Sieh mich jetzt. Sandra Schwartz L.

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Название Sieh mich jetzt
Автор произведения Sandra Schwartz L.
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9788711337301



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einen Augenblick, dann ging ich zu Majas Mutter und tippte ihr auf die Schulter.

      Sie drehte sich um und sah mich mit einem fragenden Blick an.

      „Mehr, bitte“, sagte ich und streckte die Hand aus.

      Die Geschichte weckt immer gleich großen Jubel. Selbst Maja lacht und hat jedes Mal Spaß. Ich selbst finde nur, dass es peinlich ist. Peinlich, dass ich das machen konnte. Peinlich, dass mich Majas ganze Familie nackt gesehen hat, auch wenn ich bloß drei Jahre alt war. Peinlich, dass alle immer noch denken, es wäre süß. Aber ich tröste mich damit, dass ich wenigstens Maja bekommen habe. Maja-Paja, die seitdem meine beste Freundin ist.

      „Du wirkst etwas traurig. Ist etwas?“, fragt Mama.

      Ich schüttele den Kopf. Sie sieht aus, als ob sie noch was sagen wollte, aber nickt stattdessen nur, steht auf und geht aus dem Wohnzimmer. Etwas später kommt sie mit einem kleinen Umzugskarton unter dem Arm wieder herein.

      „Hilfst du mir?“, fragt sie und reicht mir ein Bündel uralter und potthässlicher Wichtel. Ich nehme es entgegen, hänge einen Wichtel in den Fensterrahmen, einen ins Regal und einen an die Stehlampe neben dem Sofa.

      Wir haben schon Dezember, aber wir sind noch nicht richtig dazu gekommen, alles zu schmücken. Sonst fangen wir recht früh mit dem Schmücken an. Dann dauert Weihnachten länger, meint Mama. Sie liebt Weihnachten. Die Stimmung, den Schmuck, die Lieder und die Gemütlichkeit. Alles. Sie versucht es auch. Wirklich. Sie hat den einen verstaubten Karton nach dem anderen hervorgeholt, vom Speicher geschleppt und abgewischt. Kartons gefüllt mit Lichterketten, Herzen und Wichteln, über Jahrzehnte gesammelt und ordentlich in Kartons gepackt, Jahr für Jahr. Die meisten stehen unberührt in einer Ecke des Wohnzimmers und setzen wieder Staub an.

      Mama geht wieder in die Küche zum Essen. Ich hänge noch ein paar Wichtel auf, höre dann auf und setze mich hinter Mads auf den Boden.

      Mads hat Blutkrebs, oder Leukämie, wie es in feiner Arztsprache heißt. Die Ärzte haben Monate gebraucht, um das herauszufinden. Lange Zeit kränkelte er nur. Wurde dünner und dünner und blass und bekam blaue Flecken.

      Ich war oft mit beim Arzt. Langweilte mich in dem viel zu kleinen Wartezimmer mit viel zu vielen Menschen. Und jedes Mal war es dasselbe. Mads hatte bestimmt einen Virus, Mads war im Wachstumsalter, Mads fehlte nichts. Bis zu einem Tag im letzten August. Die Luft war schwül, geladen mit dem Versprechen von Donner, die Sonne eine brennende Scheibe an einem wolkenfreien Himmel. Maja und ich haben im Bikini ein Sonnenbad im Garten genommen, Mads fror in langen Hosen und Pullover. Wir neckten ihn. Fragten, ob er nicht Skiklamotten und Baumwollunterwäsche anziehen sollte. Neckten ihn damit, ein Würmchen zu sein. Bis er so wütend wurde, dass er all seine Klamotten mitten in den Garten warf. Dann stand er dort, blass und blaugefleckt und mit Rippen, die hervorguckten. Es war da, als wir sie so richtig entdeckten. Die blauen Flecken überall auf seinem Körper, deutlich in der strahlenden Sonne. Maja ging nach Hause und Mama fuhr mit Mads weg. Und am selben Abend, als Mama und Papa an die Tür zu meinem Zimmer klopften, war es, als ob der Sommer plötzlich vorbei wäre und Herbst und Dunkelheit einsetzten.

      Mama kommt wieder ins Wohnzimmer und stellt die DVD auf Pause unter wilden Protesten von Mads.

      „Es gibt jetzt Essen, du kannst den Rest danach sehen.“

      „Was gibt es denn?“, fragt Mads.

      „Gulasch.“

      „Ih, das mag ich nicht.“

      Mama seufzt. „Doch, das magst du, es sind Würstchen drin.“

      „Ich habe keinen Hunger.“

      „Komm einfach mit und probier es.“

      Mama macht eine Bewegung mit dem Kopf Richtung Küche und ich stehe auf.

