und ihren Zweifeln. Man kann sich über ihre Beurteilungen streiten, aber wie mutig und wohltuend ist es doch, eine Reportage zu sehen, die persönlich und konsequent gemacht ist, sowohl in Form wie in Inhalt. Das ist die Art Fernsehen, die in die Zukunft weist und dem Medium in diesen bewußtlosen Glücksradzeiten einen Sinn gibt.‹«
Paul sieht mich triumphierend an, als hätte er es selbst geschrieben, während ich mich im Bett halb aufrichte und gähne. »Du gähnst? Nach so einer Kritik?« Paul sieht mich verblüfft an. »Es ist sechs Uhr«, gähne ich erneut. »Aber es war lieb von dir. Danke.«
»Danke gleichfalls!« Paul schüttelt den Kopf. »Sollte es jemals jemanden geben, der so über mich schreibt, dann würde ich ... Wo ist dein Band?«
»Was für ein Band?« frage ich und sinke wieder in die Kissen. Ich habe Kopfschmerzen.
»Die Reportage? In deiner Tasche?« fragt er und schaut sich suchend um.
»Ja. Warum?« Ich bin schon fast wieder eingeschlafen.
»Weil ich sie sehen will!« sagt Paul über die Schulter und verläßt das Schlafzimmer.
»Jetzt?«
»Ja!« ruft er aus dem Wohnzimmer und kommt mit dem Band in der Hand zurück. Eigentlich sollte ich dagegen protestieren, daß er allein an meine Tasche geht, aber nun mal ehrlich, es ist sechs Uhr morgens ...
Er schiebt das Band ins Videogerät und springt mit der Fernbedienung in der Hand erwartungsvoll wieder ins Bett. »Du bist ja geisteskrank!« erkläre ich.
»Man muß sich einen Vorsprung sichern!« grinst er und fragt, wann ich Kaffee haben möchte.
»Um neun. Um halb elf muß ich zum Friseur«, murmle ich, drehe mich zur anderen Seite und schlafe bei den Tönen zu »Boris Godunow« und meiner eigenen Stimme wieder ein. Wir frühstücken im Erker mit Ausblick auf den Dunst über dem Peblingesø. Teilen uns die Zeitung – von der Paul bisher nur die Fernsehrezension gelesen hat –, Inland für ihn, Ausland für mich. Und zum Schluß ein bißchen Kultur. Zwischendurch spähen wir immer mal wieder schnell über den Zeitungsrand, berühren uns, tippen mit den Zehen unter dem Tisch den anderen an. Sein Nagel vom großen Zeh wandert kratzend mein Bein hinauf und erzeugt bei mir eine Gänsehaut. Dafür lasse ich einen Fuß seinen behaarten Schenkel hinauflaufen – schubse seinen Kimono beiseite, so daß ich ganz hinaufkomme und meinen Fuß zwischen seine Beine legen kann. Er umfaßt meine Hacke, so daß ich gleichzeitig berauscht und sensibilisiert die Zeitung fallen lasse, um ihn ansehen zu können. Paul war schon immer ein hübscher Typ – das ist Teil seines Rufs. Aber an diesem Samstag vormittag, als er unrasiert und verlottert mir gegenübersitzt, da sehe ich, daß er schön ist. Ich suche nach Worten,