Die zerbrochene Flöte. Maj Bylock

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Название Die zerbrochene Flöte
Автор произведения Maj Bylock
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9788711464915



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wieder heim zu deiner Mutter“, sagte der Kapitän und stand auf. „Wenn ich im Frühjahr zurückkomme, bist du bestimmt wieder hergestellt. Dann darfst du auf meinem Schiff Schiffsjunge werden, das verspreche ich dir!“

      Dan starrte auf den Boden und schwieg. Er sagte nicht, daß seine Mutter auch tot war und daß er nirgends hin konnte. Wenn seine Hand erst einmal geheilt war, konnte er vielleicht auf irgendeinem Bauernhof Arbeit finden. Irgendwie würde er sich doch bis zum Frühjahr durchschlagen können.

      Der Kapitän beugte sich über den Tisch und sammelte alles ein, was noch an Fleisch und Brot übrig war, ja, sogar den Rest einer geräucherten Hammelkeule. Dann reichte er alles Dan.

      „Hier! Steck das in deinen Sack. Vielleicht bleibst du dann bis morgen satt. Jetzt mußt du an Land, wir wollen nämlich gleich lossegeln.“

      Dan bückte sich nach dem Sack. Wenigstens hatte Plattnas sich ruhig verhalten. Da sah er, daß der Affe verschwunden war! Der Sack war noch da, aber leer. Mit seinen scharfen, kleinen Zähnen hatte Plattnas ein Loch in die Sackleinwand genagt und war auf und davon!

      Dan hob den Sack auf und schüttelte ihn, als könnte Plattnas sich plötzlich in eine Fliege verwandelt haben und sich noch darin verstecken.

      „Na, was ist!“ sagte der Kapitän jetzt ungeduldig. „Pack das Essen jetzt ein!“

      Er reichte Dan die Hammelkeule. Dan nahm sie samt Speck und Brot und steckte alles in den Sack. Seine Hände arbeiteten wie von selbst. Aber seine Gedanken galten nur Plattnas.

      Da ertönte lautes Krachen. Ein Seemann kam die Treppe herab und mit bleichem Gesicht in die Kajüte gepoltert.

      „Ich will an Land“, stöhnte er. „Mit diesem Schiff wage ich nie mehr zu segeln!“

      „Was sagst du da, Kerl!“ brüllte der Kapitän und schüttelte ihn. „Beruhige dich und sag, was geschehen ist!“

      Der Mann stöhnte erneut. „Ein Gespenst ist an Bord, ein Klabautermann“, jammerte er. „Ich habe es selbst gesehen. Das Schiff wird untergehen!“

      „Ein Klabautermann?“

      Der Kapitän zögerte. Er war schon lang genug auf See, um Geister und Erscheinungen ernst zu nehmen. Es gab genügend Berichte darüber, wie Klabautermänner und Geistererscheinungen den Untergang von Schiffen vorhergesagt hatten.

      Er schloß seinen Schrank auf und holte ein Branntweinfäßchen heraus. Obwohl das Schiff bald ablegen sollte, schenkte er dem Seemann einen ordentlichen Schluck ein. Dann bekam er noch zwei weitere, worauf seine Wangen allmählich eine rosa Färbung annahmen.

      „Nun, erzähl, was du gesehen hast“, sagte der Kapitän.

      „Wie ein grauer Wind ist es mir um die Beine gefegt. Es war behaart und hatte funkelnde Augen. Der Schwanz ...“

      Da kam Leben in Dan. Flinker als jedes Gespenst sauste er die Treppe hinauf aufs Deck. Der Kapitän und der Seemann konnten gut verstehen, daß der Junge vor dem Gespenst erschrocken war, und sie glaubten, daß er an Land gerannt sei.

      Doch Dan war noch an Bord. Wie wild rannte er an Deck umher und suchte in allen Ecken und Winkeln.

      „Verflixter Plattnas! Warte nur, bis ich dich erwische, du Klabautermann!“ fauchte er.

      Als der Kapitän und der Seemann heraufkamen, mußte Dan alles erklären. Der Seemann geriet außer sich vor Empörung. Sein Gesicht wechselte erneut die Farbe, diesmal von rosa zu dunkelrot. Er packte Dan mit festem Griff am Hosenboden, hievte ihn zur Reling hinauf und schrie: „Jetzt werf ich dich ins Wasser, du ...!“

      „Halt!“ brüllte der Kapitän. „Stell den Jungen hin und hilf suchen. Wir müßten längst auf See sein. Der Wind flaut langsam ab.“

      Dan wollte weitersuchen, doch der Kapitän schrie: „Alles klar! Hißt die Segel! Lichtet den Anker!“

      „Und du“, sagte er und zeigte auf Dan. „Sieh zu, daß du an Land kommst – mit oder ohne Klabautermann.“

      Diesmal war Dan derjenige, der blaß wurde. Mit dem Sack in der Hand ging er langsam rückwärts auf den Landungssteg zu.

