Die zerbrochene Flöte. Maj Bylock

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Название Die zerbrochene Flöte
Автор произведения Maj Bylock
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9788711464915



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es noch still und kein Mensch zu sehen. Doch jederzeit konnten gähnende Seeleute aus ihren Kojen herausgetaumelt kommen. Und bald würden die quietschenden Türen der Läden und Magazine aufgeschlagen werden.

      Ein dünner Schatten huschte am Kai entlang. Vor dem größten Gebäude des Hafens blieb er stehen und glitt dann vorsichtig an die Hausmauer heran, um dort hinter der hohen Treppe zu verschwinden.

      Lange mußte er nicht warten, bis die Knechte des Kaufmannes aufschlossen und Teerfässer und Säcke voller Kalk heraustrugen.

      Der Schatten wußte genau, wann es an der Zeit war, hinter ihrem Rücken in das dunkle Magazin zu verschwinden. Dort tastete er sich vorsichtig voran, bis er das gefunden hatte, weswegen er hergekommen war.

      „Den nehme ich als Ersatz für Mutters Hochzeitsring“, murmelte der Schatten und verschwand mit einem großen, leeren Sack in die Morgensonne hinaus.

      „Tut mir leid, Plattnas“, sagte Dan kurz darauf. „Ich hoffe, daß ich dir nicht weh tue. Aber ich muß dich nun einmal auf diese Art verstecken.“

      Er band den Sack ordentlich zu, während Plattnas drin im Dunkeln schnatterte und zappelte. Besonders lang hielten seine Proteste jedoch nicht an. Als er Dans Stimme hörte und seinen Rücken durch die Sackleinwand hindurch spürte, beruhigte er sich und schlief ein.

      Drinnen in seinem Kontor saß der Kaufmann und schnalzte mit der Zunge. „Nicht schlecht“, sagte er dann zufrieden. Er kostete soeben den Wein aus einem der Weinfässer, die er gekauft hatte. Gewürze und Stoffe hatte er ebenfalls erstanden. Das alles hatte sich an Bord des Schiffes befunden, das vor dem Lagerhaus am Kai lag. Jetzt schleppten seine Knechte die Waren an Bord, die er selbst verkaufen wollte.

      „Hat genau die richtige Süße“, sagte er zu sich und nippte noch einmal zufrieden an dem Becher. „Diese Ladung kann ich für einen guten Preis an meine Kunden hier in Visby verkaufen.“

      Der Kapitän des Schiffes war ebenfalls zufrieden. Er stand an Deck und sorgte dafür, daß alles ordentlich verladen wurde. Plötzlich spuckte er auf den Finger und hielt ihn in die Luft. „Der Wind ist günstig. Wir müssen möglichst bald ablegen, bevor er wieder abflaut. Am besten noch vor Mittag“, rief er dem Steuermann zu. „Sag den Männern, daß sie sich sputen sollen! Die ganzen Lederbündel liegen ja noch auf dem Kai!“

      Seeleute und Kaufmannsknechte bekamen es nun so eilig, daß sie sich gegenseitig fast über den Haufen rannten. „Geh zur Seite!“ riefen sie einem Jungen mit einem Sack auf dem Rücken zu. „Du stehst im Weg!“

      Der Junge ging weiter. Aber er entfernte sich nicht vom Schiff, sondern kletterte den Landungssteg hinauf und versuchte dabei, ein mutiges Gesicht zu machen, obwohl ihm das Herz bis in die Halsgrube schlug und seine Knie so sehr zitterten, daß er fast vorwärts stolperte.

      Mitten auf dem Landungssteg kamen ihm zwei Seeleute entgegen. „Was tust du hier?“ fragten sie und drehten ihn um.

      „Ich möchte mit dem Kapitän sprechen“, antwortete Dan so bestimmt wie möglich.

      „Du glaubst doch nicht im Ernst, der Kapitän hätte Zeit für Grünschnäbel wie dich?“

      Bevor Dan wußte, wie ihm geschah, hatten sie ihn auf den Kai zurückgestoßen.

      Aber der Kapitän hatte den Lärm gehört. Er trat an die Reling und erblickte Dan. Zuerst sah er einmal hin, dann noch einmal. Und schließlich rief er: „Ich gehe zum Frühstück in die Kajüte. Schickt mir den Jungen herunter!“

      Die Seeleute musterten Dan mißtrauisch. Sie wußten, daß ein neuer Schiffsjunge an Bord gebraucht wurde. Der vorige war erst vor ein paar Nächten über Bord gespült worden. Aber dieser hier konnte doch kaum in Frage kommen? Der sah zu mickrig aus, wie er so dastand und einen alten Sack an sich preßte.

