Название | Sieh mich jetzt |
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Автор произведения | Sandra Schwartz L. |
Жанр | Книги для детей: прочее |
Серия | |
Издательство | Книги для детей: прочее |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788711337301 |
Kim zieht mich auf dem Gang direkt nach der Frühstückspause an die Seite. Ich weiß genau, dass er das machen muss. Er ist schließlich mein Klassenlehrer und Mette hat ganz bestimmt was gesagt. Aber ich wünschte, er ließe es bleiben. Wir haben ihn erst in der 8. Klasse bekommen und er kennt mich nicht.
Anton und Muhammed kommen schlendernd als letzte und gucken mich auf dem Weg in die Klasse lange an. Sie haben im Hof Fußball gespielt und haben rote Frostblumen auf den Wangen.
„Wie geht es zu Hause?“, unterbricht Kim meine Gedanken und versucht meinen Blick zu fangen. Ich kratze an meinem Nagellack. Glitzer und Gold blättern in Lagen erst von meinem Daumen, dann von meinem Zeigefinger ab. Ich habe ihn letztes Jahr von Mama bekommen. Wir waren in der Stadt, nur wir zwei, in Geschäften und im Café. Es ist fast nichts mehr davon übrig.
„Es geht gut“, antworte ich und starre auf einen Fleck an der Wand über seiner linken Schulter. Ich schlucke.
„Okay“, Kim zögert.
Ich reiße meinen Blick von der Wand los und schaue ihn an. Er bewegt sich ein wenig unruhig hin und her, und sieht gleichzeitig erleichtert und skeptisch aus. Er öffnet und schließt den Mund, so als ob er sich nicht recht entscheiden kann, ob er mehr sagen soll. Ich habe fast Mitleid mit ihm.
„Okay“, sagt er dann. „Aber komm ruhig, wenn du mit jemandem reden möchtest. Es nützt nichts, etwas nicht loszuwerden.“
Er legt kurz eine Hand auf meine Schulter. Sie ist warm und schwer und brennt sich durch den Stoff durch. Ich muss mich konzentrieren, um sie nicht abzuschütteln.
Ich nicke nur.
„Was wollte Kim?“, fragt Maja, als ich mich neben sie setze und Kim das Lehrerpult außer Hörweite erreicht hat. Sie versucht, beiläufig zu klingen. Es wundert mich nicht, dass sie uns auf dem Gang gesehen hat. Sie hat einen siebten Sinn, wenn es um Kim geht. Er sieht gut aus, findet sie. Ich kann das an der Art und Weise sehen, wie sie ihre Lippen befeuchtet und ihr Haar in Ordnung bringt, jedes Mal, wenn er in der Nähe ist, oder sie etwas fragt. Manchmal wäre ich auch gerne verliebt, spürte dieses kribbelnde Gefühl im Zwerchfell.
„Nur wissen, wie es mir geht und so …“, ich zucke mit den Schultern, „… zu Hause.“
Sie blinzelt ein paar Mal mit den Augen.
„Aber alles ist in Ordnung, oder?“ Majas Gesicht legt sich in mitfühlende Falten. „Ihr habt doch jetzt herausgefunden, was ihm fehlt? Und er wird ja jetzt behandelt, oder …?“
„Ja … ja, das wird er …“, murmele ich und weiß eigentlich nicht, warum ich es nicht sage. Ich möchte ihr ja gerne erzählen, dass nicht alles okay ist. Alles andere als okay. Mein Frühstück rumort in meinem Magen herum und droht, wieder hoch zu kommen.
Sie sieht mich an. Abwartend, als ob sie ahnt, dass da vielleicht mehr ist. Ich suche nach Worten, aber sie klumpen sich in meiner Kehle zusammen und es ist unmöglich, sie herauszubringen. Zumindest, wenn sie einen Sinn ergeben sollen. Denn, wie sagt man, dass selbst, wenn Papa lächelt und Witze macht, Mama weint? Dass selbst, wenn wir alle zusammen sind, ich mich alleine fühle?
Majas Gesicht wechselt wieder den Ausdruck.
„Nein, wie süß. Dann wollte er dich nur abchecken“, flüstert sie und wirft einen langen Blick zur Tafel, wo Kim jetzt steht und kritzelt.
„Mmh“, antworte ich und zucke wieder mit den Schultern.
Sie lehnt sich ganz an mich. Ihr Haar ist immer noch feucht vom Sport. Der Pfirsichduft ihres Lieblingsshampoos füllt meine Nase. Sie starrt mich an, aber ohne mich zu sehen, ganz weit weg in ihren Gedanken. Ihre Lippen sind geöffnet und ihre Nasenflügel vibrieren leicht.
„Es sah aus, als hätte er dich berührt. Hat er? Er ist ja SO süß.“
Die Worte bringen mich in die Wirklichkeit zurück. Bei ihr klingt das so intim, so wichtig. Aus dem Nichts heraus überkommt mich Zorn. Er durchzuckt mich.
