Название | Zürcher Filz |
---|---|
Автор произведения | Gabriela Kasperski |
Жанр | Языкознание |
Серия | Schnyder & Meier |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783960416678 |
«Ganz schön laut hier.»
«Dafür sind es fünf Zimmer», sagte Meier. «Endlich eine kinderfreie Zone, ein Bett für uns beide und ein Arbeitsplatz für dich.»
Er will mich ködern, dachte Zita. Er nimmt Beanies Auftrag zu ernst, und am Schluss kriegt er eine Wohnung. Es wäre Mauschelei, wir könnten nie da einziehen.
Plötzlich fühlte sich Zita beschissen. «Ich muss dir was sagen.»
«Willst du dich trennen?», fragte Meier.
Sie war fassungslos. «Wie kommst du darauf?»
«Hast du ein neues Jobangebot von der Uni? Willst du ganz nach London ziehen?»
«Wofür hältst du mich?»
«Oder hast du die Nase voll von einem temporären Hausmann?»
Genau das hatte sie gestern noch gedacht. «Sicher nicht.»
Er sah sie an. Fragend, suchend, unsicher.
«Mama, das sind bestimmt tausend Leute. Komm, wir gehen wieder.»
Ihr Sohn Finn hatte recht. Mit seinen fünf Jahren war er der Älteste und vernünftigste. Während Theo einen Ball dribbelte und Klein Lily im Tragetuch vor Zitas Bauch friedlich schlief.
«Entschuldigung, wir haben einen Termin. Dürfen wir mal durch?», fragte Meier, der versuchte, die Mitbewerber politisch korrekt auszuhebeln.
«Wir auch», bekam er als Entgegnung von einer hennagefärbten Frau, die so nahe stand, dass Zita ihre Sommersprossen zählen konnte. Sie hatte ihre Kinder um sich versammelt wie eine kleine Armee.
«Alle haben einen Termin. Die Wohnung ist öffentlich ausgeschrieben. – Haben wir uns nicht schon gesehen?» Fragend sah sie Zita an.
«Gut möglich. Ich war bei so vielen Wohnungsbesichtigungen.» Zita wandte sich an Meier. «Commissario, das hat keinen Zweck. Die werden uns nie reinlassen.»
«Alle kommen rein. Das ist Stiftungspolitik.» Die Rothaarige, die sich als Sybille vorstellte, boxte Meier kumpelhaft in die Seite. «Aber ja nicht weitersagen; jeder, der weg ist vom Schlachtfeld, ist ein halber Sieg.»
Als sich die Haustür öffnete und eine glückstrahlende Familie heraustrat, verschwand die Weihnachtsmarktstimmung.
«Die Ruhe vor dem Sturm», murmelte Meier. Zita nahm Finn und Theo bei der Hand.
Die Glücksfamilie, die die Besichtigung hinter sich hatte, jagte in der Gegenrichtung an ihnen vorbei. Die Eltern waren beladen mit Schlafsäcken und Campingstühlen, offenbar hatten sie die Nacht vor dem Eingang verbracht, um die Ersten zu sein. Begleitet wurden sie von sieben Kindern.
«Nur drei sind die eigenen, die anderen sind ausgeliehen», flüsterte Sybille in Zitas Ohr. «Sie behaupten, sie würden die Kinder als Pflegekinder aufnehmen.»
«Sie ist schwanger», sagte Zita.
«Der Bauch ist künstlich. Kannst du online bestellen.»
Das wusste Zita nur allzu gut. In dem Fall um die Kindesentführerin vor einigen Jahren hatten künstliche Bäuche eine Rolle gespielt.
Wieder einige Millimeter. Es machte echt aggressiv.
Meier zupfte sie am Ärmel. «Soll ich vorpreschen? Ich könnte so tun, als ob Finn aufs Klo müsste.»
«Commissario, echt.»
Er wurde abgelenkt. «Sieh mal, ein Kamerateam.»
Tatsächlich, der Volksauflauf hatte sich rumgesprochen, bestimmt wurden die Bilder auf Social Media bereits hundertfach geteilt. Weiter hinten machte ein Radiosender Aufnahmen, über ihnen kreiste eine Drohne.
«Eine Belagerung, Zita.»