      Dan drückte den Sack mit Plattnas so fest an sich, damit der Affe ruhig blieb und nicht ausgerechnet jetzt Unfug machte. Jetzt ...

      Er hielt die Luft an, während er darauf wartete, daß jemand dem Befehl des Kapitäns Folge leistete. Einer der Seeleute näherte sich unwillig, ging dann mit Dan den Steg hinauf und zeigte auf die steile Treppe, die der Kapitän gerade erst hinabgestiegen war. Dan zögerte nicht hinterherzuklettern.

      Seine Augen waren noch an das klare Sonnenlicht gewöhnt. Unten am Fuß der Treppe mußte er stehenbleiben und blinzeln, bevor er in der Düsternis hier wieder sehen konnte. Da erblickte er den Kapitän, der in seiner Kajüte am Tisch saß und Suppe löffelte. Ein Teil davon tropfte in seinen Bart, der eigentlich grau war, sich aber dort, wo die Suppe hinunterfloß, rotbraun verfärbte. Der Kapitän hatte eine Glatze und Augenbrauen so groß wie Vogelschwingen, unter denen zwei freundliche Augen Dan lange und forschend ansahen.

      „Nun, was wolltest du von mir?“ fragte er freundlich.

      Dan verschlug es die Sprache. Er war so sehr an unfreundliche Worte und harte Stimmen gewöhnt, daß es ihm schwerfiel zu antworten, wenn jemand ihn nicht anbrüllte.

      „Ich ... ichichich ...“, stammelte er. „Ich will zur See gehen ...“

      „Dacht ich mir’s doch“, antwortete der Kapitän. „Wenn Jungs mit einem Sack im Arm den Landungssteg heraufkommen, haben sie meistens genau das im Sinn.“

      Jetzt hatte der Kapitän seine Schüssel leer gegessen. Doch anstatt sie beiseite zu schieben, füllte er sie erneut. Dann reichte er sie Dan.

      Dan stellte rasch den Sack auf den Boden und streckte beide Hände vor, um die Schüssel in Empfang zu nehmen. Für den Löffel hatte er keine Zeit, er trank die Suppe direkt aus der Schüssel.

      „Na, das war aber ein großer Hunger“, sagte der Kapitän. „Setz dich hier an den Tisch, dann gibt’s noch mehr.“

      Ohne eine einzige Frage beantworten zu müssen, durfte Dan jetzt Brot und gekochtes Fleisch essen. In seinem ganzen Leben hatte er noch nie etwas so Gutes gegessen. Er seufzte und spürte, daß sein Bauch ganz rund geworden war, nachdem er sich endlich satt gegessen hatte.

      Die ganze Zeit hatte der Kapitän ihn mit seinem forschenden Blick angestarrt. „Wie heißt du, mein Junge?“

      Aber es fiel Dan immer noch schwer zu antworten. Diesmal, weil er so unfaßbar satt war.

      „Heißt du Jakobsson?“ fragte der Kapitän.

      Dan blickte ihn verblüfft an. „Ja. Dan Jakobsson.“

      Wie konnte der Kapitän das wissen? Soweit Dan wußte, hatte er doch noch nie etwas mit ihm zu tun gehabt.

      „Ich habe deinen Vater gekannt“, sagte der Kapitän, als ob er Dans Gedanken gelesen hätte.

      Er hat Vater gekannt und mir trotzdem zu essen gegeben? fuhr es Dan durch den Kopf. Aber ...

      „Wir waren beide auf demselben Schiff Schiffsjungen“, sagte der Kapitän. „Er hat mir einmal das Leben gerettet, als wir von Seeräubern überfallen wurden.“

      Dan schwieg. Er saß einem Menschen gegenüber, der Vater nicht als Mörder bezeichnete, sondern sagte, daß Vater sein Leben gerettet habe!

      „Weißt du auch, daß du genauso aussiehst wie dein Vater damals? Dünn und knochig. Braune, widerspenstige Haare. Und dann die Augen. Grün wie Katzenaugen. Die vergißt man nicht so leicht. Fährt dein Vater immer noch zur See?“

      „Vater ist tot“, antwortete Dan rasch. „Als ich klein war, ist er in einem Sturm untergegangen.“

      Mehr sagte Dan nicht, und der Kapitän nickte.

      „Ja, ja, das ist das Los des Seemannes.“

      „Ich möchte als Schiffsjunge anheuern“, flüsterte Dan.

      „Vielleicht ...“

      Der Kapitän schüttelte den Kopf. „Streck deine Hände vor“, sagte er freundlich. „Mit dieser häßlichen Wunde kannst du weder Taue einholen noch das Deck schrubben. Du mußt warten, bis die Hand wieder geheilt ist.“

      Dan blickte