      Wir gehen in die Küche und setzen uns. Mama plaudert los, während sie Essen auf die Teller tut. Erst Mads und dann mir. Mads bekommt extra Würstchen und Sauce. Ein großer Kleks Kartoffelpüree landet auf meinem Teller und nur wenig Sauce und wenige Würstchen. Ich habe Lust zu meckern und mir demonstrativ mehr zu nehmen, mache es aber nicht. Ich bin sowieso nicht so hungrig.

      Ich esse in Stille. Es sind vor allem Mama und Mads, die reden. Mads hat all die Würstchen gegessen und ist nun dabei, einen Turm aus Püree und Sauce auf dem Teller zu bauen.

      „Sieh Mama, das ist eine Burg.“

      „Mads, hör auf mit dem Essen zu spielen,“ schimpft Mama, aber ohne richtigen Druck in der Stimme.

      „Ich kann nicht mehr essen.“

      „Du hast ja kaum was gegessen. Du weißt doch, dass du nicht nur alleine von Würstchen leben kannst. Wovon sollst du denn groß und stark werden? Möchtest du nicht gerne groß und stark wie Spiderman werden?“

      „Spiderman ist cool,“ sage ich und Mama lächelt mich an.

      Es wirkt. Mads wirft noch ein paar Bissen mehr ein und die strammen Linien in Mamas Gesicht entspannen sich.

      Ich wünschte, Papa wäre hier und würde nicht bis spät abends arbeiten. Oder Maja. Maja ist lustig.

      Plötzlich weiß ich, wozu ich Lust habe und das fließt aus mir raus.

      „Mama, darf Maja nicht am Freitag herkommen und hier übernachten? Es gibt so ein neues Tanz-Ding im Klub am Freitagnachmittag und am Samstag könnten wir ein bisschen Weihnachten vorbereiten?“

      Augenblicke von vergessenen Dezembertagen überströmen mich. Ich und Maja auf der Jagd nach Tannenzweigen und Tannenzapfen im Wald. Der Duft von Tanne und Apfelsinen mit Nelken, schief geflochtene Herzen und kilometerlange Girlanden. Ich und Maja mit gefrorenen Fingern, die bei einer Tasse brennend heißer Schokolade auftauen und mit pelzüberzogenen Zähnen von zu viel Lebkuchen. Ich und Maja wie Mariah Carey mit „All I want for Christmas“ auf voller Lautstärke, so oft, dass Papa aus dem Häuschen gerät und mitsingt. Ich und Maja, wie wir im Bett liegen, flüstern und kichern, und die Nacht in die Flucht schlagen.

      „Schatz … Wir sind doch gerade erst nach Hause gekommen, und Mads …“, sagt Mama und hält inne. Ich halte die Luft an.

      „Ach Mama, darf sie bitte?“

      Es dauert etwas, bis sie antwortet.

      „Dann meinetwegen, es wird deshalb schon nichts passieren,“ sagt sie und ihr Lächeln erreicht fast ihre Augen.

      „Jippie“, kreische ich und springe auf. Ich ziehe Mads mit ins Wohnzimmer, schalte wieder Lightning McQueen an und hüpfe rund, während ich Geräusche wie ein Rennauto mache, bis er fast vor Lachen platzt. Wir toben und albern herum. Ich bin Hook und er ist Lightning. Mama grinst und klatscht. Einen Moment lang ist alles einfach, aber dann bricht Mads in einem Hustenanfall zusammen, der klingt, als würde er ihm den Atem nehmen. Mama lacht nicht mehr und Sekunden später bin ich alleine im Autoland.

      Erst, als ich in meinem Bett liege und längst schlafen sollte, trifft eine Nachricht von Maja ein.

      Schläfst du?

      Etwas anderes steht da nicht. Nicht einmal drück dich oder so. Gedanken wimmeln in meinem Kopf umher. Das Display wird dunkel, aber die SMS ist noch auf meiner Netzhaut. Ich nage an meiner Lippe. Eine Gewohnheit, die ich habe, wenn ich nachdenke.

      Ob sie immer noch sauer auf mich ist? Natürlich ist sie das, so eine Scheißfreundin, wie ich bin.

      Ob sie mir verzeiht? Das hoffe ich. Wirklich. Bitte, verzeih mir.

      Meine Unterlippe ist dabei wund zu werden, aber ich zupfe weiter. Bekomme einen Fetzen an meiner Unterlippe gelöst, ziehe daran und krümme mich, als eine Wunde entsteht.

      Was, wenn sie mir nicht verzeiht? Was, wenn sie genug hat? Was, wenn sie denkt, wir sollten keine Freundinnen mehr sein?

      Nein, schreibe ich, zögere einen Augenblick, bevor ich auf senden drücke. Ich sauge an meiner Unterlippe. Sie schmeckt nach Blut.

      Sie muss das Handy in der Hand haben, denn sie antwortet sofort.

      Kann