Tochter der Diebin. Bo R. Holmberg

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Название Tochter der Diebin
Автор произведения Bo R. Holmberg
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9788711461495



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legte sie in die Erdhöhle neben der Treppe. Nur das Brot behielt sie. Vorsichtig öffnete sie die Tür, bückte sich und schlich hinein. Sie hörte die Atemzüge der Kinder, ging zu dem Bett, in dem Margareta lag, und kroch hinein.

      Am nächsten Morgen steht Kerstin vor allen anderen auf und durchsucht die ganze Kate. Aber zu ihrer Freude findet sie nichts außer Brot.

      Sie weckt ihre Mutter, schüttelt sie grob und fragt, wo sie all die Tage gewesen wär.

      Anna sieht aus, als ob sie Jahre Schlaf gebrauchen könnte, wird jedoch allmählich wach, steigt aus dem Bett und geht sofort zu ihren Kleidern.

      Aus der Schürzentasche holt sie die Handvoll Münzen und legt sie auf den Tisch.

      »Das hab ich zusammengeschuftet«, sagt sie. »Mit Arbeit in Nätra.«

      Sie reibt sich den Schlaf aus den Augen, aber Kerstin bleibt stehen, bis sie in die Augen sehen kann.

      Da legt Anna ihr eine Hand auf die Schulter.

      »Das ist die reine Wahrheit«, sagt sie.

      Aber Kerstin weiß nicht so recht. Sie möchte ihr glauben, natürlich möchte sie glauben, dass ihre Mutter gearbeitet hat und das Geld ihr Verdienst ist.

      Sie zieht sich an, nimmt sich ein Stück Brot, an dem sie knabbert. Bevor sie geht, beugt sie sich über die Mutter, die sich schon zur Wand gedreht hat, um wieder einzuschlafen.

      »Es ist gut, dass du wieder da bist«, sagt sie zum Abschied.

      Sie will der Mutter glauben. Sie möchte sie nicht noch einmal vom Schandpfahl abholen, und sie will sie nicht noch einmal in der Kirche in Schmach erleben.

      Der Magen tut ihr weh, sie geht vorgebeugt über die Wiese, aber je mehr sie sich Jon Sigfridssons Hof nähert, umso mehr lassen die Schmerzen nach, und sie kann sich wieder aufrichten.

      Alle Wiesen sind nun gemäht, nur die abgelegenen Wiesen in Moor und Wald nicht. Das Futter ist trocken und muss in die Scheune, für einige Wochen hat Kerstin also noch Arbeit.

      Aber mit jedem Tag kommt der Augenblick, in dem die Heuernte vorbei ist, näher, und vor dem Augenblick fürchtet sie sich.

      Eines Morgens folgt sie Jon hinaus ins Moor, er mäht, und sie recht das Gras zusammen.

      Er wischt sich den Schweiß von der Stirn und streicht sich die lockigen Haare aus dem Gesicht, das mit der Sonne um die Wette leuchtet. Sie machen nicht viele Worte, aber sie spürt eine besondere Ruhe, wenn sie mit ihm arbeitet. Das kommt von seinem gutmütigen Gesicht, am meisten jedoch von seinen Augen. Die schauen sie so still an, und noch nie hat er ein Wort darüber gesagt, dass sie die Tochter der Diebin ist. Sonderbar ist das.

      So sollten die Tage sein, die Unruhe ist verstummt.

      Jon reicht ihr den Becher mit Quellwasser.

      »Wir haben gut gearbeitet«, sagt er und rückt seinen Hut zurecht.

      Und das haben sie, auch wenn das Riedgras dünn und hart ist. Sie wünscht sich, dass es so schön bleiben möge, alle Tage, und möchte die lange Wanderung nach Hause ausdehnen. Die Sonne brennt auf sie nieder, und bald gibt es Essen. Jon geht wieder voran.

      Als der Tag vorbei ist, läuft sie quer über die Wiesen und an der Lichtung vorbei, wo sie Erik getroffen hat. Die Lichtung ist leer.

      In der Kate sitzt Gullik Andersson. Er ist der Einzige, der sie hin und wieder besucht. Manchmal bildet Kerstin sich ein, er wär der Vater von Margareta.

      Er hat Augen, die niemanden direkt ansehen.

      Aber Mutters Augen folgen ihnen und versuchen, sie festzuhalten.

      In der Kate verschwinden die Ruhe und Geborgenheit des Moores.

      Spät am selben Abend entdeckt sie das Versteck unter der Treppe.

      Und da weiß sie es, sie geht zu ihrer Mutter, die am Herd steht und in einem Topf rührt. Als Kerstin hereingestürzt kommt, dreht sie sich um.