      „Plattnas!“ schrie er. „Plattnas ...“

      Verzweifelt ließ er den Blick ein letztes Mal übers Deck streifen, bevor er auf den Landungssteg hinaustrat.

      Da fiel ihm plötzlich die Flöte ein. Er riß sie aus der Tasche und setzte sie an den Mund. Doch diesmal blies er so stark hinein, daß kein einziger Ton herauskam. Er versuchte, sich zu beherrschen und ruhiger zu blasen.

      „Bist du immer noch nicht an Land?“ Jetzt war der Kapitän böse, und der Flötenton ertrank in seiner donnernden Stimme. Dan drehte sich um und rannte davon.

      Kaum hatte er den Kai erreicht, wurde der Landungssteg eingeholt und die Ankerkette rasselnd hochgezogen.

      Versteinert stand Dan da und sah, wie der Schiffsrumpf sich sachte vom Land entfernte, immer weiter und weiter weg vom Kai. Er hörte die weißen, geblähten Segel knattern, als sie gehißt wurden. Dans Blicke folgten ihnen nach oben. Und da sah er Plattnas ganz oben in der Spitze des höchsten Mastes! Klein und erschrocken klammerte er sich dort fest, genau wie früher an Dans Hals, als Dan ihn mit sich herumtrug.

      Dan spürte, wie leer seine Arme waren. „Wartet!“ schrie er und winkte. „Wartet!“ Aber es war zu spät. Seine Stimme war zu schwach, und außerdem hatte niemand mehr Zeit, auf ihn zu hören. Einsam blieb er auf dem Kai stehen, bis Plattnas nicht mehr zu sehen war.

      Bald war auch das Schiff außer Sichtweite, obwohl Dan am Strand entlanggelaufen war, um es so lange wie möglich sehen zu können.

      Vielleicht hatte er gehofft, daß er es doch noch zum Umkehren bringen könnte, daß es doch noch zum Kai zurücksegeln würde. Daß der Kapitän einem der Seeleute befehlen würde, auf den Mast hinaufzuklettern und Plattnas herunterzuholen.

      Als das Schiff endgültig hinterm Horizont verschwunden war, setzte Dan sich an den Strand. Er hatte das Gefühl, als hätte nichts mehr einen Sinn. Am liebsten würde ich sterben, dachte er.

      Hinter den weißen, rundgeschliffenen Steinen des Strandes erhob sich eine Felswand. Dan sah, daß in dem Fels eine breite Öffnung war, wie eine Pforte. Als er näherkam, erkannte er, daß hier der Eingang einer tiefen Höhle war.

      Da erinnerte er sich, daß Mutter ihm von dieser Höhle erzählt hatte, als er klein war. Hier pflegten die Seeräuber ihre zusammengeraubten Schätze zu verstecken, und manchmal wohnten sie auch in dieser Höhle, wenn sie nicht gerade auf ihren Schiffen draußen über das Meer fuhren.

      Vorübergehend vergaß Dan, daß er sterben wollte. Er mußte wenigstens nachschauen, wie diese grausamen Seeräuber damals in der Höhle gelebt hatten. Große Felsblöcke dienten ihnen wohl als Bänke, und auf dem Boden der Höhle waren immer noch schwarze Flecken von ihren Feuerstellen zu sehen.

      Vorsichtig setzte sich Dan versuchsweise auf einen der Felsblöcke und blickte aufs Meer hinaus. Wenn ihm nicht so traurig zumute gewesen wäre, hätte er sich jetzt einbilden können, ein reicher Seeräuber zu sein.

      Da fiel sein Blick auf den Sack. Ganz verarmt war er doch noch nicht. Schließlich hatte er etwas zu essen, mehr als je zuvor in seinem ganzen Leben. Der Geruch der geräucherten Hammelkeule drang verlockend durch die Sackleinwand. Wenn er schon sterben mußte, konnte er ebensogut vorher noch die leckeren Sachen aufessen. Als Dan satt war, schlief er ein.

      An diesem Tag starb Dan nicht und auch nicht am nächsten. Die Sonne ging auf und wieder unter. Und als der Sack leer war, beschloß er, trotz allem weiterzuwandern.

      Eigentlich hätte er landeinwärts gehen müssen, um auf irgendeinem Hof Arbeit zu suchen, so wie er es sich vorgestellt hatte. Doch solange es seiner Hand so schlecht ging, daß er nicht einmal das Deck damit schrubben konnte, taugte sie auch nicht dazu, Ställe auszumisten.

      Also folgte er dem Strand in südlicher Richtung. Er wanderte über verlassene Strandwiesen