Gute Nacht, mein Geliebter - Psychothriller. Inger Frimansson

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Название Gute Nacht, mein Geliebter - Psychothriller
Автор произведения Inger Frimansson
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788726445022



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sagte das Mädchen, aber ohne sich zu wehren.

      Sie biss in ein Teilchen, und als niemand hinguckte, streckte sie Justine die Zunge raus, die voller Teigklümpchen war.

      Floras roter Nagel.

      »Jetzt iss schon, Justine! Iss!«

      An einem anderen Tisch, ein Mann mit einer Zeitung. Er schaute in ihre Richtung. Er lächelte Justine an und blinzelte ihr zu, sein Haar wie ein glänzend schwarzer Kuchen.

      Als Flora eine Zigarette aus der Packung schüttelte, war er unverzüglich zur Stelle und hielt ein Feuerzeug bereit.

      Sie beugte gnädig den Nacken.

      »Iss, Justine!«, wiederholte sie. »Du musst aufessen, ich warne dich, lass bloß nichts übrig, ich kaufe doch keine Teilchen, nur damit du die Hälfte liegen lässt.«

      »Kinder sind schon lustig«, sagte der Mann.

      Flora stieß Rauch aus. Ihre Lippen hinterließen rote Spuren auf der Zigarette.

      »Manchmal sind sie gar nicht lustig!«, sagte sie.

      Justine aß in kleinen, kleinen Bissen. Die obere Schicht hatte sie zuerst gegessen. Der Rest lag auf dem Teller wie ein fettiger und sahniger Brei.

      Sie dachte an das Tier. Sie würde heute nicht zu ihm gehen können.

      Der Mann hatte inzwischen seinen Stuhl ein wenig in Richtung ihres Tisches gezogen. Das Mädchen und seine Oma waren gegangen.

      »Kannst du singen?«, fragte der Mann und lächelte Justine wieder an. Seine Lippen waren trocken und schmal. Sein Schlips saß mit Hilfe eines dunkelgrünen Steins, dessen Farbe sich veränderte, sobald der Mann sich bewegte.

      Sie starrte ihren Löffel an. Der ganze Stiel war klebrig.

      »Alle Mädchen können singen«, fuhr der Mann fort.

      Flora begann zu kichern, sie klang wie ein Kind, babykleine, weiße Zähne.

      »Wenn du singst, bekommst du eine Krone«, sagte der Mann und legte seine Hand auf den Tisch, kurze schwarze Haare, die Nägel breit und flach. Er trommelte einen Moment lang mit den Fingerspitzen.

      »Kleine!«

      Floras Eisenklammer um ihren Kiefer, ihre Haut, die zusammengepresst wurde.

      »Jetzt zeig dem Onkel doch mal, dass du wirklich singen kannst!«

      Sie wand sich aus ihrem Griff.

      »Wie heißt sie?«

      »Justine.«

      »Komischer Name.«

      »Französisch.«

      »Dann versteht sie vielleicht gar nicht, was wir ihr sagen?«

      »Sie hat die Fähigkeit, einfach abzuschalten. Aber sie versteht natürlich alles. Und wenn sie nicht augenblicklich aufisst, dann weiß sie, was sie erwartet, wenn wir nach Hause kommen.«

      »Und was erwartet sie dann, junge Frau?«

      »Sie bekommt eine Tracht Prügel.«

      »Von Ihnen?«

      »Von mir, ja!«

      »Dann sind Sie also eine ganz Strenge, junge Frau?«

      »Das bin ich, ja!«

      »Sind Sie vielleicht auch von da?«

      »Wie bitte?«

      »Sind Sie selbst auch Französin?«

      Flora kicherte wieder. Sie sagte einen Namen, es klang wie Bertil. Inzwischen hatte der Mann seinen Stuhl zwischen Floras und Justines geklemmt. Er saß jetzt so nah, dass Justine sein Rasierwasser riechen konnte. Es war stark, stärker als Parfüm, ihre Nase begann zu jucken und zu laufen.

      »Schüstinn«, sagte er.

      Sie wagte nicht, ihn anzusehen, schaute stattdessen auf ihren Teller hinab, das geflochtene Blattmuster, den Teig.

      »Isst du jetzt bald mal!«

      Floras Porzellanaugen, ihre Wimpern waren lang und in mehreren Schichten geschminkt. Jeden Morgen stand Flora im Badezimmer und bestrich sie mit Hilfe einer kurzen und kräftigen Bürste mit Farbe.