„Ganz ehrlich“, knurre ich. „Es ist total daneben, in einen Lehrer verknallt zu sein. Ich meine, er ist Lehrer, come on!“
Ich wünschte, ich könnte sie zurück nehmen. Die Worte. Aber es ist zu spät. Sie haben bereits ihren eigenen Willen bekommen. Maja starrt mich mit großen Augen an. Sie sieht aus, als hätte sie eine Ohrfeige bekommen, ohne sich darüber im Klaren zu sein, was sie gemacht hat. Dann werden die Augen zu Schlitzen und der Mund zieht sich zu einem schmalen Strich zusammen.
„Was bist du gemein!“, faucht sie und zieht sich wie eine Schnecke in ihr Haus zurück, während sie sich in der Klasse umsieht, um sich zu vergewissern, dass mich niemand gehört hat. Ich bin unentschlossen. Möchte gerne etwas sagen, das es wieder gut machen kann. Aber dann sehe ich Katrine, die neugierig zu unserem Tisch rüber sieht. Der Zorn flammt wieder auf und ich ertrage das einfach nicht.
Kapitel 2
Es klingelt. Endlich ist die letzte Stunde vorbei. Der Tag schleppte sich dahin. Ich wende mich zu Maja. Sie sieht mich nicht an, sondern ist dabei ihre Tasche zu packen. Wir haben nicht mehr geredet, seit meinem Ausbruch von vorhin. Ich konnte mich irgendwie nicht zusammenreißen, um mich zu entschuldigen. Aber jetzt möchte ich es.
„Maja, du …“, beginne ich.
Sie hört kurz auf, ihre Tasche zu packen und sieht mich an.
Ich nehme einen Anlauf, um fortzusetzen, aber eine Stimme unterbricht mich.
Katrine. „Maja? Kommst du mal rüber?“
Maja sieht von mir zu Katrine und wieder zurück. „Wolltest du etwas sagen?“
„Vergiss es“, sage ich und schleudere die letzten Sachen in die Taschen. Ich stehe auf und gehe schnell aus der Klasse.
Es schneit immer noch, jetzt ziemlich stark und es ist windig. Ich schnüre die Kapuze meiner Skijacke fest um mein Gesicht, ziehe die Arme aus den Ärmeln und lege sie um meinen Körper. Trotzdem beißt mir die Kälte ins Gesicht und bohrt sich wie Eisnadeln in meine Haut.
Ich kneife die Augen zusammen und beuge den Kopf. Erhöhe das Tempo. Es ist unmöglich, was zu sehen. Alles ist ein weißes Wirrwarr. Als ich ans Ende des Weges komme, muss ich eigentlich nach links, um nach Hause zu kommen. Einen Augenblick zögere ich, aber dann gehe ich stattdessen nach rechts. Habe keine Lust, jetzt nach Hause zu gehen. Es fühlt sich sicher an, hier zu gehen, vollständig in weiß eingepackt. Wie Mads im Krankenhaus in dem viel zu großen Bett mit dem viel zu weißen Bezug und dem viel zu scharfen Geruch von irgendwas Starkem. Ich habe im Krankenhaus nur zwei der vielen Male gewohnt, als Mads eingeliefert war. Das erste Mal, weil die Ärzte gesagt haben, es sei gut für die Familie, zusammen zu sein. Das zweite Mal, weil Papa auf Geschäftsreise war und Oma mit dem Strickklub auf Gran Canaria, und niemand da war, um am Wochenende bei mir zu sein. Ich verstehe nicht, warum ich nicht einfach alleine zu Hause bleiben konnte. Ich bin kein Baby mehr und Mama wäre nur zehn Minuten mit dem Auto entfernt.
Aber nein, davon wollte sie nichts hören. So musste sie sich um uns beide kümmern, Mads und mich. Wenn ich nur zu Hause geblieben wäre, wäre Maja nie mit Katrine tanzen gegangen. Wenn nur …
Meine Gedanken stoppen plötzlich. Eine dunkle Gestalt taucht an meiner rechten Seite auf und ist dabei zu überholen. Im selben Moment rutsche ich im Matsch aus und ramme die Person, die auf die Fahrbahn stolpert. Der Stoß bringt mich dazu, auf ein Stück Fleisch in meiner linken Wange zu beißen und ein scharfer Schmerz pocht im ganzen Mund. Ich keuche und geschmolzener Schnee mischt sich mit dem Geschmack von Metall auf meiner Zunge, während ich darum kämpfe, das Gleichgewicht wiederzufinden. Das ist unmöglich mit meinen Armen in der Jacke. Ich fummle unter der Jacke, um die Ärmel zu finden. Aber das bringt mich nur dazu, noch mehr den Halt zu verlieren und ich rempele die Gestalt, die jetzt hinter mir auf den Gehweg gegangen ist, wieder an.
Ein paar Hände schubsen mich weg und eine Stimme sagt schroff:
„Hey, was verdammt noch mal machst du?“
Ich