      Kerstin hebt die Hand, sie schlägt zu. Ein Schlag in das Gesicht ihrer Mutter. »Ich habe dein Diebeslager entdeckt!«, schreit sie. »Ich hab es gesehen.«

      Anna packt Kerstin und stößt sie aus dem Raum, und dann schlägt sie zu. Ein harter Schlag direkt ins Gesicht, sodass das Blut aus ihrer Nase schießt. Sie verliert das Gleichgewicht und fällt auf den Boden. Zusammengekrümmt liegt sie da, die Arme zum Schutz um sich geschlungen. Über ihr keucht Anna:

      »Du schlägst deine Mutter nicht! Wie kannst du es wagen!«

      Und die Tochter flüstert ihre Entschuldigung, der Zorn ist fort, nur die Verzweiflung ist noch da, aber sie muss ja ihrer Mutter glauben. Sie wendet ihr das Gesicht zu, als ob sie nach einer Bestätigung suchte, dass sie sich getäuscht habe. Aber Anna ist zu ihrem Topf zurückgekehrt, Kerstin bekommt keine Antwort mehr. Sie bleibt auf dem Boden sitzen. Aus dem Bett im Alkoven schauen die Kleinen sie an. Sie verdrängt ihre Verzweiflung. Was sie unter der Treppe gefunden hat, ist alt, Sachen, für die die Mutter schon ihre Strafe bekommen hat. Sie hat in Nätra gearbeitet, so ist das. Sie hat nur Essen gestohlen und immer nur dann, wenn sie selbst nichts hatten. Und sie erhebt sich und geht hinüber zum Herd, doch Mutter wendet sich von ihr ab. Kerstin möchte sie berühren, zeigen, dass sie ihr glaubt und dass alles wieder gut sein soll. Wieder und wieder bittet sie flüsternd um Verzeihung, und kriecht dann zu den Kleinen ins Bett.

      Per streichelt ihr über den Rücken, sie hört Elsas leises Atmen. Sie drückt die Kleinen an sich und schließt die Augen. Sie sehnt sich nach Ruhe, nach Schlaf, der ihren Verdacht begraben wird.

      Die Sonne war gnädig gewesen.

      Es war Abend, und Jon Sigfridsson wanderte zwischen seinen Heuschobern herum und fühlte durch die Öffnungen für den Wind das trocken knisternde Heu, das seine Tiere den Winter über am Leben halten sollte.

      Bald war alles Heu eingebracht, und wenn das Glück auf seiner Seite war, würde der Regen auf sich warten lassen. Dann gab es genug für die Tiere. Er zog den Duft nach dem frischen Heu ein und erinnerte sich an Sommer mit verfaultem, schwarz gewordenem Heu, das nach brüllenden, mageren, sterbenden Kühen roch.

      Aber diesmal würde er Glück haben.

      Ja, das Leben war gut zu leben.

      In einem Graben lagen seine Birkenschuhe, und er schob die Füße hinein. Er hatte sich zu einem Abstecher ins Dorf entschlossen, und warum nicht zum Gasthof.

      Es waren die letzten Tage im Juli, und solche Wärme und Sonne wie sie in diesem Monat hatten ertragen müssen, hatte er noch nicht erlebt, soweit er sich erinnern konnte. Die Landschaft hier war offen, Äcker und Wiesen wie eine Flickendecke, links von ihm murmelte das Flüsschen und dort war der Teich mit dem Wasser, das die Säge und die kleine Wassermühle treibt.

      Weit dort hinten tauchte der Gasthof auf, und weiter entfernt sah er die Kirche und den Glockenturm. Wie eine Zwiebel kam ihm die Spitze des Turms vor.

      Jetzt ging Jon mit wohligem Glücksgefühl auf das Dorf zu. Und plötzlich hatte er den Gedanken, er müsse jemandem davon etwas abgeben. Unten am Waldrand duckte sich die Bootsmannskate, und Kerstin fiel ihm ein. Mager war sie, und Beine hatte sie wie ein Kalb. Und große, erschrockene Augen, deren Blick nicht leicht einzufangen war.

      Aber arbeiten konnte sie, mit der Harke war sie wahrhaftig flink. Und leicht hatte sie es bestimmt nicht.

      Er bog vom Weg ab und ging auf die Kate zu. Kein Leben, keine Bewegung konnte er entdecken. Trotzdem klopfte er an die windige Tür. Kerstin selbst öffnete ihm, er musste sich bücken, um in das Halbdunkel zu gelangen. In der Feuerstelle schwelte ein Feuer, und Anna rührte in einem schwarzen Topf. Auf dem Fußboden saßen die zwei kleinen Kinder und starrten ihn an.

      Der Tisch war mit Holztellern und Holzlöffeln gedeckt. Anna nahm den Topf von der Eisenkette und stellte ihn beiseite, wischte sich die Hände an der Schürze ab, kam mit flammendem Blick auf ihn zu.

      Was wollte er hier? Kam er im Auftrag des Lehnsmannes?

      Sie