      »Ich ... kann nicht mehr!«

      Die Worte kamen in Form eines Schreis, das hatte sie nicht gewollt, sie hatte flüstern wollen, aber der Schrei hatte sich einen Weg in ihr gebahnt und war aus ihr herausgeplatzt. Tränen brannten auf ihrer Hand, ihr Mund verharrte noch im Schrei, der in lauthalses Weinen überging.

      Flora schlug sie. Mitten in der Konditorei gab Flora ihr eine Ohrfeige. Das Weinen hörte auf, wurde schlagartig abgeschnitten.

      »Justine neigt zur Hysterie«, sagte Flora, und ihre Lippen waren rot und hatten auch auf der Kaffeetasse ihre Spuren hinterlassen.

      »Ihre französischen Nerven?«, sagte der Mann, einen Akzent nachahmend.

      Floras kurzes, neuerliches Lachen, dumpf und gurrend.

      Auf dem Heimweg nahmen sie ein Taxi, der Rücksitz war voller Tüten. Der Taxifahrer machte Scherze über die Tüten, haben Sie vorgehabt, ganz Vällingby leer zu kaufen, meine Dame? Flora ging auf seine Scherze ein. Der Duft des Manns war ihnen bis in das Auto hinein gefolgt.

      Daheim packte sie alle Kleider aus und hängte sie im Schlafzimmer auf Bügel. Es waren zwei Kleider, eine Bluse und ein Rock. Ihre Bewegungen waren ruckartig. Sie zerrte eins der Kleider wieder herunter und warf es auf das Bett.

      »Warum habe ich das bloß gekauft! In diesem Licht sieht man doch, dass es überhaupt nicht zu meinem Teint passt. Jetzt kann ich mich überhaupt nicht mehr darüber freuen. Das ist deine Schuld, Justine, wegen dir habe ich jetzt schlechte Laune. Du bist verzogen und verwöhnt.«

      Und sie packte Justine an den Handgelenken und wirbelte sie herum, immer wieder herum, in einem immer rasenderen Tempo. Vollkommen gestreckt war ihr Körper, das Hirn fuhr ihr in die Füße, die Übelkeit war wie eine Welle. Ihre Beine schlugen hart gegen das Kopfende des Betts, Flora verlor die Balance und fiel hin. Justine lag an der Wand, die Knie ganz dicht an der Wandleiste.

      Flora brachte sie in den Keller. Sie ließ Wasser in den Waschzuber ein, Justine saß auf der Bank, in Unterhose und Unterhemd.

      »Weißt du, wie man die Wäsche sauber bekommt? Hast du mich beim Waschen gesehen? Hast du gesehen, dass ich die Wäsche koche, damit sie richtig sauber wird. Aber erst lasse ich sie einweichen.«

      Und ihre kalten Fingerspitzen hoben Justine über den Rand. Sie saß jetzt im Waschzuber, das Wasser bis zum Bauch. Sie schlang die Arme um ihre Beine, drückte sie gegen den Nabel.

      Flora war gegangen. Sie war die Kellertreppe hochgestöckelt und Justine hatte gehört, wie sie den Schlüssel zweimal umdrehte. Als Justine vorsichtig ihre Stellung änderte, platschte das Wasser gegen die verbeulten Seiten des Waschzubers.

      Das Wasser war jetzt kalt. Aber wenn Flora nun zurückkam und Feuer machte? Welche Temperatur konnte sie aushalten? Würde sie wie die Hechte werden, die mit weißen Augen auf der Servierplatte lagen? Würde ihr Fleisch die gleiche Farbe annehmen und so lose werden, dass man es vom Skelett abheben konnte?

      Das würde Flora nicht tun, sie würde es nicht wagen.

      Einmal, als Papa verreist war, hatte Flora sie bis spät nachts im Keller gelassen. Sie war in ihrem Morgenrock heruntergekommen, hatte mit der Streichholzschachtel gewedelt, sie aber schließlich weggelegt. Dann hatte sie das Wasser abgelassen und Justine auf ihren Schoß genommen. Die Füße waren aufgequollen und runzelig gewesen, die Zehennägel fühlten sich an, als würden sie sich lösen.

      Flora war mit einem Handtuch und Justines Schlafanzug gekommen. Sie hatte Justine im Keller abgetrocknet und ihr den Schlafanzug angezogen. Dann hatte sie Justine die ganzen Treppen hochgetragen und bei sich ins Bett gelegt, die Decke über sie beide gezogen. Floras Arm hatte auf Justines