Bis sie endlich das Haus betraten, dauerte es ewig. Im düsteren Treppenhaus wurde es noch enger. Mensch stand an Mensch gepresst, es roch nach Suppe und Putzmittel. Theo dribbelte seinen Fussball, Finn lehnte an Zitas Bein und spielte eine Runde Legoschach auf ihrem Handy. Lily erwachte.
«Die ist aber gross», sagte Sybille.
«Ich geniesse es», sagte Zita mit zusammengebissenen Zähnen. Lily war Spätentwicklerin. Na und?
«Dann ist bei euch auch Schluss, keine Kleinen mehr?»
Meier legte Zita einen Arm um die Schulter. «Wer weiss …»
«Wer’s glaubt», antwortete Sybille giftig. Zita musste wider Willen lachen. Das Ganze war zu absurd.
Ein Geschrei ertönte. Eine Frau rannte die Treppe hinunter. Sie war mager, mit verschmutzten Stiefeln, eine Zigarette in der Hand, eine schmutzig weisse Mütze auf dem Kopf. Theos Ball kam ihr in die Quere, und sie stolperte.
«’tschuldigung», sagte Theo und hob den Ball auf.
Ihr mutiger kleiner Sohn stand zu seinen Fehlern. Die Frau schimpfte trotzdem. Schon wollte Zita Theo verteidigen, als ein Teenager, ein Kind eigentlich, die Magere wegzog.
«Komm jetzt, Mama.»
Die Frau wehrte sich, fiel auf die Kniescheiben. Der knochige Knall frass sich in Zitas Hirn. Sofort stand die Frau wieder auf, die Kippe immer noch in der Hand. Blut sickerte durch den Riss in der Jeans. Sie ignorierte die Verletzung, liess sich darüber aus, wie ungerecht es sei, dass ihr keiner glaubte, dass sie drei Kinder habe.
«Mama, lass das.» Das Mädchen fasste die Mutter unter, die Leute machten ihnen Platz, eine Gasse tat sich auf.
«Nimmst du mal.» Zita schnallte Lily ab und drückte Meier das verschlafene Töchterchen in die Arme. Die Erleichterung war momentan und heftig. Ein sündhaftes Gefühl von Freiheit.
«Wohin willst du? Zita, gleich sind wir dran.»
«Bin sofort zurück.»
Zita schlängelte sich zwischen den Wartenden hinunter, um das Mädchen und seine Mutter einzuholen. Schliesslich entdeckte Zita die beiden auf dem Trottoir. Keinen halben Meter von den vorbeirollenden Autos entfernt sass die Mutter am Boden, das Blut hatte die Jeans dunkelrot gefärbt.
«Wollen Sie ein Pflaster?», fragte Zita, während sie die kleine Medizinbox aus ihrer Boule-Rouge-Tasche zog.
Die Mutter lehnte schimpfend ab.
«Meine Mutter meint es nicht so, es war nur frustrierend, wegen der vielen Leute», sagte das Mädchen. «Die Wohnung ist viel zu teuer für uns. Wir haben falsche Informationen bekommen.»
Sie wirkte sehr erwachsen, als sie sich auf den Boden kniete und vorsichtig die Stofffetzen von der Verletzung löste. Das Knie war dunkel verfärbt, eine Mischung aus Prellung, Blut und Kälte.
«Wenn Sie wollen, informiere ich unsere Ärztin, die ist gleich um die Ecke.» Bevor sich das Mädchen wehren konnte, organisierte Zita einen Termin.
«In einer Viertelstunde. Die Behandlung geht auf unsere Kosten.» Das sagte sie zur Mutter, die etwas von einer nicht bezahlten Krankenkassenprämie brabbelte. Dann wandte sie sich an das Mädchen. «Wieso habt ihr die Wohnung besichtigt? Zu zweit hättet ihr doch keine Chance gehabt.»
Das Mädchen stellte sich als Jessie vor und erklärte die Umstände, ihre viel zu teure Mietwohnung und dass Frau Lombardi sie eingeladen hatte.
«Du kennst Philomena Lombardi?», fragte Zita.
«Verlogene Schwätzerin.» Die Mutter erwachte aus der Lethargie. «Komm, Jessie, wir gehen.» Abrupt stand sie auf und stöckelte davon.
«Entschuldigung», sagte Jessie. «Viel Glück.»
Das Lächeln brach Zita das Herz.
«Magst du mir deine Nummer geben? Falls ich was